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Etappensiege

Vandana Shiva über Erd-Demokratie

Von Gerhard Klas *

Im Vergleich zur Inderin Vandana Shiva, Trägerin des alternativen Friedensnobelpreises und Quantenphysikerin, nehmen sich viele westliche Kritiker der Globalisierung handzahm aus. In ihrem jüngsten, in Deutsch erschienenen Buch geht sie schon auf den ersten Seiten in medias res. Sie richtet keine moralischen Appelle an die Mächtigen dieser Welt, sie mögen doch bitte verantwortlich mit ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht umgehen. Sie spricht ihnen ohne Umschweife das Recht ab, wichtige Ressourcen wie Saatgut, Land und Wasser für privatkapitalistische Interessen auszubeuten. Dem kapitalistischen Eigentumsbegriff stellt sie das alte Konzept der Allmenden, des Gemeineigentums, entgegen.

Shivas Focus liegt auf der Landwirtschaft und beschäftigt sich mit dem Alltag von mehr als einer Milliarde Kleinbauern, die durch die industrialisierte Landwirtschaft des Westens in ihrer Existenz bedroht sind. Sie führt zahlreiche Beispiele und Fakten an, die meisten stammen aus Indien, wo nach wie vor 700 Millionen Menschen auf dem Land leben. Sie sind aber durchaus exemplarisch. Sie beginnt ihr Buch mit der Umstrukturierung der Landwirtschaft in der frühen Kolonialzeit und endet mit den neuen Methoden der Produzentenenteignung, etwa durch die handelsbezogenen Rechte auf »geistiges Eigentum« (TRIPS), einem Abkommen der Welthandelsorganisation WTO. Mit Hilfe von Patenten versuchen Konzerne wie Monsanto, das Saatgut der Bauern unter ihre Kontrolle zu bringen und sich so einen gigantischen Markt zu erschließen, der zuvor – ebenso wie das Wasser – als Gemeineigentum betrachtet wurde, das allen zur Verfügung stand.

Die Autorin beschränkt sich nicht darauf, die Misere zu beschreiben. Dem Konzept der Marktwirtschaft, das offensichtlich nicht in der Lage ist, adäquate Antworten auf die großen Fragen der Menschheit – Welternährung, Ökologie und Klima – zu geben, setzt sie ihr Konzept der Bedarfs- und Naturwirtschaft, also die »Erd-Demokratie«, entgegen. Im Gegensatz zur Marktwirtschaft, die sich streng an betriebswirtschaftlichen Faktoren orientiert und dabei die Ressourcen der Welt aufbraucht, sei diese darauf ausgerichtet, die Reproduktionsfähigkeit der Ressourcen zu gewährleisten und die Bedürfnisse der Produzenten und Konsumenten zu befriedigen. Vandana Shiva räumt mit zahlreichen Mythen der neoliberalen Globalisierer auf. Sie führt Studien ins Feld, die eine höhere Produktionsfähigkeit der ökologischen Landwirtschaft, der Vielfelderwirtschaft und der Mischkulturen belegen. Sie streitet ab, dass sich traditionelle Gesellschaften durch die »freiheitliche Marktwirtschaft« im Sinne der Aufklärung weiterentwickeln. Im Gegenteil, es bestehe ein Zusammenhang zwischen Marktwirtschaft und religiösem Fundamentalismus auf.

Mit Massenprotest, juristischen Mitteln und zivilem Ungehorsam nach dem Vorbild Gandhis will Vandana Shiva ihr Konzept der »Erd-Demokratie« verbreiten. Sie führt auch einige Etappensiege an. Etwas blauäugig erscheint allerdings ihr positiver Bezug auf Mikrokredite. Nach Ansicht von Kritikerinnen wie der Feministin Christa Wichterich dienen diese jedoch vor allem als Instrument, die Armen dieser Welt in die neoliberale Markt- und Finanzökonomie zu integrieren. Auch überschätzt Vandana Shiva das Bewusstsein westlicher Konsumenten, die Bio-Produkte eher selten wegen der Armen der Welt, vielmehr um ihrer eigenen Gesundheit willen kaufen.

»Wir haben erst begonnen, unser Potenzial für Veränderung und Befreiung anzuzapfen. Dies ist nicht das Ende der Geschichte, sondern ein neuer Anfang.« Mit diesem Satz endet ihr Buch, das dem Prinzip der Konkurrenz das der Solidarität entgegensetzt. Subjekt der Veränderung sind für Vandana Shiva all jene, die nicht von der kapitalistischen Globalisierung profitieren, aber deren Kosten tragen müssen.

Vandana Shiva: Erd-Demokratie – Alternativen zur neoliberalen Globalisierung. Rotpunktverlag, Zürich 2007. 300 S., br., 19,80 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juni 2007


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