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Demokratie als Horizont

Frankfurter Buchmesse: Jean Ziegler und der Hass auf den Westen

Von Hans-Dieter Schütt *

Jean Ziegler regt sich auf. Das hat noch immer Kraft, und das ist seine Berufung. »Der Hass auf den Westen« heißt das neue Buch des Schweizer UN-Granden im Dienst der Erniedrigten. Er sitzt auf dem »Blauen Sofa« des ZDF und fegt schön lautstark durch die appellarischen Weiten seiner unbesieglichen Hoffnung. Die Profitgier der Großkonzerne habe zwar den Planeten verbrecherisch im Griff, und die ausbeutende Logik des Weltkapitals sei leider stärker als jede Demokratie, dennoch: Aus dem Süden der Erdkugel, aus Zentren der Unterdrückung wachse Hass, der sich seinen weltverändernden Ausdruck suchen wird.

Den Kapitalismus hält Ziegler für nicht »zivilisierbar«, er muss weg, und plötzlich rauscht das Wort »Kommunismus« durch den Raum zwischen Halle 6 und 4, nein, nicht im Sinne des »Polizeistaatssozialismus«, der 1989 weggepustet wurde, von jenem »Luftstrom, der entsteht, wenn Völker aufgeatmet haben«. Kleiner Widerspruch, wenn Ziegler dann aber Nordkoreas, Kubas, Chinas Staatsführungsart in sein Hoffnungspathos einbezieht. So formt sich die Wahrhaftigkeit seines Auftritts: Ein Mensch ist einerseits stark in seinem Kampf gegen die Bedrängnis durch »kapitalistische Tyrannei, Barbarei«, zugleich offenbart sich in dieser Emphase aber auch Gebrechlichkeit – nämlich aller Entwürfe, die sich aus dem Ruin der Großen Linken Ideen als schöner, nicht fassbarer Nebel herübergerettet haben, ins Wünschen von den ganz anderen Weltverhältnissen.

Der dritte Weg?, fragt Moderator Wolfgang Herles. Der dritte Weg! Er beginnt, indem die erste Welt ihre Sackgasse gesteht. Im Grunde antwortet Ziegler, als interessiere nur der siebente Sinn, und seiner der sieht, als Lösung, überall »die Demokratie als einzigen Horizont«. Jene einzig hilfreiche politische Umgangsform, die immer auch am ohnmächtigsten scheint, »aber in der Demokratie gibt es keine wirkliche Ohnmacht«, nur eben diese verfluchte Langsamkeit, mit der sie vorwärtskommt.

Der Autor sieht die künftige Umwandlung von Hass in Politik nicht im »pathologisch motivierten« Terror, der Gesellschaften zerstört, sondern in einem »von Vernunft geleiteten Zorn«, der Gesellschaften umbaut. Schädlich in diesem Prozess: die Doppelzüngigkeit des Westens, der ins Fremde hinein Menschenrechte anmahnt, zugleich aber aus »taktierendem Egozentrismus« Diktaturen unterstützt, Kriege führt, den Hunger von Millionen ignoriert.

Zieglers antikapitalistischer Trompetenstoß hat etwas von Verzweiflungsheiterkeit, von guter Kondition im Trotz. Man hört ihn und weiß, was für die bessere Welt nötig ist. Man hört ihn und weiß aber auch: Das Nötige ist das schwer Mögliche. Die Not einer Welt, die so ist, kann kaum größer sein.

Der Umsturz wird wohl aus unbekannten Richtungen kommen, und das möglicherweise in Momenten, da die Weisheit mehr aus Steinen als aus Büchern kommt.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Oktober 2009

Siehe auch:
Die Schizophrenie des Westens
Globalisierungskritiker Jean Ziegler: Wir müssen aufhören, so arrogant zu sein / Buchvorstellung "Der Hass auf den Westen" (12. September 2009)


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