Front gegen "Geier"
Vor BRICS-Treffen in Brasilien: Argentinien bei Ringen gegen Spekulantenfonds und US-Justiz nicht allein. Staatenmehrheit steht hinter Buenos Aires
Von Klaus Fischer *
Brasilien steht nicht nur für Fußball-Weltcup und trauriges Ausscheiden seiner Kicker. Wenn Anfang kommender Woche die FIFA-Fahnen eingerollt sind, kommen in Fortaleza die Staats- bzw. Regierungschefs der BRICS zu ihrem jährlichen Gipfeltreffen zusammen. In der Stadt im Nordosten des Landes stehen wichtige Beschlüsse, wie der zur Gründung einer eigenen Entwicklungsbank an. Und es wird erwartet, daß sich die Gruppe, gebildet aus Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika, mit Argentinien solidarisch erklärt. Das lateinamerikanische Land steht wegen der Umtriebe einiger Fondsgesellschaften und eines US-Gerichtsurteils vor der erneuten Staatspleite.
Noch im Mai hatte es nach einem Happyend für das zweitgrößte Land Südamerikas ausgesehen. Da einigten sich Regierung und der Pariser Club – eine informelle Organisation der Gläubiger – auf eine endgültige Beilegung des Schuldenstreits, der seit der Staatspleite 2001 schwelte. 9,4 Milliarden US-Dollar wollte Buenos Aires in zwei Tranchen zurückzahlen, die erste war bis noch im Juli fällig, die zweite 2015. Doch dann machte der Oberste Gerichtshof der USA dem Staat und dem Großteil von dessen Gläubigern einen Strich durch die Rechnung: Der Supreme Court bestätigte das Urteil eines New Yorker Richters, wonach Argentinien zuerst jene »Investoren« bedienen müsse, die eine Teilnahme an dem jeweils 2005 und 2010 vereinbarten Schuldenschnitt verweigert hatten.
Die Spekulanten unter Führung des New Yorker Hedgefonds NML des US-Milliardärs Paul Singer hatten die argentinischen Schuldverschreibungen zu einem Bruchteil ihres Nominalwertes gekauft, auf Rückzahlung der kompletten Nennwert-Summe plus Zinsen geklagt – und gewonnen. Es geht um umgerechnet 1,1 Milliarden Euro.
Nun kann der Staat am Rio de la Plata nicht beides gleichzeitig: Hedgefonds und die übergroße Mehrheit der restlichen Gläubiger bedienen. Zahlt man den »Geierfonds« (so nannte sie Staatspräsidentin Cristina Kirchner) ihren richterlich verordneten Spekulantenbonus, platzt der Deal mit dem Pariser Club. Ein Dilemma, das die Regierung mit Vertröstung der einen und Vereinbarungen mit den »Geiern« zu umgehen sucht. Letztere könnten auf Teile ihrer Forderungen und die umgehende Zahlung verzichten, aber danach sieht es bisher nicht aus.
Grundsätzlich steht indes die Frage: Kann ein US-Richter über das Schicksal eines Landes und des globalen Schuldenmanagements befinden? Richtig ist, daß die Anleihe einst bewußt auf US-Dollar lautend emittiert worden war. Und Argentinien muß haften – auch wenn das ganze Prozedere unter dem neoliberalen Präsidenten Carlos Menem zustande kam – mit dem und dessen »Konzept« die heutige Regierung außer der Parteizugehörigkeit (Peronisten) wenig am Hut hat. Inzwischen hat die Mehrzahl der Staaten dieser Welt entschieden, daß die Ausgangsfrage mit Nein zu beantworten ist.
Das erste Votum kam von der Gruppe der 77 – einem losen Zusammenschluß von Entwicklungs- und Schwellenländern. Die dort vereinten 134 Staaten stellten sich am 25. Juni demonstrativ hinter Argentinien: Die Gruppe innerhalb der Vereinten Nationen habe beschlossen, dem Richter Thomas Griesa und der US-Regierung ihre Sorge über den Fall mitzuteilen, hatte Argentiniens Wirtschaftsminister Axel Kiciloff an dem Tag mitgeteilt. Zugleich hatte Basiliens UN-Botschafter Antonio Patriota das Griesa-Urteil auf dem G-77-Gipfel Mitte Juni in Bolivien als eine irrationale Legalisierung des »unverantwortlichen Verhaltens« der Hedgefonds bezeichnet.
Vergangene Woche bekräftigte die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mit großer Mehrheit die G-77-Auffassung. Die OAS will verhindern, daß Argentinien willkürlich in die erneute Pleite getrieben wird. Auf einer Sondersitzung der Staatengruppe in Washington betonten die Außenminister Agenturberichten zufolge, daß es von zentraler Bedeutung für die Stabilität der internationalen Finanzen sei, die Verpflichtungen der staatlichen Umschuldungen wie vereinbart umsetzen zu können. Das war allerdings nicht im Interesse des OAS-Mitgliedes USA. Deren Regierung bemühte das staatsrechtliche Konstrukt der »Gewaltenteilung« und ließ verkünden, sie könnten nicht für die Erklärung stimmen. Das Thema liege in den Händen der Justiz, hieß es in einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa. Auch Kanada enthielt sich der Stimme. Kiciloff hatte auf der Sitzung die Staatenorganisation aufgefordert, in den Streit mit den Hedgefonds einzugreifen. Das Urteil gefährde die gesamte internationale Finanzierung. Argentinien wolle alle Gläubiger bezahlen, brauche aber dafür »gerechte, ausgewogene und legale« Bedingungen, sagte der Minister.
OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza bezog sich laut dpa auf der Sitzung auf die umtriebigen Rettungsaktionen privater Finanzkonzerne in den Industriestaaten. Großbanken seien in Krisensituationen unter dem Motto »too big to fail« (zu groß, um zu scheitern) gerettet worden. Eine Staatspleite mit ihren sozialen Folgen werde jedoch nie als »too big« erklärt, sagte der ehemalige Außenminister Chiles. Argentinien müsse geholfen werden.
Argentinien hat zwei Endspiele in Aussicht: Eines beim Fußball, das entscheidende aber beim Match gegen Finanzspekulanten und US-Justiz. Ein deutliches Votum der BRICS-Staaten wäre für den Ausgang des letzteren nicht unwichtig.
* Aus: junge Welt, Freitag, 11. Juli 2014
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