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Die neue Geografie des Welthandels

Der Ausbau des Panamakanals wird die Seeschifffahrt verändern – eine Zukunft vor allem für Spekulanten

Von Hermannus Pfeiffer *

Der Ausbau der legendären Wasserstraße durch Mittelamerika steht unter keinem guten Stern: Die Containerschifffahrt kriselt.

Émile Zola lieferten Finanzspekulanten in Panama die Vorlage für seinen Roman »Das Geld«. Kühne Visionen und böse Gerüchte in den Medien, Bilanzfälschungen und üppige Bestechungen hatten der französische Graf Ferdinand M. de Lesseps sowie seine Mitspieler in Aristokratie, Banken und Pariser Regierung eingesetzt, um den Bau eines interozeanischen Kanals in Mittelamerika voranzutreiben. Reiche Europäer steckten Milliarden Franc in Lesseps Fonds. Statt um Kap Hoorn sollten die Frachter aus Europa und den USA zukünftig mitten durch den amerikanischen Kontinent fahren, um sich den gefährlichen und teuren Umweg über tausende Seemeilen zu ersparen.

Der Diplomat de Lesseps hatte schon den finanziell erfolgreichen Suezkanal in Ägypten erbauen lassen. Die Panama-Ideen nahmen Gestalt an, als 1876 in Paris die »Société Civile Internationale du Canal Interocéanique« gegründet wurde. Mit Unterstützung der französischen Regierung wurde der damals 73-jährige de Lesseps zum Präsidenten der Gesellschaft ernannt. Seine Tochter Fernanda legte dann 1880 in der Mündung des Rio Grande den Grundstein, angeblich eine mit Sand gefüllte Champagnerkiste. Doch Planungsmängel, technische Pannen und Geldknappheit ließen das Projekt scheitern. 1889 wurden die Arbeiten eingestellt. Damit war eine der größten Skandale in der Finanzgeschichte perfekt: An die 100 000 Anleger verloren ihr üppiges Vermögen, Banken kollabierten, Politiker traten ab.

Doch die Beschleunigung des Kapitalismus verlangte nach weiteren maritimen Schnellstraßen. Zur Jahrhundertwende 1900 rollten Eisenbahnen weltweit schon auf einer Strecke von mehr als 200 000 Kilometern; die Zentren des Welthandels und des großen Geldes von Hamburg über Paris und London bis New York waren per Kabel im Sekundentakt vernetzt. Die Insolvenzverwalter der französischen Panamagesellschaft verkauften das Gelände an die USA. De Lesseps hatte über die Landenge einen 73 Kilometer langen, schleusenlosen Kanal bauen lassen wollen – angesichts des Höhenunterschieds von 24 Metern bedeutete dies »tiefes Baggern«. Die Nachfolger setzten dagegen 1905 auf einen fünf Kilometer längeren Kurs sowie auf Schleusen mit gewaltigen Ein- und Ausfahrtstoren – sie gelten noch heute als größte Betonbauwerke der Welt. Vorher hatte der Chefingenieur John Frank Stevens für etwas erträglichere Arbeitsbedingungen gesorgt, um erfolgreich wirken zu können. Am 15. August 1914, kurz nach Ausbruch des Weltkrieges in Europa, durchfuhr das Paketschiff »Ancona« dann als erstes den Panamakanal.

Inzwischen durchqueren Jahr für Jahr mehr als 10 000 Hochseeschiffe den legendären Kanal. Deren transportierte Warenmenge entspricht etwa fünf Prozent des Welthandels. Containerschiffe der »Panamax«-Klasse zahlen für die Abkürzung bis zu 150 000 Dollar. Doch der seit den 1980er Jahren stark wachsende Handel zwischen Asien, Nordamerika und Europa veränderte auch die Schiffsgrößen. Aus Sicht der Logistiker geht es dabei um Skaleneffekte: Auf den einzelnen Container heruntergerechnet, sinken die Transportkosten mit der Größe der Mega-Carrier. Für fast die Hälfte der heutigen Flottenkapazität ist der Panamakanal zu flach und zu eng.

Auf dem Höhepunkt des Schifffahrtbooms stimmte 2006 eine deutlich Mehrheit der Panamaer für den Ausbau des Kanals, der dem kleinen Land jährlich etwa zwei Milliarden Dollar an Gebühreneinnahmen beschert. Drei Jahre später gab die staatliche Autoridad del Canal de Panamá (ACP) einem vom spanischen Baukonzern Sacyr angeführten Konsortium den Zuschlag. Durch den Ausbau soll die neue »Panamax«-Klasse den Kanal passieren können. ACP hofft dadurch auf 5000 zusätzliche Schiffspassagen pro Jahr.

»Für viele Reeder schafft der Ausbau neue Bedingungen«, erklärt Kapitän Rahul Khanna, Chef der Marinesparte der Allianz-Versicherung, die geostrategische Bedeutung der Erweiterung. Die Geografie des Welthandels wird neu geschrieben: Dort, wo heute lediglich nicht ganz so große Pötte durchkommen – gleiches gilt für touristische Traumschiffe und die US-Navy –, sollen bald Riesenschiffe vorbeiziehen.

Zwischen der panamaischen Kanalgesellschaft und dem spanischen Baukonzern kam es im vergangenen Jahr zu lauten Streitigkeiten. Klar ist nun, der Ausbau wird deutlich teurer als die veranschlagten 5,25 Milliarden Dollar und ist nicht pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum fertig. Letzter Stand: Die neuen 427 Meter langen Superschleusen sollen im Juni kommenden Jahres in Betrieb gehen. Allerdings wird der erweiterte Kanal für die nächste Generation der Mega-Carrier mit bis zu 22 000 TEU schon wieder zu klein sein.

Nicht allein in Panama werden derzeit Millionen Kubikmeter Erdreich bewegt. Los Angeles, Baltimore und Miami vertiefen Hafenbecken und Fahrrinnen für die neue »Panamax«-Klasse und erweitern ihre Terminalflächen – 60 Prozent aller in US-Häfen abgewickelten Güter passieren laut Reederverband DRV den Kanal. Gigantische Containerbrücken wachsen auch in Mexiko in den Himmel. Hier hofft man auf noch mehr Verkehr aus Asien.

Selbst in Deutschland denkt man bei Reedern wie Hapag-Lloyd und Hamburg Süd oder den großen maritimen Logistikkonzernen wie Kühne und Deutsche Post über die sich wandelnde Geografie nach. Nach dem Ausbau des Panamakanals könnte der transportierte Warenwert auf mehr als eine Milliarde Dollar ansteigen – pro Tag.

Sicherheitstechnisch schneidet das Nadelöhr bisher bestens ab. In Kanälen ist das Streifen der Wände die häufigste Unfallursache. Daher sorgen in Panama bis zu sechs Lokomotiven dafür, dass jedes Schiff zentimetergenau in den Schleusenkammern festliegt. Das Ergebnis ist eine niedrige Unfallquote: ein Unglück pro 4000 Durchfahrten. Andere große Wasserstraßen schneiden deutlich schlechter ab. Angesichts der begrenzten Manövrierfähigkeit der Riesenschiffe werden aber Unfälle im »neuen« Panamakanal wahrscheinlicher. Die Allianz, einer der führenden Seeversicherer, weist in einer Studie auf wachsende Risiken hin – und dürfte die Versicherungsprämien erhöhen.

Einen richtigen Strich durch die Rechnung der Kanalbetreiber könnte aber die ausdauernde Weltschifffahrtskrise machen: Zu viele und zu große Containerriesen sowie Massengutfrachter balgen sich angesichts des seit sechs Jahren schwächelnden Welthandels um zu wenig Ladung. Die Folge sind niedrige Frachtraten, halb leer fahrende Schiffe und reihenweise Pleiten von Schiffsfonds. Die einst euphorischen Prognosen über den globalen Handel auf hoher See sind im Winde zerstoben. »Es ist schwer zu sagen, wie stark das Volumen wächst«, warnt die weltgrößte Reederei Maersk. Ungewiss auch, auf welche Routen die Logistikkonzerne ihre Warenströme lenken werden.

Es ist wie bei Zola: Auch hinter dem heutigen Ausbau des Panamakanals lauern Finanzzocker und andere Profiteure.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 15. August 2014


Die Globalisierung kam auf dem Seeweg

Über 90 Prozent der Gütermenge werden über die Ozeane transportiert – neuralgische Punkte sind die Meerengen und großen Kanäle

Von Kurt Stenger **


Der globale Frachtschiffsverkehr konzentriert sich auf einige wenige Hauptrouten. Dort gibt es zwei wichtige Abkürzungen über Land: den Suez- und den Panamakanal.

»Der Welthandel findet auf den Meeren statt«, stellte im Jahr 2011 der damalige Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière fest. Der CDU-Politiker versuchte, mit diesem jahrhundertealten Hut die zunehmenden Auslandsaktivitäten der Deutschen Marine vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Die Frachtschiffsentführungen am Horn von Afrika durch Piraten bedrohten seinerzeit die wirtschaftlichen Interessen der Exportnation Deutschland.

Schon frühere große Handelsnationen wie Venedig, Holland und England waren gleichzeitig Seemächte. Dies hat mit den geografischen Bedingungen auf der Erde zu tun: Zwischen den meisten Kontinenten gibt es keinen Landweg. Und ein Transport etwa zwischen Deutschland und China muss viele Ländergrenzen überwinden, was viel Zeit kostet und den Güterverkehr der jeweiligen politischen Lage ausliefert. Das Meer hat dagegen einen unschlagbaren Vorteil: Es ist ein internationales Gewässer, das schon kurz hinter dem Hafen keine Grenzen kennt. Diesen Vorteil bietet zwar theoretisch auch das Flugzeug – doch es ist für den Massengütertransport um ein Vielfaches teurer. Lediglich bei sehr hohem Warenwert je Gewichtseinheit lohnt sich die Luftfracht. Die Schweizer Luxusuhr ist also ein Fall für das Flugzeug. Hingegen werden Kohle aus Kolumbien, das Billig-T-Shirt aus China oder Europas Müllexporte per Schiff transportiert. Güterverkehr per Zug oder Lkw ist beim internationalen Handel meist nur der Transport vom bzw. zum Überseehafen.

Heute werden über 90 Prozent des Welthandels über die Meere abgewickelt, jährlich fast sieben Milliarden Tonnen. Das Gros konzentriert sich auf einige wenige Routen zwischen den großen Häfen in Europa, Japan, China, Singapur und an der Ostküste der USA. Um Kosten und Zeit zu sparen, nehmen alle Tanker, Massengutfrachter und Containerschiffe den kürzesten Weg. Stau gibt es an den Meerengen – wie den Straßen von Dover, Gibraltar, Malakka, Lombok und Hormus. Und auch an den künstlich angelegten Wasserstraßen, die beim Abkürzen über Land helfen. Die wichtigste ist der Suezkanal, über den mehr als zehn Prozent der weltweiten Seefracht (2012: 739,9 Millionen Tonnen) transportiert werden, vor allem Erdöl und Flüssiggas. Danach folgt der Panamakanal mit 221,6 Millionen Tonnen. Auf dem Nord-Ostsee-Kanal zwischen Brunsbüttel und Kiel verkehren zwar so viele Schiffe wie auf dem Panama- und Suezkanal zusammen, aber eher kleine Pötte – sie transportierten zusammen 104 Millionen Tonnen.

Der Welthandel hinterlässt natürlich auch seinen ökologischen Fußabdruck, der angesichts des gewaltigen Globalisierungsbooms seit den 1980er Jahren gar nicht so groß ist: Rund zehn Prozent trägt der Seeverkehr zu den CO2-Emissionen im Transportsektor bei. Beim Luftverkehr sind es dagegen zwölf Prozent und beim Straßenverkehr sogar 73 Prozent. Umweltprobleme entstehen vor allem im Meer selbst: durch Schwerölverschmutzung, Müll und Lärm. In Küsten- und Hafengebieten emittieren die Frachtschiffe große Mengen an Feinstaub und stellen ein großes Gesundheitsrisiko für die Anwohner dar. Verschrottet werden alte Schiffe meist an den Stränden von Indien, Pakistan und Bangladesch – unter katastrophalen Umwelt- und Arbeitsbedingungen. Die Schiffe enthalten tonnenweise Giftstoffe von Asbest und Blei über Schwermetalle bis zu Chemikalien wie PCB.

Umgekehrt hat die Umwelt auch Einfluss auf den Schiffsverkehr. So schafft die Erderwärmung potenziell neue Routen. Künftig könnten Schiffe zwischen Europa und China statt über die Suezkanalstrecke die Nordostpassage durch die Arktis nehmen. Das hätte den Vorteil, dass dort bislang keine Piraten gesichtet wurden.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 15. August 2014

Der normierte Schiffsverkehr

Ende der 1950er Jahre begann in den USA der Siegeszug des standardisierten Welthandels. Seither werden Waren in überall gleich großen Stahlboxen transportiert – den »Twenty Foot Equivalent Units« (TEU), die 5,9 Meter lang sowie je 2,4 Meter breit und hoch sind. Sie lassen sich effizient be-, ent- und umladen, stapeln und transportieren. Den Großteil der Strecke legen sie auf Containerschiffen zurück. Die größten waren lange Zeit die Riesen der »Panamax«-Klasse, die gerade noch durch die Schleusen des Panamakanals passen: Sie sind 294 Meter lang und können bis zu 5000 TEU transportieren. Die ersten Schiffe für bis zu 9000 TEU wurden Ende der 80er Jahre in Bremen und Kiel gebaut. Doch Länge, Breite und Tiefgang nahmen weiter zu. Die »Panamax-II«-Klasse für bis zu 14 000 Container erreicht fast die Länge von vier Fußballfeldern – sie entspricht den Dimensionen des ausgebauten Panamakanals. Doch Reedereien setzen auf den Hauptstraßen der Globalisierung noch größere Schiffe für 18 000 TEU und mehr ein. nd




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