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Feminismus und Islamfeindlichkeit

Kopftücher, Zwangsehen, patriarchalische Gewalt – und die Sorge um westliche Werte

Von Achim Bühl *

Die Islamfeindlichkeit besitzt keine eindeutigen Zuordnungen, sie entzieht sich dem klassischen Rechts-Links-Schema genauso wie der Korrelation zu »neuen sozialen Bewegungen«. Die Islamfeindlichkeit geht quer durch alle Parteien und quer durch den Feminismus. Vielmehr scheint es neue »argumentative Konkordanzen zu geben, die neue politische Konstellationen hervorbringen« (Birgit Rommelspacher, taz, 18.1.2010, [BR 1]). Als prominenteste Vertreterin feministisch-inspirierter Islamfeindlichkeit gilt Alice Schwarzer.

Prototypisch für ihre Islam-Position ist ihr Kommentar in der »Emma« (1/2010) zum Schweizer-Minarett-Verbot. Verschiedene Kommentare zum Abstimmungsergebnis aufgreifend, stellt sie fest, dass ihrer Meinung nach die wichtigste Frage nicht gestellt wird, nämlich die, warum 57 Prozent der Schweizer sich für das Minarett-Verbot entschieden haben. Die Antwort auf diese Frage liefert Schwarzer wie folgt: »Hinter dieser Minarett-Abstimmung steckt natürlich viel mehr: nämlich das ganze Unbehagen! Das Unbehagen an den Gottesstaaten und ihren Steinigungen und Selbstmordattentaten. Das Unbehagen an der (Zwangs-)Verschleierung von Frauen sogar mitten in Europa. Das Unbehagen an der Zwangsverheiratung von hierzulande aufgewachsenen Töchtern und Söhnen. Das Unbehagen an der statistisch nachweisbaren höheren Gewalt in traditionellen muslimischen Familien. Das Unbehagen an der Relativierung von Emanzipation und Rechtsstaat, ja der ganzen Demokratie – und das im Namen ›anderer Sitten‹ und eines ›wahren Glaubens‹. Kurzum: Die Sorge um die in den letzten 200 Jahren so mühsam und blutig erkämpften Menschenrechte im Westen. Über dieses Unbehagen muss endlich öffentlich geredet werden! (…) Die Debatte lässt sich nicht länger gewaltsam unterdrücken. Umfragen belegen: Die Mehrheit der Europäer (55 Prozent) sieht im Islam heute eine ›Religion der Intoleranz‹. Und 78 Prozent stimmen dem Satz zu: ›Die muslimischen Ansichten über Frauen widersprechen unseren Werten‹ (die restlichen 22 Prozent sind der bekannte harte Kern der Frauenverachter auch in unserer Kultur).«

Auffallend sind zunächst einmal die sich häufenden negativ konnotierten Termini des Textes, welche – Schwarzers Ansicht nach – stellvertretend für den Islam stehen: »Gottesstaaten«, »Steinigungen«, »Selbstmordattentate«, »(Zwangs-) Verschleierung«, »Zwangsverheiratung«, »höhere familiäre Gewalt«, »Relativierung der Emanzipation«, »Relativierung des Rechtsstaates«, »Relativierung der ganzen Demokratie«, Gefährdung bzw. Verletzung der »Menschenrechte«. Die Begrifflichkeiten konstruieren den Islam als den prototypischen Gegenspieler des Westens, als Versinnbildlichung des kulturell Differenten sowie, wenn es um »die Sorge der so mühsam und blutig erkämpften Menschenrechte im Westen« geht, als Feind aller freiheitsliebenden (abendländischen) Menschen.

Es verwundert folglich nicht, dass Schwarzer sich anschließend positiv auf Items bezieht, die laut ihrer Verfasser »islamophobe Einstellungen« messen sollen. Items wie »Der Islam ist eine Religion der Intoleranz« und »Die muslimischen Ansichten über Frauen widersprechen unseren Werten«, mutieren so unreflektiert zu Indikatoren »aufklärerischer Ansichten«. Eine Zustimmung zu den entsprechenden Items wird von Schwarzer folglich nicht als »xenophobe« Haltung interpretiert, sondern als Gradmesser einer kritischen Sichtweise auf den Islam. Personen, die islamfeindliche Items ablehnen, werden in toto im gleichen Atemzug konsequenterweise als »der bekannte Kern der Frauenverachter in unserer Kultur« diffamiert.

Während der »Emma«-Kommentar zunächst den Islam als das territorial Andere betrachtet (»Gottesstaaten«, »Steinigungen«), wird diese äußere Exklusion durch die Abgrenzung gegenüber dem Anderen im Inneren des Eigenen ergänzt (»sogar mitten in Europa«, »hierzulande«, »Demokratie«, »Westen«). Für die »innere Abgrenzung« dienen dabei primär Geschlechterverhältnisse (Zwangs- verschleierung, Zwangsverheiratung, familiäre Gewalt) als Katalysator, »um die angenommene Differenz zwischen Angehörigen der so genannten islamischen und denjenigen der so genannten westlichen Kultur herzustellen und festzuschreiben« (Daniela Marx: Feministische Gegenstimmen? In: Kritik des Okzidentalismus, 2009; [DM]). Während »der Westen« als Ort der Toleranz erscheint, wird der Islam als Antipode beschrieben, »der mit spiegelbildlich-negativen Zuschreibungen versehen wird« [DM].

Das von Schwarzer transportierte Islambild stellt den Islam primär als eine Bedrohung für die »westliche Wertegemeinschaft« dar, als eine politische und nicht als eine religiöse Größe, die mit hierarchischen Geschlechterverhältnissen verknüpft ist. Der Islam wird auf diese Weise als kulturell unvereinbar mit den Werten der Aufklärung und der Emanzipation charakterisiert, er erscheint als Inbegriff des Rückständigen, als modernitätsfeindlich, gewalttätig und moralisch unterlegen.

Schwarzer verbindet ihre Diskursstrategie mit der Sichtweise des »Neuen Realismus«, der die Ansicht vertritt, »jegliches diskriminierende Sprechen über Muslime sei durch integrationspolitische Vorgaben oder aufgrund eines auf Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus beruhenden kollektiven schlechten Gewissens tabuisiert und unterliege nun linkspolitischen, multikulturalistischen Forderungen nach Political Correctness. Unter Berufung auf ihr Recht der freien Meinungsäußerung begreifen sich Vertreter eines Neuen Realismus selbst als diejenigen, die den Mut haben, diese Tabus zu brechen und ohne Rücksicht auf die eventuelle Diskriminierung Anderer die ›Wahrheit‹ zu sagen« [DM].

Die Selbstdarstelllung als Vertreterin des »Neuen Realismus« wird gleich zu Beginn des Kommentars deutlich. Dort heißt es, dass die Autorin – Alice Schwarzer – im Jahre 2009 mehrfach in der Schweiz und Österreich unterwegs gewesen sei, wo vom Islam nur hinter verschlossenen Türen und mit gesenkter Stimme gesprochen wurde. Schwarzer sei gefragt worden, wie sie die Entwicklung einschätze und was man in ihrem Land tun könne. »Ihnen selbst seien leider die Hände gebunden, denn jede Kritik am Islamismus sei ja so leicht misszuverstehen als Islamophobie, ja Rassismus. Ich entgegnete jedes Mal frei heraus, sie sollten nur keine Scheu haben. Die Kritik an einem demokratie- und emanzipationsfeindlichen Islamverständnis sei doch selbstverständlich.«

Schwarzer stilisiert sich und die von ihr vertretene Richtung des Feminismus so als Rettungsanker der westlichen Kultur angesichts einer herrschenden Political Correctness, die Debatten gewaltsam unterdrückt, die von Angst und falscher Rücksichtnahme geprägt sei und wirtschaftliche Einbußen befürchte. Die politische Verunglimpfung einer berechtigten Kritik am Islam und Islamverbänden als deren Repräsentanten in Europa gehe dabei seit über 30 Jahren »von den ach so Toleranten« aus. Schuld sind bei Schwarzer wie bei anderen islamfeindlichen Autoren die »Gutmenschen« und ihre falsch verstandene Toleranz.

Analysieren wir die Position Schwarzers auf die Frage hin, in welcher islamfeindlichen Traditionsrichtung diese steht, so lässt sie sich primär als eine neo-orientalistische Sichtweise charakterisieren, bei der die Postulierung der westlichen Werte als universell zu einer Abwertung anderer Kulturen führt.

Der orthodoxe Feminismus reflektiert offensichtlich nicht den Tatbestand, dass der westliche Feminismus selbst »Ausdruck einer europäischen Moderne ist, die Andere Kulturen generell als rückständige Vorstufen der eigenen deutet« (Birgit Rommelspacher: Feminismus und kulturelle Dominanz, online unter: www.birgit- rommelspacher.de; [BR 2]). Das Sendungsbewusstsein der imperialistischen Kolonialmächte schließt die Vorstellung einer Anpassung des Anderen an die »zivilisierte Norm« mit dem Ziel der Absicherung kolonialer Macht ein. »Das gilt auch für das Befreiungsmotiv, das eine lange europäische Tradition hat, insbesondere in Bezug auf die muslimischen Frauen. Schon die christlichen Kreuzfahrer sahen ihre Aufgabe darin, die orientalische Prinzessin zu befreien. Ebenso war die Befreiung der Frauen ein zentraler Kern kolonialer Strategie« [BR 2].

Das so genannte Befreiungsmotiv findet sich auch in einer Romanze des Singspiels »Die Entführung aus dem Serail« von Mozart. Dort heißt: »Im Mohrenland gefangen war/ Ein Mädel hübsch und fein;/ Sah rot und weiß, war schwarz von Haar,/ Seufzt' Tag und Nacht und weinte gar,/ Wollt gern erlöset sein./ Da kam aus fremdem Land daher/ Ein junger Rittersmann,/ den jammerte das Mädchen sehr./ ›Jach!‹ rief er, ›wag ich Kopf und Ehr,/ Wenn ich sie retten kann.‹«

Die Position des orthodoxen Feminismus und seiner islamfeindlichen Variante bei Alice Schwarzer steht in der Tradition eines kolonialen Feminismus, insofern die Setzung universell gültiger Normen und Werte nicht zu einem Dialog gleichberechtigter Partner führt, sondern zu einer kolonialen Dominanz im Namen der Aufklärung. Die Befreiung »der muslimischen Frau« bedeutet dergestalt betrachtet ihre »Verwestlichung«, ihre »Modernisierung«, ihre postkoloniale Normierung.

Der Orientalismus als eurozentrischer, westlicher Blick der sich überlegen fühlenden weißen Rasse, der den »mystischen Orient« gleichermaßen konstruiert wie beherrscht und eine ungebrochene islamfeindliche Tradition verkörpert, begegnet uns so in Gestalt des neo-orientalistischen Feminismus erneut. Wie der Orientalismus, so stellt auch sein postmoderner Ableger ein Herrschaftswissen bereit. Per Definitionsmacht blendet er andere Machtverhältnisse wie ethnische und sozialstrukturelle Hierarchien aus und sichert für die Frauen der Mehrheitsgesellschaft »nicht nur den eigenen Aufstieg ab, sondern entlastet auch das eigene Geschlechterverhältnis, indem die Konflikte gewissermaßen ausgelagert werden« [BR 2].

Der neo-orientalistische Feminismus führt nicht nur zur Hierarchisierung zwischen Frauen und zur Abwertung »der muslimischen Frau«, sondern idealisiert auch die eigene Situation. »Die einheimischen Frauen scheinen im Vergleich zu der muslimischen Frau so emanzipiert zu sein, dass weitere Auseinandersetzungen um Geschlechtergerechtigkeit in der Mehrheitsgesellschaft zunehmend überflüssig werden. Diese ›Emanzipation‹ bemisst sich nicht mehr an der Ungleichverteilung von Arbeit, Einkommen und Status zwischen Männern und Frauen, sondern am Abstand zwischen der westlichen und der muslimischen Frau. Der Fokus der Aufmerksamkeit wird gewissermaßen verlagert und der Handlungsdruck, das Geschlechterverhältnis zu ändern, geringer« [BR 2].

Auffallend ist, dass sich auch ein Teil des herkömmlichen Antisemitismus als feministisch-inspiriert definieren bzw. zuordnen lässt. »So formulierte etwa Sophie-Rogge-Börner in der Zeitschrift ›Die deutsche Kämpferin‹, dass man gemeinsam mit den arischen Rassegenossen gegen das ›orientalisch-jüdische Patriarchat‹ kämpfen sollte, weil dies die ursprüngliche, germanische Gleichstellung der Frau zerstört habe« [BR 1]. Der Patriarchatsvorwurf richtet sich auch in den 1970er Jahren erneut gegen die Juden. Ihnen wird »vorgeworfen, einem archaisch verwurzelten Patriarchat verhaftet zu sein, und unter anderem, den sexuellen Missbrauch von Kindern zu legitimieren« [BR 1]. Auch diese Motive finden sich in der aktuellen islamfeindlichen Polemik stets aufs Neue.

* Prof. Dr. Achim Bühl lehrt Soziologie an der Beuth Hochschule für Technik, Berlin. Der hier veröffentlichte Text ist ein Auszug seines im Oktober erscheinenden Buches »Islamfeindlichkeit in Deutschland. Ursprünge, Akteure, Stereotypen« (VSA: Verlag, 320 S., 22,80 €).

Aus: Neues Deutschland, 25. September 2010



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