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Schwierige Gespräche in Genf

Tauziehen um die Regeln für eine weitere Liberalisierung des Handels mit Agrar- und Industriegütern - Globalisierungskritische Bewegung für Abbruch der Verhandlungen

Am 21. Juli 2008 begannen in Genf neue Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde der WTO. Wir dokumentieren hier eine Reihe von Artikeln.



Neuer Anlauf für Welthandelsrunde

Die Handelsminister der WTO-Mitgliedstaaten treffen sich ab heute in Genf

Von Annegret Mathari, Genf *


Die heute beginnenden Gespräche über mehr Freihandel mit Agrar- und Industriegütern gelten als letzte Chance für einen raschen Abschluss der Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO).

Die Handelsminister der WTO-Mitgliedstaaten kommen heute zu voraussichtlich einwöchigen Gesprächen in Genf zusammen. Ziel des Treffens am Sitz der Welthandelsorganisation ist, die Regeln für eine weitere Liberalisierung des Handels mit Agrar- und Industriegütern festzulegen. Zu den Kernelementen der bereits 2001 in der katarischen Hauptstadt Doha begonnenen Runde zählen konkrete Formeln für Zollkürzungen bei Agrar- und Industriegütern sowie für den Abbau von Agrarsubventionen reicher Länder.

Für WTO-Generaldirektor Pascal Lamy ist das Treffen die letzte Möglichkeit, eine Einigung noch vor dem Wechsel der US-Regierung im Januar zu erreichen. Andernfalls dürfte die Doha-Runde für längere Zeit auf Eis liegen. Und die Zeichen für eine Einigung stehen nicht schlecht: Nach Meinung westlicher Diplomaten hätte Lamy ansonsten kein WTO-Treffen auf höchster Ebene einberufen.

Direkt verhandeln werden in Genf die Handelsminister von rund drei Dutzend Ländern. Sie sollen die Interessen aller Mitgliedstaaten vertreten, darunter die Gruppen der Industrie-, Agrarexport- und Agrarimportländer. Die übrigen der insgesamt 153 Mitgliedstaaten werden in Genf auf weiteren Sitzungen informiert und können die Vorschläge billigen oder ablehnen. Beschlüsse werden bei der WTO durch Konsens gefasst.

Grob gesagt geht es darum, dass die großen Industrieländer ihre Agrarmärkte durch einen Zollabbau öffnen und damit den Schutz ihrer Landwirtschaft reduzieren. Im Gegenzug sollen sie für ihre Industriegüter einen besseren Marktzugang in Schwellen- und Entwicklungsländern erhalten. Auf Ministerebene wird zudem über Dienstleistungen verhandelt. Dabei sollen rund 25 Länder, die ein großes Interesse an solchen Gesprächen haben - darunter die USA und die EU-Staaten -, Angaben über geplante Verbesserungen ihrer Dienstleistungsofferten austauschen, ohne Beschlüsse zu fassen. Vor allem die Regierungen in Washington und in der EU bestehen darauf zu erfahren, was sie bei den Dienstleistungen erhalten werden, bevor sie einem Abkommen über den Abbau von Agrar- und Industriezöllen zustimmen.

Grundlage der Verhandlungen sind überarbeitete Textentwürfe zum Agrar- und Industriedossier, die bisher von keinem Land als Diskussionsbasis abgelehnt wurden. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass viele Länder kurz vor dem Ministertreffen nochmals ihre Maximalforderungen hervorheben. So begrüßte die EU-Kommission in einer ersten Stellungnahme zwar die positiven Schritte in den neuen Verhandlungstexten und betonte, es müssten immer noch »bedeutende Lücken« überbrückt werden. »Wir engagieren uns in den Verhandlungen, aber wir brauchen ernsthafte Bemühungen von unseren Handelspartnern, um ein ausgewogenes Abkommen zu erreichen«, erklärte ein Sprecher von EU-Handelskommissar Peter Mandelson.

Die USA forderten die führenden Schwellenländer auf, entsprechend ihrer gestärkten Position in der Weltwirtschaft Angebote zur Öffnung ihrer Märkte für Industriegüter zu machen. Die Regierung Brasiliens, die die Gruppe der Agrargüter exportierenden Schwellenländer anführt, forderte ihrerseits die reichen Länder auf, ihre Handelschranken abzubauen.

Nach Angaben von Diplomaten wurden bei den Agrarverhandlungen seit Sommer 2007 bereits einige Fortschritte erreicht. Umstritten sind allerdings die Beihilfen in den USA, die Exportprodukte wie Baumwolle oder Reis künstlich verbilligen, wodurch die Produktion in Entwicklungsländern beeinträchtigt wird. Auch bei den Verhandlungen über Industriegüter gehen die Positionen teils noch stark auseinander. Zahlreiche Länder des Südens nahmen ihre Kompromissbereitschaft zurück, um den Druck in den Agrarverhandlungen zu erhöhen. Für Genf werden daher erneut harte Verhandlungen erwartet.

Contra Freihandel

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat einen Abbruch der WTO-Verhandlungen sowie einen Paradigmenwechsel in der Handelspolitik von Bundesregierung und EU-Kommission gefordert. »Während weltweit Hunger, explodierende Nahrungsmittelpreise, Klimawandel, Rohstoffkriege und die Finanzkrise das Versagen der neoliberalen Globalisierung offensichtlich machen, drängt die WTO auf eine weitere Liberalisierung des Welthandels«, kritisierte Johannes Lauterbach von der WTO-AG von Attac. Die Forderungen, die jetzt in Genf verhandelt werden, würden die Lage vieler Länder des Südens verschärfen und dringend benötigte Spielräume zur Lösung der Krisen zerstören. ND



* Aus: Neues Deutschland, 21. Juli 2008


Kein Fortschritt bei WTO-Gesprächen

Höhe der erlaubten Agrarsubventionen noch immer strittig / Entwicklungsländer unzufrieden

Von Aileen Kwa, Genf **


Bei der Welthandelsorganisation (WTO) gibt es offenbar keine signifikanten Fortschritte bei den Agrarverhandlungen, auch wenn WTO-Chef Pascal Lamy immer wieder davon spricht, dass sich ein Ende der Gespräche abzeichnet.

Ende 2001 wurde in der Wellthandelsorganistaion (WTO) hochtraben die sogenannte Entwicklungsrunde gestartet. Die Industrieländer kündigten an, den Entwicklungsländern entgegenzukommen. Seit 2006 steht die Runde offiziell still, während hinter den Kulissen versucht wird, die Blockade aufzulösen. Die Diskussionen über strittige Themen wie die Agrarsubventionen der USA sind noch lange nicht vorbei, heißt es aus den Reihen der Entwicklungsländer. »Es hat in den letzten Monaten Fortschritte bei den Landwirtschaftsverhandlungen gegeben, geschafft aber haben wir es keineswegs«, sagte ein afrikanischer Delegierter gegenüber IPS. »Wir haben noch viel Arbeit vor uns«, bekräftigte ein weiterer WTO-Experte aus dem Süden.

Ganz offenkundig zeichne die WTO-Spitze um Chef Pascal Lamy ein falsches Bild. Als Beispiel nannte der Delegierte die jüngsten Verhandlungen über den sogenannten speziellen Sicherheitsmechanismus SSM in den Landwirtschaftsgesprächen, der Entwicklungsländern helfen soll, ihre Märkte zu schützen. Die Unterredungen seien gerade ohne Ergebnis ausgelaufen. Das habe auch der Leiter der Agrarverhandlungen, Crawford Falconer, einräumen müssen.

Ein Problem sind die in der Gesprächsvorlage von Falconer vorgeschlagenen erlaubten USamerikanischen Agrarsubventionen in einer Größenordnung von 13 Milliarden bis 16 Milliarden USDollar. Der noch näher zu bestimmende Satz ist den Entwicklungsländern entschieden zu hoch angesetzt, den USA aber nicht hoch genug, obwohl er Washington eine Verdoppelung der derzeitigen landwirtschaftlichen Hilfen erlauben würde. Gegenwärtig unterstützt die US-Regierung ihre Bauern mit 7,5 Milliarden Dollar pro Jahr.

Nach dem Ende der jüngsten Gespräche sagte der indische Handelsminister Kamal Nath: »Würden die USA nur um einen Dollar heruntergehen, wäre der Deal perfekt.« Aber Washington bewege sich keinen Millimeter.

Nicht voran kommen auch die Verhandlungen über tropische Produkte und Handelspräferenzen etwa im Rahmen der EU-Gespräche über die Liberalisierung des Handels mit den Staaten im afrikanisch-karibisch-pazifischen Raum (AKP). Zucker und Bananen machen immer wieder Schlagzeilen, zu Risikoprodukten aber gehören auch eine ganze Reihe von frischen und getrockneten Früchten, Ölen und Waren wie Vanille, die in wesentlich kleinerem Maßstab gehandelt werden.

Ebenso stagnieren die Verhandlungen über den Marktzugang für nicht-landwirtschaftliche Produkte (NAMA). Hier haben sich sehr unterschiedliche Anforderungen an die Zollsenkungen im Norden und im Süden als Hindernis erwiesen. Nach einem Bericht des »South Centre« wird von den Staaten in der NAMA-11-Koalition, zu der Länder wie Ägypten, Argentinien, Brasilien, Indien, Namibia, Südafrika, Tunesien gehören, eine Senkung von 45 bis 60 Prozent erwartet, von den reichen Staaten aber nur ein Abbau um 30 Prozent. Gewerkschaften aus den NAMA-11-Staaten warnten ihre Handelsminister unlängst in einem Schreiben davor, dass der NAMA-Text in seiner jetzigen Form die Arbeitslosigkeit fördern und die industrielle Entwicklung behindern würde.

Umstritten sind auch die im NAMA-Entwurf vorgesehen sogenannten Flexibilitäten für einige Tariflinien. Sie räumen zwar geringere Einschnitte ein, beschränken den Vorteil aber wiederum durch Restriktionen des Handelsvolumens. Wie ein Experte erläuterte, können die Flexibilitäten theoretisch durchaus für zwölf bis 14 Prozent der Tariflinien gelten, sind dann aber nur auf sieben Prozent anzuwenden, weil damit die Obergrenze für das zu begünstigende Handelsvolumen erreicht ist. In dieser Situation verlangt der gemeinsame Markt des Südens MERCOSUR – bestehend aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – Flexibilität für 16 Prozent der Tariflinien der Zollunion ohne jegliche Beschränkungen durch Bestimmungen zum Handelsvolumen.

»Für uns ist die Umsetzung dieser Forderung eine Alles-oder-Nichts-Frage. Bekommen wir kein grünes Licht, setzen wir uns gar nicht erst an den Verhandlungstisch«, sagte ein MERCOSURUnterhändler bei der WTO in Genf. Nicht weniger als solche Klippen verärgert die NAMA-11-Staaten eine Klausel, die zunächst den Schutz ganzer Produktkategorien verhindern sollte und jetzt auch auf Unterkategorien angewendet werden soll. »Warum sollten wir uns darauf einlassen. Auch die EU schützt ganze Bereiche etwa in der Landwirtschaft.« IPS

WTO: EU will Agrarzölle senken

Reduzierung um 60 Prozent angeboten **

In der festgefahrenen Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) hat die EU den Entwicklungs- und Schwellenländern eine Senkung ihrer Agrarzölle um durchschnittlich 60 Prozent in Aussicht gestellt. Das kündigte ein Sprecher des EU-Chefunterhändlers und Handelskommissars Peter Mandelson am Montag in Genf an. Im Gegenzug verlangt Brüssel Zugeständnisse der Entwicklungsländer, insbesondere, was die Öffnung ihrer Märkte für Agrar- und Industrieprodukte aus Europa angeht. Die US-Handelsbeauftragte Susan Schwab forderte vor allem die Schwellenländer zu einer Öffnung ihrer Märkte auf. In Genf verhandeln Vertreter von 35 WTOStaaten über den Abschluss der 2001 begonnenen Doha-Handelsrunde.

Mandelson-Sprecher Peter Power sagte, die angebotene Senkung um 60 Prozent sei eine »substanzielle Verbesserung« und werde die Verhandlungen voranbringen. Zuvor hatte das Angebot bei einer Senkung um 54 Prozent gelegen. Mandelson hatte bereits dies als »schmerzhaft« bezeichnet, aber erklärt, Brüssel sei dazu bereit, um einen erfolgreichen Abschluss der Runde zu gewährleisten. WTO-Direktor Pascal Lamy sagte in Genf, die 152 Mitgliedstaaten stünden »kurz vor einem entscheidenden Schritt, um die Doha-Runde in diesem Jahr abzuschließen«.

** Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2008




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