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Eine Studie aus dem Entwicklungshilfeministerium zeigt: Die Tobinsteuer ist machbar

ATTAC wertet Studie als Erfolg - Aber scharfe Kritik an EU-Report zur Globalisierung

ATTAC äußerte sich im letzten Rundbrief (25. Februar 2002) positiv über eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie zur Tobin-Steuer, die das Entwicklungshilfeministerium in Auftrag gegeben hatte.:

"Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul hat letzte Woche in Berlin eine Machbarkeitsstudie zur Tobinsteuer vorgestellt, die der Finanzökonom und ehemalige Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF), Paul B. Spahn für das BMZ verfasst hat. Die Studie widerlegt die wesentlichen Einwände gegen die Tobinsteuer und zeigt deren Machbarkeit. Jetzt geht es nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Zu diesem Erfolg hat auch die hartnäckige Arbeit von Attac und deren Mitgliedsorganisationen WEED und Kairos beigetragen.

Die Studie schlägt über die eigentliche Tobinsteuer hinaus vor, dass Transformations-, Schwellen- und Entwicklungsländer sowie Industrieländer, die sich außerhalb der großen Währungsräume befinden, eine Zusatzsteuer erheben können. Durch eine solche automatische Anpassung der Steuer wird das Entstehen spekulativer Blasen oder spekulativer Attacken verhindert.

Die Studie macht auch klar, dass es zur Einführung der Tobinsteuer keineswegs notwendig ist, dass alle Länder mitmachen. Sie kann, so Spahn, "von den einzelnen OECD Staaten einzeln oder - besser - als Gruppe etwa im Rahmen der EU, eingesetzt werden."

Die Studie im Internet:
Machbarkeitsstudie
(Das Dokument lässt sich offenbar nur mit einer neuen Acrobat Reader-Version öffnen!)


Die folgende Stellungnahme von Attac haben wir der Homepage von ATTAC entnommen (http://www.attac-netzwerk.de/tobin/euattacctt.php)

ATTAC zum EU-Report Globalisierung:
  • Keine überzeugenden Argumente gegen die Tobin Steuer
  • Erfolg der Globalisierungskritiker
Brüssel, 18. Februar, 2002

Die europäischen Gruppen der internationalen Attac-Bewegung veröffentlichen folgende Erklärung zum Bericht der EU-Kommission “Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung”:

Der Bericht ist über weite Strecken ein interessantes Dokument und kann als Basis für eine ernsthafte Diskussion dienen. Bezüglich des internationalen Währungs- und Finanzsystems erkennt die Kommission zum ersten Mal die Existenz von systembedingten Problemen an, die mittlerweile zu einer “wachsenden Häufigkeit und Intensität von Finanzkrisen mit erhöhter Ansteckungsgefahr und dem Risiko der self-fulfilling prophecy“ führen. Sie gesteht außerdem ein, dass vor allem Entwicklungsländer in den letzten zehn Jahren durch solche Krisen schwer getroffen wurden und dass dies in erster Linie auf die immanenten Mängel des internationalen Finanzsystems zurückzuführen ist und weniger auf schlechte Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Länder.

Darüber hinaus gibt der Bericht einen ausführlichen Überblick über die aktuell geführte Diskussion zur Reform der internationalen Finanzmärkte, ohne automatisch die Vorschläge von Kritikern der neoliberalen Globalisierung abzulehnen. ATTAC betrachtet dies als einen Erfolg der Bewegung und als Ermutigung, die Kampagne für eine Regulierung der Finanzmärkte mit noch größerer Energie fortzusetzen. Dennoch muss auf die vielen Schwächen, Auslassungen und fehlerhaften Argumente in dem Bericht hingewiesen werden. Dazu gehören vor allem die Passagen, die sich mit der Frage der Devisenumsatzsteuer (sog. Tobin Tax und ihre Varianten, engl. Abk.: CTT) befassen. Die Kommission argumentiert hier folgendermaßen:
  • Erstens, würde die Steuer das Volumen der Devisentransaktionen und somit die Liquidität der Märkte reduzieren. Dies würde dann zu einer höheren, statt geringeren Volatilität der Wechselkurse führen.
  • Zweitens, die Devisenumsatzsteuer würde zu höheren Spreads (Spanne zwischen Angebot und Nachfrage) führen, die das Volumen der Arbitrage-Geschäfte verringern und damit die Bildung von gleichen Wechselkursen zwischen zwei Währungen an verschieden internationalen Handelsplätzen verhindern.
  • Drittens, die Devisenumsatzsteuer würde den elektronischen Devisenhandel in erhöhtem Maße fördern und so zu einer größeren Konzentration im Bankensektor führen.
  • Viertens, die CTT würde von allen Wirtschaftsagenten - Exporteure und Importeure - bezahlt werden, wobei die Nachteile für die Importeure die Vorteile des geringeren Wechselkursrisikos ausgleichen würden.
  • Fünftens, die Devisenumsatzsteuer wäre keine wirkungsvolle Maßnahme gegenüber spekulativen Attacken, bei denen das Risiko auf hohe Wechselkursschwankungen gesetzt und kurzfristige Spekulationsgewinne erzielt werden.
Alles diese Argumente sind bereits in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert worden - und jedes einzelne ist widerlegt.

Die Gegenargumente lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
  1. Ja, die Devisenumsatzsteuer wird das Volumen des Devisenhandels verringern. Dies ist ja gerade ihr Zweck. Sie ist ein Instrument, das die Überliquidität der Märkte, die 50 mal höher ist als Welthandel und Auslandsinvestitionen es erfordern. Diese exzessive Liquidität ist ein Grund der Instabilität, da sie für den Handel und Investitionen nicht notwendig ist und verwendet wird, und folglich dazu eingesetzt wird, Renditen durch Spekulation auf Wechselkursschwankungen zu erzielen. Dadurch werden Kursschwankungen ohne jegliche realwirtschaftliche Grundlage erzeugt. Die Stabilität des internationalen Währungssystems wird davon profitieren, wenn der Umfang dieser Spekulationen eingeschränkt wird. Andererseits ist nicht zu befürchten, dass diese Einschränkung so groß sein wird, dass sie die Liquidität beeinträchtigt, die für ein reibungsloses Funktionieren des internationalen Handels und der Investitionstätigkeiten notwendig ist. Die Liquidität muss natürlich über deren Umfang hinausgehen. Die Gefahr, dass eine geringe Steuer von 0,1% den gesamten Umfang des Devisenhandels um 83% verringern würde ist weit übertrieben. Das französische Finanzministerium, das diese Zahl in die Welt gesetzt hat, hat nie die empirische Basis offen gelegt, die dieser Zahl zu Grunde liegt.

    Aber auch im Fall eines starken Rückgangs des Devisenhandels gibt es keinen Grund zur Annahme, dass eine höhere Volatilität die Folge sein würde. Denn Volatilität wird - soweit dies bekannt ist - bei Unsicherheit der Erwartungen und/oder Liquiditätsknappheit ausgenutzt. Da die Devisenumsatzsteuer die Erwartungen stabilisieren und trotz Rückgangs des Handelsvolumens keine Geldknappheit verursachen wird, gibt es keinen Grund, eine höhere Volatilität zu erwarten.
  2. Ja, die Devisenumsatzsteuer wird den Umfang der Arbitrage-Geschäfte reduzieren. Diese Geschäfte werden oft als nützliche Operation betrachtet, weil sie unabhängig von der geographischen Lage der Märkte zu einem einheitlichen Wechselkurs zwischen zwei beteiligten Währungen führen. Tatsächlich lässt sich Arbitrage nur schwer von Spekulation unterscheiden. Im Gegensatz zur Vermutung der Kommission werden Arbitrage-Geschäfte durch eine CTT nicht unterbunden. Es werden nur größere Margen zwischen den Wechselkursen für Käufer und Verkäufer entstehen. Dies war die gängige Praxis in den 60er und 70er Jahren, ohne, dass sie dem produktiven Sektor irgendeinen Schaden zufügte - ganz im Gegenteil. Andererseits werden die Banken weniger Profite erzielen, und das ist es eigentlich, was sie so aufregt.
  3. Beim Thema internationalen Devisenhandel hinkt die Analyse des Berichtes hinter der realen Entwicklung her. Mittlerweile wird - ohne die Devisenumsatzsteuer - schon mehr als 90% des Devisenhandels elektronisch abgewickelt, und die Zahl der teilnehmenden Banken verringert sich konstant. Dies gilt auch für die Transaktionen zwischen den Banken und ihren Kunden. Wenn die Kommission der Meinung ist, dass die wachsende Konzentration im Bankensektor schädlich ist, warum ergreift sie dann keine Gegenmaßnahmen? Hier wäre eine Gelegenheit, in der die Europäische Kommission aus wettbewerbs- und kartellrechtlichen Gründen gegen die Märkte einschreiten könnte. Auf jeden Fall gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass die Einführung der Devisenumsatzsteuer in irgendeiner Weise den Konzentrationsprozess und den elektronischen Handel beschleunigen würden. Demgegenüber wäre die Einführung der Devisenumsatzsteuer umso leichter, je stärker der internationalen Devisenmarkt konzentriert und hochgradig elektronisch organisiert ist.
  4. Die Steuer würde in erster Linie von den Banken entrichtet werden müssen, da sie die einzig legalen Akteure im Großhandel mit Devisen sind. Teilweise würde sie auch von Bankkunden aufgebracht werden müssen, z.B. Unternehmen, Versicherungsgesellschaften, Investmentfonds, darunter Hedgefonds, aber nicht von Einzelpersonen, die von der Steuer ausgenommen sind. Da diese Kunden in gleicher Weise spekulieren wie die Banken, ist es nur fair, wenn sie die Devisenumsatzsteuer zahlen. Ohne die Spekulation von Bankkunden und die daraus resultierenden Probleme für Devisengeschäfte zu Handels- und Investitionszwecken, wären die Kosten der Steuer minimal und würden produktive Operationen nicht beeinträchtigen. Man muss darüber hinaus berücksichtigen, dass eine Stabilisierung der Wechselkurse als Folge der Devisenumsatzsteuer vergleichsweise geringere Kosten für die Absicherung von Wechselkursrisiken Kurssicherungsgeschäfte bei schwächeren Währungen mit sich bringen würde, und dass diese Einsparungen sehr gut größer sein kann, als die Kosten einer Devisenumsatzsteuer. Geringere Hedging-Kosten sind besonders wichtig für die Entwicklungsländer, (die auch die meisten Steuereinnahmen bekommen würden).
  5. Die Argumente gegen die Wirksamkeit der Devisenumsatzsteuer bei Währungsturbulenzen sind ebenfalls nicht überzeugend. Sie zeigen auch, dass die Kommission nicht wirklich auf dem Stand der Debatte ist. Die Befürworter der Devisenumsatzsteuer schlagen seit langem eine Steuer auf zwei Ebenen (oder eine Steuer mit variablen Steuersätzen) vor. Dieses würde folgendermaßen funktionieren: In ruhigen Zeiten niedriger Wechselkursschwankungen würde die Steuer sehr gering sein, ca. 0,1% oder weniger. Würden die Wechselkursschwankungen infolge Spekulationen jenseits eine bestimmte Grenze überschreiten, tritt automatisch eine höhere Steuer in Kraft, die ggf. ein prohibitiv hohes Niveau erreichen könnte und als „Stromkreisunterbrecher“ wirkt. Dieses Konzept einer Devisenumsatzsteuer, das weit über die ursprüngliche Idee von James Tobin hinausgeht, würde es ermöglichen, auch heftige Spekulationsattacken wirksam zu bekämpfen. Es ist außerordentlich bedauerlich, dass die Kommission die Idee einer zweistufigen Steuer zwar erwähnt, allerdings deren innovativen Charakter offenbar nicht erkennt. Die Idee einer flexiblen Steuer ist die überzeugende Antwort genau auf ihre Einwände.
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Kommission nicht ein einziges neues Argument präsentiert, und vor allem kein einziges ernsthaftes Argument gegen die Machbarkeit, den Nutzen und die Attraktivität der Devisenumsatzsteuer bringt. Dies bestärkt uns in der Überzeugung, dass die EU umso dringlicher die Initiative ergreifen sollte, die Devisenumsatzsteuer in Europa einzuführen. Dies ist kein technisches Problem, sondern eine Frage des politischen Willens.

Übersetzung: Annette Sudek


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