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Krieg in fünfter Dimension

Cybereinsatz: Bundeswehr zum Wirken in gegnerischen Netzen bereit

Von René Heilig *

Die Bundeswehr sieht sich als »Armee im Einsatz«. Nun ist sie offenbar bereit, nicht nur zu Lande, zu Wasser, in der Luft und im Weltall zu operieren. Auch in der fünften Dimension, dem Cyberraum, ist man bereit »zum Wirken in gegnerischen Netzen«.

Der »Bericht zum Themenkomplex Cyber-Warfare«, aus dem die Kollegen der »Financial Times Deutschland« zitieren, ist dem Verteidigungsausschuss bereits am 13. April zugestellt worden. Auf sechs Seiten wird lang und breit die Notwendigkeit kooperativer Verteidigung gegen Hackerangriffe erörtert.

Der Neuigkeitswert ist begrenzt. Dass das Militär bereits seit mindestens einen Jahrzehnt seine Fähigkeit zur Cyberkriegsführung entwickelt, ist mehrfach belegt.

Neun Zeilen lassen den aktuellen Bericht jedoch bedeutsam werden: »Die Bundeswehr stellt derzeit beim Kommando Strategische Aufklärung die Abteilung Computernetzwerkoperationen auf. Eine Anfangsbefähigung zum Wirken in gegnerischen Netzen wurde erreicht. Für die Ausbildung bzw. zur Erprobung von Verfahren besteht die Möglichkeit zur Durchführung von Simulationen in einer geschlossenen Laborumgebung.«

Man trennt die Fähigkeit zur Abwehr von Cyberangriffen grundsätzlich von der »Fähigkeit der Bundeswehr zur Wirkung in gegnerischen Netzwerken«. Die Computer Netzwerk Operationen (CNO) »sind ein weiteres Wirkmittel der Streitkräfte«, liest man.

Der Bericht, der in der kommenden Woche im Verteidigungsausschuss behandelt werden soll, lehnt den Begriff »Krieg« für »Maßnahmen im Cyberraum« ab. Das Völkerrecht zwingt dazu. So wie das deutsche Grundgesetz, denn: Angriffshandlungen und alles, was geeignet ist, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, ist verboten.

Der Bericht berührt auch andere wesentliche Fragen nur am Rande, zumeist rein organisatorisch. Da ist erstens die Art und Weise der verfassungsrechtlich problematischen Vernetzung zwischen Militär und Innenbehörden. Der von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) immer wieder geforderte Cybereinsatz der Bundeswehr im Innern scheint nicht nur via Nationales Cyber-Abwehrzentrum gesetzt.

Zweitens werden die inhaltlichen Schwerpunkte der Cyberkrieg-Kooperation im NATO-Verbund ausgespart. Bereits vor fast genau einem Jahr hat das Bündnis seine »Cyber Defence Policy« beschlossen.

Eine besondere Bedeutung kommt der Zusammenarbeit mit den USA zu. Dort hat man 2010 das mit Erstschlagskapazität versehene CyberCommand als eigenes Kommando aufgestellt. Es kooperiert bestens mit dem größten US-Geheimdienst, der NSA. Beide rechnen sich den gegen Iran ausgerichteten Computervirus »Stuxnet« als Erfolg an.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 6. Juni 2012


Cyber-Auslandseinsätze?

Von René Heilig **

Es geht wahrlich nicht darum, im Pekinger Stadtmuseum wie durch Geisterhand das Licht auszuknipsen oder herauszufinden, ob neben Schäuble noch andere Finanzminister Gefallen am Sudoku-Spiel finden. Ja nicht einmal der Computervirus »Stuxnet«, mit dem das iranische Atomprogramm um Jahre zurückgeworfen wurde und dessen US-Urheberschaft die »New York Times« jüngst belegte, gibt eine adäquate Vorstellung von den Möglichkeiten der Cyberkrieger. Wer sich die Liste der sogenannten kritischen Infrastruktur moderner Industriestaaten anschaut, muss seine Fantasie zügeln, um nicht panisch zu werden.

Gegen diese neue Bedrohung, die manchem durchaus asymmetrische Chancen eröffnet, muss man sich schützen. Über übliche Feuermauern hinaus. Doch Angriff ist nicht die beste Verteidigung, sondern - egal ob im Alleingang oder im Bündnis - verboten. Grundgesetzartikel 26 bestimmt: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig.« Wer dieser Argumentation nicht folgen mag, sollte sich fragen, ob Cyberattacken nicht zumindest mit Bundeswehr-Auslandseinsätzen vergleichbar, also unter Parlamentsvorbehalt zu stellen sind. Absurd? Vermutlich. Auch wegen parlamentarischem Desinteresse. Zur Jahrtausendwende hatten Bundestagsgrüne mal »Für eine friedliche Nutzung des Cyberspace« geworben. Die Initiative ist längst verhallt.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 6. Juni 2012 (Kommentar)

Ausgewählte Zitate aus dem Papier:

Die Bundeswehr stellt derzeit beim Kommando Strategische Aufklärung die Abteilung Computernetzwerkoperationen auf. Eine Anfangsbefähigung zum Wirken in gegnerischen Netzen wurde erreicht. Für die Ausbildung bzw. zur Erprobung von Verfahren besteht die Möglichkeit zur Durchführung von Simulationen in einer geschlossenen Laborumgebung.

Aus Sicht der Bundesregierung beschreibt der Begriff “Cyber-War” oder “Cyber-Krieg” die tatsächlichen sicherheitspolitischen Herausforderungen nur unzureichend und suggeriert ein falsches Bild sowohl betreffend der Bedrohungslage im Cyberspace als auch der möglichen Gegenmaßnahmen.
Das IT-System der Bundeswehr ist, genau wie alle IT des Bundes, zu jeder Zeit einer Vielzahl von unterschiedlich motivierten und technisch versierten Angriffen eines breiten Spektrums von Akteuren ausgesetzt, ohne dass hierfür der Begriff Krieg angemessen wäre.
In der Bewertung der Bedrohungslage werden Maßnahmen im und durch den Cyberspace zunehmend operative Bedeutung bei kriegerischen Auseinandersetzungen sowohl zwischen Staaten als auch bei Auseinandersetzungen nicht-staatlicher Akteure haben. Militärisch wird der Cyberspace daher, entsprechend der Bedeutung des Faktors Information für die Erfüllung der politisch vorgegebenen Aufgaben, als operative Domäne, vergleichbar dem Luft- oder Seeraum, behandelt.

Hier können Sie den Bericht herunterladen:

Dokumentiert: Papier des Verteidigungsministeriums zum Themenkomplex "Cyber-Warfare"




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