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Meilenstein für die Integration des Islam

Von Norbert Müller *

Die Frage, ob Staatsverträge mit Religionsgemeinschaften abgeschlossen werden sollten, stellt sich in genereller Form faktisch nicht mehr. In allen Bundesländern bestehen größtenteils schon seit Jahren und Jahrzehnten Staatsverträge mit den Kirchen und den Jüdischen Gemeinden. Überhaupt ist das spezifisch säkulare Verständnis der Beziehung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in der Ordnung des Grundgesetzes so tief verwoben mit der deutschen Rechtswirklichkeit, dass der Ruf nach Änderung etwa hin zu einem Laizismus französischer Art immer in der Minderheit gewesen ist und dies wohl auch bleiben wird.

Wenn also jetzt über den Sinn von Staatsverträgen mit Religionsgemeinschaften diskutiert wird, so geht es real eher darum, ob der Islam als eine im Wesentlichen durch Migration hinzugetretene, jedoch zwischenzeitlich seit gut 50 Jahren und mit über vier Millionen Gläubigen hier ansässige Religion eine rechtliche Gleichstellung erfahren soll. Wer jetzt plötzlich den Laizismus entdeckt, muss sich schon fragen lassen, ob es ihm nicht weniger um Kirchenkritik geht als darum, den Islam doch lieber außen vor lassen zu wollen.

Der Ehrlichkeit halber sollte man darüber streiten, worum es eigentlich geht: Was gehört zu Deutschland - »der Islam« (Ex-Bundespräsident Christian Wulff) oder lediglich »die Muslime, die hier leben« (Bundespräsident Joachim Gauck). Wollen wir nur den Muslim als Individuum mit einer möglichst privat und diskret in Anspruch genommenen Religionsfreiheit akzeptieren oder auch den Islam als Religionsgemeinschaft, der eben auch öffentlich wahrnehmbar praktiziert wird und dessen Institutionen eine gesellschaftspolitische Rolle spielen?

Wenn man auch hier ehrlich ist, wird man einräumen müssen, dass das Individuum nicht von der Gemeinschaft und ihren Institutionen, die private nicht von der öffentlichen Glaubenspraxis und der Muslim nicht vom Islam zu trennen ist. Der Versuch, es gleichwohl zu tun, führt genau zu jener Islamdebatte, wie wir sie seit Jahren haben. Debattiert wird wahlweise und immer wieder neu über Kopftücher, Moscheebauten oder Beschneidungen und dahinter steht immer die Frage, wie viel (öffentlich wahrnehmbaren) Islam Deutschland zu akzeptieren bereit ist. Es ist aber gerade diese Fragestellung, die den Ball den Neonazis, Rechtspopulisten und Islamophobikern zuspielt, die darauf nämlich antworten: So wenig wie möglich und am besten gar nicht!

Bestimmt auf diese Weise mehr oder weniger das antiislamische Ressentiment den Diskurs, landet die Integration in der Sackgasse. Aus Furcht vor negativen Reaktionen der Öffentlichkeit wagt die Politik nicht einmal mehr kleinste Schritte positiver Anerkennung. Stattdessen dominieren dann von Muslimen als ablehnend und ausgrenzend wahrgenommene Maßnahmen wie die Kopftuchgesetze der meisten Bundesländer und die immerwährenden Sicherheitsdebatten etwa der Islamkonferenz.

Wenn aber der politische Wille da ist, geht es auch anders. Dies beweist jetzt Hamburg mit dem beabsichtigten Abschluss eines Staatsvertrages mit dem Rat der Islamischen Gemeinschaften (SCHURA) Hamburg, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) und dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) als islamischen Religionsgemeinschaften sowie der Alevitischen Gemeinde. Der wichtigste Inhalt dieses Vertrages ist - und das ist von allen Beteiligten mehrfach betont worden - die darüber erfolgte erstmalige Anerkennung islamischer Verbände als Religionsgemeinschaften. Dies hat zunächst eine gar nicht hoch genug einzuschätzende symbolische Wirkung: Es bedeutet die auch institutionelle Anerkennung des Islam, der Durchbruch zur Gleichstellung mit Kirchen und Jüdischen Gemeinden innerhalb der gegebenen Rechtsordnung. Die Frage, ob der Islam dazu gehört, stellt sich in Hamburg nicht mehr; sie ist faktisch-rechtlich beantwortet.

Beantwortet ist damit auch die anderenorts immer wieder gestellte und angeblich nicht zu lösende Frage nach dem »islamischen Ansprechpartner«, etwa wenn es um die verfassungskonforme Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichtes geht. Hier hatten die Muslime in Hamburg aber auch vorgelegt: Mit der Gründung von SCHURA bereits 1999 wurde eine Organisationsform gefunden, in der Moscheegemeinden unterschiedlichster Herkunft einschließlich Sunniten wie Schiiten in die Strukturen einer Religionsgemeinschaft eingebunden werden konnten. Zusammen mit DITIB und VIKZ werden so tatsächlich 90 Prozent der Moscheegemeinden Hamburgs vertreten.

Der Staatsvertrag schafft auch die Grundlage für ein die religiöse Pluralität in der Schule widerspiegelndes und damit wegweisendes Modell des Religionsunterrichtes: In Hamburg wird es einen bekenntnisorientierten Unterricht geben, der sowohl von der Evangelischen Kirche wie auch den islamischen Religionsgemeinschaften und der Alevitischen Gemeinde verantwortet und auch durch muslimische und alevitische Religionslehrerinnen und -lehrer gemeinsam für alle Schüler erteilt werden wird.

Insgesamt ist der Hamburger Staatsvertrag ein Meilenstein bei der Integration des Islam, der alsbald in möglichst vielen weiteren Bundesländern übernommen werden sollte.

Norbert Müller ist Vorstandsmitglied des Rats der Islamischen Gemeinschaften Hamburg.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 01. September 2012


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