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Kleine Sensationen

In arabischen Ländern wehren sich immer mehr Mädchen erfolgreich gegen ihre Zwangsverheiratung. Kinderehe dennoch weiter alltägliche Praxis

Von Thomas Berger *

Die Scheidung ist hiermit vollzogen!« - ein Jahr ist es her, daß ein Richter diese erlösenden Worte sprach und im Jemen für eine Sensation sorgte. Erstmals hatte ein neunjähriges Mädchen nicht nur von sich aus die Justiz bemüht, um seine Ehe annullieren zu lassen, sondern mit diesem Anliegen auch einflußreiche Fürsprecher gefunden. Nojoud Ali wurde mit ihrem mutigen Schritt zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten des Jahres. Unzählige Menschen in aller Welt haben inzwischen ihre gemeinsam mit einer französischen Journalistin verfaßte Geschichte (in der Bundesrepublik erschienen unter dem Titel »Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden«) gelesen. Das Schicksal des Mädchens ist im arabischen Raum keineswegs eine Ausnahme. Allerdings macht ihr Beispiel anderen Mut. Und gleich in mehreren streng islamischen Ländern gibt es mittlerweile solche Gerichtsurteile beziehungsweise Gesetzesinitiativen und andere Anzeichen für einen Wandel.

So legte im Juni 2008 eine 17jährige Ägypterin Beschwerde gegen ihre Verheiratung mit einem 92jährigen Greis aus Saudi-Arabien ein, die daraufhin von den Behörden für nichtig erklärt wurde. Das Justizministerium konnte sich in seinem entsprechenden Erlaß auf ein bereits seit einiger Zeit bestehendes Gesetz berufen, wonach der Bräutigam nicht mehr als 25 Jahre älter sein darf als die Braut. Doch nach wie vor sind junge Bräute aus dem Land am Nil bei reichen Männern vorgerückten Alters aus den Golfstaaten beliebt. Und die zuständigen Beamten drücken gern ein Auge zu, wenn der Bräutigam ein Bankkonto mit einem gewissen Betrag einrichtet. Allein im Jahr 2007 soll es nach Informationen der Tageszeitung Al Akbar 173 Fälle gegeben haben, in denen sich ausländische Ehemänner mit der Zahlung von umgerechnet 8000 Euro von der Anwendung des Gesetzes freigekauft haben. Offiziell liegt das Mindestalter, ab dem Mädchen heiraten dürfen, in Ägypten bei 16 Jahren.

Selbst in Saudi-Arabien, in vielerlei Hinsicht der kulturell konservativste Staat der Region, haben zwei Gerichtsurteile Hoffnungen auf Reformen genährt. Ende März hatte eine 28jährige das Recht erstritten, den Mann zu heiraten, den sie liebt, statt vom Vater gegen ihren Willen mit einem Verwandten vermählt zu werden. Schon dies war eine Sensation, sind im Königreich doch Väter selbst für erwachsene Töchter Vormund auch in diesen Fragen.

Und am 30. April wurde eine Achtjährige von ihrem mehr als 40 Jahre älteren Ehemann geschieden - allerdings erst nach starken Protesten aus dem In- und Ausland. Nach Angaben der Tageszeitung Riad ist das Urteil des Gerichts in der Stadt Onaisa auf die Intervention einer nicht näher genannten »wichtigen Persönlichkeit« zurückzuführen. Noch im Dezember hatte ein anderes Gericht befunden, das Kind solle zunächst verheiratet bleiben und sich zu der Frage äußern, wenn es die Pubertät hinter sich habe. Die Eltern des Mädchens sind geschieden. Der Vater hatte seine Tochter im August 2008 gegen Zahlung von 50000 Rial (rund 10000 Euro) an einen 50jährigen verheiratet, wie ihr Anwalt Abdulla Al Dscheteli mitteilte. Die Mutter hatte gegen diesen Quasiverkauf geklagt.

Wenige Tage zuvor hatte sich das Gericht noch vor einer grundsätzlichen Entscheidung gedrückt, aber immerhin erklärt, der scheidungsunwillige Ehemann habe unter keinen Umständen ein Recht auf Vollzug der Ehe, bevor das Mädchen die Pubertät erreiche. Mittlerweile bemüht man sich sogar im saudi-arabischen Justizministerium, eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung nach der Scharia zu erwirken. Minister Muhammad Issa kündigte an, gegen die weit verbreitete Praxis der Verheiratung von Kindern vorgehen zu wollen, auch wenn mit einem generellen Verbot wohl nicht zu rechnen ist.

Im Jemen selbst haben nach Nojoud Ali zwei weitere Mädchen im Alter von neun und zwölf Jahren ebenfalls ihre Scheidung erstritten. Allerdings bleibt noch ein weiter Weg zu gehen. Darauf deutet die Tatsache hin, daß die Regierung in Sanaa Nojoud im März die Teilnahme an einer Preisverleihung in Wien verweigerte. Mit der Begründung, sie sei zu jung für Auslandsreisen, war kurz vor dem Abflug von den Behörden ihr Paß eingezogen worden. Dabei war sie zuvor unter anderem in Paris und Deutschland gewesen. Nojoud Ali, die am liebsten in Ruhe zur Schule gehen will, wird Berichten zufolge auch durch ihren Vater an weiteren öffentlichen Auftritten gehindert. Er hatte seine Tochter an einen 30jährigen verheiratet.

* Aus: junge Welt, 22. Mai 2009


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