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Virtuelle Kriegführung - Bundeswehr probt Cyberwar

Angriff auf deutsche Rechnersysteme simuliert

Die US-Amerikaner haben es vorgemacht, die Bundesregierung zieht nach. Erstmals soll in der Bundesrepublik ein "virtueller Krieg", d.h. ein über das Internet geführter Krieg geprobt werden. Dies berichtet der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe (12. März 2001). Bei einem Planspiel, an dem sich neben dem Verteidigungsministerium auch das Bundesinnenministerium beteiligt, sollen Behörden und Großunternehmen noch in diesem Jahr nach US-Vorbild einen koordinierten Angriff auf deutsche Rechnersysteme simulieren, schreibt das Nachrichten-Magazin.

Das dem Planspiel zu Grunde liegende Szenario sieht vor, dass eine "mafiose, international operierende Gruppe" Deutschland zwingen will, seine "militärischen Kontingente aus dem Kosovo zurückzuziehen". Um dieses Ziel zu erreichen, dringt die Bande zunächst in die Rechner eines Berliner Energieversorgungsunternehmens ein und legt "für mehrere Stunden das gesamte Stromnetz lahm". Während die Mitspieler, darunter Experten der Polizei, der Telekom und des Innenministeriums, noch versuchen, den Schaden zu beheben, sabotieren die Angreifer schon weite Teile des Telefonnetzes der Hauptstadt, heißt es in dem Strategiepapier weiter. Z.B. sollen speziell programmierte Computer durch Dauerwahl Telefone blockieren und ein eingeschleuster Feind wird das Rechenzentrum einer Großbank lahm legen. Nach dem Bericht im Spiegel soll das Planspiel vor allem das Bewusstsein dafür schärfen, dass im Krisenfall in einer computervernetzten Welt Staat und Wirtschaft voneinander abhängig sind und deshalb eng zusammenarbeiten müssen. So absurd wie die Ausgangskonstellation (welche mafiose Gruppe will die Bundeswehr aus dem Kosovo vertreiben?!) ist auch die Vorstellung, als Mittler der Kooperation von Staat und Wirtschaft eigne sich - ausgerechnet - die Bundeswehr.

Der Computer-Verlag Heinz Heise ergänzt in seinem online-Dienst (http://www.heise.de) die Meldung des Spiegel um ein paar interessante Informationen. Die Diskussion um ein "elektronisches Pearl Harbour", so heißt es dort, sei mit mehreren Jahren Verzögerungszeit aus den USA nun auch nach Deutschland geschwappt. Im Herbst letzten Jahres plädierte beispielsweise der Präsident des Bundesnachrichtendienstes für eine elektronische Aufrüstung der Bundeswehr: "Die Nachrichtendienste interessieren sich für die neuen Technologien, Armeen bilden Hackersoldaten aus", sagte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning, auf einem Symposium zum "Information Warfare" in Pullach bei München. Auch die NATO stellt sich nach Angaben eines Sprechers verstärkt auf die elektronische Kriegsführung via Internet ein. Seit 1997 diskutiert eine interministerielle Arbeitsgruppe die Verwundbarkeit so genannter "kritischer Infrastrukturen" der Bundesrepublik durch elektronische Angriffe. Ein nicht autorisierter Zwischenbericht dieser Arbeitsgruppe vom Dezember 99 wird auf diversen Seiten im Internet gespiegelt (z.B. http://archiv.quintessenz.at/archiv/msg01209.html). Ende Februar hatte eine von Bundesinnenminister Otto Schily einberufene Arbeitsgruppe einen ersten Bericht zu "Gefährdungspotentialen kritischer Infrastruktur" vorgelegt. Kritiker, wie etwa die US-Bürgerrechtsorganisation EPIC, halten die Gefahr der elektronischen Kriegsführung für maßlos übertrieben. Sie werfen Militär und Rüstungsindustrie vor, sie wollten mit Hilfe von Horrorszenarien das Geschäft künstlich ankurbeln. Konkret heißt dieses Geschäft in den USA: (National) Missile Defense, immerhin ein 60-Mrd-Dollar schweres Aufrüstungsprogramm, an dem so manches High-Tech-Unternehmen der Elektronik- und Luftfahrzeugindustrie verdienen kann.

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