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Politische Pixel

Im neuen Blockbuster "Medal of Honor Warfighter" kann sich der Spieler in den virtuellen "Krieg gegen den Terror" stürzen – dabei wird westliche Militärpolitik legitimiert

Von Michael Schulze von Glaßer *

In Medal of Honor Warfighter schlüpfen Spieler in die Kampfstiefel der am besten ausgebildeten und fähigsten Soldaten, die es heute gibt, und erleben Missionen, die einen direkten Bezug zu Terrorakten in der realen Welt haben«, heißt es auf der Website des am 25. Oktober erscheinenden neuesten Teils der »Medal of Honor«-Videospielreihe. Die Geschichte des Spiels vom US-Publisher »Electronic Arts« (EA) wurde von US-Elitesoldaten geschrieben und soll sich an realen Einsätzen im Rahmen des vom ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush ausgerufenen »Kriegs gegen den Terror« orientieren. Über die in »Medal of Honor Warfighter« erzählte Geschichte sind noch keine Details bekannt. Nur so viel: Der Spieler wird für Militärmissionen unter anderem nach Bosnien, Pakistan, Somalia, dem Jemen und auf die Philippinen geschickt, um die Interessen des Westens mit Waffengewalt zu verteidigen. Der »Krieg gegen den Terror« als faszinierendes Videospiel.

Kontroverse politische Inhalte gibt es aber nicht nur beim neuen »Medal of Honor Warfighter«. In dem 2011 veröffentlichten First-Person-Shooter »Battlefield 3«, von dem allein in Deutschland eine Million Exemplare verkauft wurden, muß der Spieler im Jahr 2014 als US-Soldat den Iran erobern. Die iranische Nachrichtenagentur FARS-News spricht seit dem Erscheinen des EA-Spiels von einem »open war of media« des Westens gegen die islamische Republik. Teheran verbot das Spiel kurzerhand und hat gleich mehrere »Gegen-Spiele« in Auftrag gegeben (siehe Spaltentext).

Der US-Autor Roger Stahl hat sich in seinem 2010 erschienenen Buch »Militainment, Inc.: War, Media, and Popular Culture« ausführlich mit dieser Frage beschäftigt. Der Dozent für Sprachkommunikation an der University of Georgia bringt es gegenüber jW auf eine kurze Formel: »Der Herstellungsprozeß von Videospielen nimmt den Weg des geringsten Widerstandes und den höchsten finanziellen Gewinnaussichten.« Die Hersteller würden in ihren Spielen politische Aussagen verbreiten, die der aktuellen Politik entgegenkämen und schon populär seien: »Die westliche Öffentlichkeit versteht beispielsweise den Iran bereits als eine ›Bedrohung‹ und einen ›Schurkenstaat‹.« So sei es auch kein Problem, völkerrechtswidrige Handlungen wie weltweite verdeckte Militäroperationen, Folter und Morde darzustellen. Solange die Spiele nur westliche Sichtweisen verbreiten, würden sie akzeptiert. Nur wenn dies nicht der Fall sei, komme es zum Skandal: »Der Shooter ›Call of Duty: Modern Warfare 2‹ sorgte 2009 für einen Skandal, da man dort in einem Level einen Terroristen spielen muß.« Ein anderes Beispiel ist das Vorgängerspiel von »Medal of Honor Warfighter«: In dem 2010 von EA veröffentlichten Shooter sollte es zunächst möglich sein, auch in die Rolle von Taliban zu schlüpfen und gegen die westlichen Besatzer kämpfen zu können: »Es ist widerwärtig, solch ein Spiel auf den Markt zu bringen, während in Afghanistan Menschen sterben«, empörte sich Wilfried Stolze, Sprecher des Deutschen Bundeswehrverbands, damals. Auch in den USA wurden Stimmen laut, die sich gegen »Medal of Honor« aussprachen. Und der damalige britische Verteidigungsminister Liam Fox rief sogar zum Boykott auf: »Ich bitte die Geschäfte, ihre Unterstützung für unsere Truppen auszusprechen und dieses geschmacklose Produkt nicht zu verkaufen.« Daraufhin gab EA dem Druck nach und benannte die Taliban in »Opposing Force« um.

Die regierende Politik und das Militär wollen nur positive Bilder von Einsätzen der Streitkräfte verbreitet sehen. Die fast ausschließlich in westlichen Ländern sitzenden Videospielunternehmen folgen diesem Wunsch – auch um eine möglichst breite Masse an Käufern anzusprechen. Unkritische, kriegsverherrlichende Videospielgeschichten für eine unkritische Käuferschicht zur Maximierung von Profiten. Roger Stahl fordert dagegen vor allem ein Umdenken bei den berichtenden Medien: »Videospiele, die völkerrechtswidrige Taten gutheißen und dafür werben, müssen von der Öffentlichkeit kritischer betrachtet werden.« Tatsächlich werden Videospiele in den Mainstreammedien kaum beachtet. Und wenn doch einmal, dann dreht sich die Diskussion meist nur um die vordergründig dargestellte Gewalt in den Spielen – die politischen Aussagen werden schlicht ignoriert, selbst in Videospielfachmagazinen.

Der Publizist und Friedensaktivist Peter Bürger, der 2006 für seine Bücher über die Darstellung des Militärs in den Medien mit dem Bertha-von-Suttner-Preis der Deutschen Friedensgesellschaft ausgezeichnet wurde, fordert eine Kennzeichnungspflicht von Medien, die vom Militär unterstützt wurden oder in deren Geschichten gegen das Völkerrecht verstoßen wird – dies trifft mutmaßlich auf alle hier vorgestellten Spiele zu.

Letztlich liegt es in der Eigenverantwortung der Entwickler und Geldgeber, welche Inhalte mit den Spielen verbreitet werden. Es gibt sehr wohl Videospiele – auch Shooter –, die dem Spieler die Sinnlosigkeit von Krieg und Gewalt nahe bringen und eine kritische Haltung gegenüber dem Militär einnehmen. Im Gegensatz zu den kriegsverherrlichenden Spielen sind diese aber Einzelfälle – und werden es wohl bis auf weiteres bleiben.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 24. Oktober 2012


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