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Weitherin Straffreiheit für US-Soldaten?

UN-Sicherheitsrat soll über Antrag der USA entscheiden - Menschenrechtsorganisationen protestieren - Die letztjährige Resolution 1487 (2003) im Wortlaut

Angesichts des Skandals um die Misshandlung irakischer Gefangener wächst der Widerstand gegen das Ansinnen der Vereinigten Staaten, ihre Soldaten weiterhin vor einer Auslieferung an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu schützen. Eine für den 21. Mai 2004 geplante offene Sitzung des Weltsicherheitsrats zu diesem Thema wurde auf Ersuchen Chinas auf den 24. Mai verschoben. Die chinesische UN-Delegation habe noch keine Instruktionen ihrer Regierung, hieß es.

Die USA bemühen sich im UN-Sicherheitsrat um eine neue Resolution, mit der die bislang für ein Jahr gewährte Ausnahme von der Strafverfolgung für die US-Truppen verlängert werden soll. Die USA hatten sich im vergangenen Jahr ursprünglich um einen dauerhaften Schutz vor der Strafverfolgung durch den IStGH bemüht, angesichts des internationalen Widerstands aber dann die kürzere Frist akzeptiert. Washington hat bislang bilaterale Abkommen mit 89 Ländern geschlossen, in denen diese zusichern, Amerikaner nicht an den Strafgerichtshof auszuliefern.

Menschenrechtsorganisationen erklärten, kein Land dürfe von der Strafverfolgung wegen Menschenrechtsverletzungen ausgenommen werden (siehe auch die unten stehende Erklärung von amnesty international). Der Sprecher der amerikanischen UN-Mission, Richard Grenell, sagte, die Besorgnis der USA reflektiere keinesfalls eine mangelnde Bereitschaft, Verbrechen zu ahnden. Washington sei jedoch der Ansicht, dass das Gericht nicht ausreichend gegen eine politische Einflussnahme geschützt sei. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erklärte, die USA wollten die Resolution so schnell wie möglich verabschieden, damit das Thema nicht die geplante Machtübergabe zum 1. Juli in Irak überschatte.

Im vergangenen Jahr war die Ausnahmeregelung für die USA mit zwölf zu null Stimmen angenommen worden. Frankreich, Deutschland und Syrien hatten sich enthalten. Beobachter rechnen bei einer neuen Abstimmung mit deutlich mehr Enthaltungen. Eine entsprechende Resolution war bereits ein Jahr zuvor, am 13. Juli 2002, verabschiedet worden (UN-SR-Resolution 1422 [2002]).

Das 1998 in Rom verabschiedete Statut des IStGH haben 90 Staaten ratifiziert. Die USA lehnen den Gerichtshof jedoch strikt ab, weil sie befürchten, dass US-Soldaten aus politischen Gründen angeklagt werden und willkürlicher Strafverfolgung ausgesetzt sein könnten.

Im Folgenden dokumentieren wir
  • die Stellungnahme von amnesty international vom 21. Mai 2004 und
  • die Resolution 1487 (2003) des UN-Sicherheitsrats vom 12. Juni 2003.


PRESSEMITTEILUNG von amnesty international Deutschland

Straffreiheit für UN-Missionen ist ungesetzlich - Deutschland muss sich gegen die Verlängerung der Resolution 1487 einsetzen!

Resolution nimmt UN-Einsätze von Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof aus / UN-Sicherheitsrat stimmt heute über erneute Verlängerung ab / Resolution verstößt gegen internationales Recht und das Statut des Strafgerichtshofes

Berlin, 21. Mai 2004 - Auch Beteiligte an UN-Einsätzen müssen sich grundsätzlich für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verantworten. Die Resolution 1487 des UN-Sicherheitsrats verstößt gegen internationales Recht und darf daher nicht erneut verlängert werden, forderte amnesty international am Tag der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat zum Thema. „Die deutsche Regierung muss an ihrer bisherigen Unterstützung des IStGH festhalten und sich dafür einsetzen, dass die Resolution nicht zustande kommt“, sagte Nils Geißler, Völkerrechtsexperte von amnesty international.

Der IStGH kann seit Juli 2002 Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ahnden. Die Resolution 1487 nimmt Beteiligte an UN-Einsätzen für die Dauer von 12 Monaten von der Verfolgung durch den IStGH aus, sofern sie aus Nicht-Vertragsstaaten stammen. Sie wurde im Juli 2002 erstmals verabschiedet und 2003 um ein Jahr verlängert. Die Resolution kam auf Druck der USA zustande. Sie hatten für den Fall der Ablehnung damit gedroht, alle friedenserhaltenden Maßnahmen der UN mit ihrem Veto zu blockieren. „Die Resolution hat eine Art Zweiklassenjustiz geschaffen, die das System der UN-Friedenseinsätze ernsthaft beschädigen kann“, sagte Nils Geißler.

„Die Resolution 1487 widerspricht dem Geist des Römischen Statuts des IStGH“, so Geißler weiter. Artikel 16 des Statuts sieht zwar vor, dass der Sicherheitsrat Ermittlungen und Anklagen zurückstellen darf. „Das darf aber nur ausnahmsweise geschehen, etwa wenn eine Anklage laufende Friedensverhandlungen beeinträchtigen könnte“, sagte Geißler. „Eine generelle Immunität soll es unter keinen Umständen geben.“

Die deutsche Regierung hatte bereits 2002 vor der Annahme der Resolution gewarnt und sich bei der Abstimmung im letzten Jahr gemeinsam mit Frankreich und Syrien enthalten. Enthalten sich insgesamt sieben Staaten, kommt die Resolution nicht zustande. Kandidaten für eine Enthaltung sind, neben Frankreich und Deutschland, Spanien, Brasilien, Benin und Rumänien. „Auch Großbritannien müsste sich als Mitgliedsstaat des IStGH enthalten, wird aber voraussichtlich erneut seine „Special Relationship“ zu den USA pflegen“, so Geißler.


A N H A N G

Resolution 1487 (2003)

verabschiedet auf der 4772. Sitzung des Sicherheitsrats am 12. Juni 2003*

Der Sicherheitsrat,

davon Kenntnis nehmend, dass das am 17. Juli 1998 in Rom verabschiedete Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (das Römische Statut) am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist,

betonend, wie wichtig die Einsätze der Vereinten Nationen für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit sind,

in Anbetracht dessen, dass nicht alle Staaten Vertragsparteien des Römischen Statuts sind,

in Anbetracht dessen, dass die Vertragsstaaten des Römischen Statuts sich dafür entschieden haben, die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs im Einklang mit dem Statut und insbesondere dem Grundsatz der Komplementarität anzuerkennen,

in Anbetracht dessen, dass die Staaten, die nicht Vertragspartei des Römischen Statuts sind, auch künftig im Rahmen ihrer nationalen Zuständigkeit ihren Verantwortlichkeiten in Bezug auf internationale Verbrechen nachkommen werden,

feststellend, dass vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingerichtete oder genehmigte Einsätze zum Zwecke der Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit disloziert werden,

ferner feststellend, dass es im Interesse des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist, es den Mitgliedstaaten zu erleichtern, zu den vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingerichteten oder genehmigten Einsätzen beizutragen,

tätig werdend nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen,

1. ersucht den Internationalen Strafgerichtshof, im Einklang mit Artikel 16 des Römischen Statuts, beim Eintreten eines Falles, an dem derzeitige oder ehemalige Amtsträ - ger oder Bedienstete eines zu einem Einsatz beitragenden Staates, der nicht Vertragspartei des Römischen Statuts ist, auf Grund von Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit einem von den Vereinten Nationen eingerichteten oder genehmigten Einsatz beteiligt sind, für einen Zeitraum von zwölf Monaten ab dem 1. Juli 2003 keine Ermittlungen oder Strafverfolgungen bezüglich eines solchen Falles einzuleiten oder durchzuführen, sofern der Sicherheitsrat nichts anderes beschließt; 2. bekundet die Absicht, das in Ziffer 1 enthaltene Ersuchen unter denselben Bedingungen an jedem 1. Juli um einen weiteren Zeitraum von zwölf Monaten zu erneuern, solange dies notwendig ist;

3. beschließt, dass die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen werden, die mit Ziffer 1 und ihren internationalen Verpflichtungen unvereinbar sind;

4. beschließt, mit der Angelegenheit befasst zu bleiben.

* Vorauskopie des Deutschen Übersetzungsdienstes, Vereinte Nationen, New York. Der endgültige amtliche Wortlaut der Übersetzung erscheint im Offiziellen Protokoll der Generalversammlung bzw. des Sicherheitsrats.


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