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Genügsamkeit für die Reichen

Ernst-Ulrich von Weizsäcker über UN-Konferenzen und künftigen Wohlstand *


Barack Obama, Angela Merkel, David Cameron und Wladimir Putin - sie alle haben heute etwas Besseres vor, als zum UN-Gipfel über nachhaltige Entwicklung nach Rio zu reisen. Ihnen gefällt offenbar nicht, dass dort ausführlich über verstärkten globalen Umweltschutz genauso wie über Entwicklung in armen Ländern oder neue Wege beim Wachstum gesprochen werden soll. Sozialen Bewegungen wiederum fehlt bei »Rio+20« vor allem die Kritik am herrschenden Wirtschaftsmodell der Industrieländer.
Ernst-Ulrich von Weizsäcker (geb. 1939) leitete in den 1990er Jahren das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. Von 2000 bis 2002 stand der SPD-Politiker der Bundestags-Enquête-Kommission »Globalisierung der Weltwirtschaft« vor. Zuletzt sorgte von Weizsäcker, der heute in Freiburg lehrt, mit dem Buch »Faktor Fünf« (2010) für Aufsehen - darin wird erläutert, wie durch effiziente Nutzung die Ressourcen und damit die Umwelt geschont werden können. Mit dem Diplom-Physiker sprach für das "neue deutschland" (nd) Dirk Farke.



nd: Sie waren beim Erdgipfel von Rio 1992 dabei und sind auch diesmal bei »Rio+20« vor Ort. Haben sich Ihre Aufgaben geändert?

von Weizsäcker: Ich hatte weder damals, noch habe ich diesmal eine formelle Aufgabe. In Rio verhandeln etwa 500 Delegierte über Nachhaltigkeit und 50 000 Besucher tanzen drum herum, diskutieren und tauschen sich aus. Ich selbst werde an mehreren Podiumsdiskussionen mit Verhandlungsführern teilnehmen. Immer geht es um »Grüne Ökonomie« und um institutionelle Verbesserungen der UNO. Das sind die Hauptthemen von »Rio+20«.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Teilnahme an der Konferenz wieder abgesagt - etwa, weil sie lieber zur Fußballnationalmannschaft nach Gdansk fliegt. Zeigt dies den Stellenwert, welchen die schwarz-gelbe Regierung der Umweltpolitik beimisst?

In Rio wird wahrscheinlich nicht viel herauskommen, und das kann auch die Bundeskanzlerin nicht ändern. Ich habe Verständnis dafür, dass sie unter diesen Umständen nicht dabei sein will. Gleichwohl hätte ihre Anwesenheit natürlich symbolischen Charakter und deshalb bedaure ich, dass sie nicht anwesend ist.

Im Abschlussdokument von 1992 hieß es: »Die Staaten werden in einem Geist der weltweiten Partnerschaft zusammenarbeiten, um die Gesundheit und die Unversehrtheit der Erde zu erhalten, zu schützen und wiederherzustellen.« Passiert ist seither eher das Gegenteil. Wie konnte es trotz der guten Absichten damals zu dieser Entwicklung kommen?

Was sich seither abgespielt hat, ist eine Tragödie. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion herrschte zunächst eine Aufbruchstimmung für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung. Man erwartete riesige »Friedensdividenden«, die man für eben diesen Zweck zur Verfügung gestellt hätte. Aber die Staaten verloren leider immer mehr das Sagen und der Neoliberalismus begann sich durchzusetzen mit der Folge, dass sich die Steuerspiralen immer mehr nach unten drehten und die Staaten systematisch verarmten. Der Zeitgeist der Finanzakrobaten erdrückte den Geist der Nachhaltigkeit.

In den letzten 20 Jahren haben der globale Energieverbrauch, die Treibhausgasemissionen, der Wasserverbrauch, der Rohstoffabbau und die Flächenversiegelung nicht ab-, sondern besorgniserregend zugenommen. Sehen Sie noch Möglichkeiten, diesen Trend im globalen Turbokapitalismus zu stoppen?

Die Zerstörungsdynamik hat ihren Ausgangspunkt in dem weltweiten Wunsch nach immer mehr Wohlstand. Die Dynamik ist heute rasant in aufstrebenden Ländern wie China, Indien und Brasilien. Hoffnung habe ich, dass wir lernen, mit der Natur viel effizienter umzugehen. Das geschieht nicht, solange Energie und mineralische Rohstoffe relativ billig sind.

In Ihrem Buch »Faktor Fünf« forderten Sie außer der Effizienzverbesserung, dass wir vom Zeitgeist der Marktüberschätzung und Staatsverachtung Abstand nehmen. Was halten die Marktajatollahs, etwa von der FDP, davon?

Der Zeitgeist hat sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 Gott sei Dank wieder gewandelt. Weltweit beobachten wir einen Trend, absurde Steuersenkungen rückgängig zu machen. Dass ist auch Christian Lindner von der FDP nicht entgangen. Andere in dieser Partei träumen vielleicht noch weiter von Steuersenkungen.

Die radikale Marktwirtschaft hat die Gemeingüter wie Klima, Ozeane, Süßwassersysteme, die Biodiversität und vieles andere dem Wettbewerb der effizientesten Ausbeuter überlassen und damit nahezu zerstört. Ist eine andere Politik derzeit auch nur ansatzweise denkbar und durchsetzbar?

Die gerade verstorbene Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat diesem zerstörerischen Unsinn das Konzept der Ökonomie der Gemeingüter entgegengesetzt und vielversprechende Ergebnisse aufgezeigt. Die Ideologie des entfesselten Marktes hat sich selbst widerlegt.

Sie plädieren für die Tugend der Genügsamkeit. Das klingt so - ich übertreibe jetzt bewusst - nach einem global verordneten Hartz-IV-Programm.

Ganz und gar nicht. Hartz IV ist ja vor allem auch deshalb als ungerecht empfunden worden, weil es wiedermal die Armen sind, die die Zeche bezahlen müssen. Wenn ich von Genügsamkeit rede, meine ich die Reichen.

Ist der gegenwärtige Wohlstand mit erheblich geringerem Ressourcenverbrauch noch zu halten?

Ja, ich spreche von einem »Faktor Fünf«, um den wir effizienter werden können. In dem gleichnamigen Buch reden wir von LED statt Glühbirnen, von Passivhäusern, von Industrieprozessen, von Verkehrssystemen und der Landwirtschaft. Fünf mal mehr Wohlstand aus der Energie und dem Wasser herauszuholen, ist theoretisch möglich.

Für den Durchschnittsbürger ist es aber wohl realistischer, davon auszugehen, dass er sich künftig mit einem geringeren Lebensstandard zufrieden geben muss. Ist das vor allem ein Vermittlungsproblem?

Das Vermittlungsproblem liegt woanders. Den »Faktor Fünf« werden wir nur ernten können, wenn Energie, Wasser usw. langsam immer teurer werden. Das ist unpopulär, macht aber unser Land robuster und reicher. Bei einer gerechteren Verteilungspolitik kann es durchaus populär werden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. Juni 2012

Gipfel der Superlative

Heute werden 115 Staats- und Regierungschefs auf der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro erwartet. Nach Abschluss der Verhandlungen auf Arbeitsebene beginnt damit der eigentliche Gipfel. Er soll am Freitag mit der Verabschiedung einer Abschlusserklärung zu Ende gehen. Mit 50 000 Teilnehmern aus über 190 Ländern wird »Rio+20« mit seinen Parallelveranstaltungen wohl zur größten Konferenz in der Geschichte der Vereinten Nationen. Beim »People's Summit«, dem Gegengipfel von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen, sind es rund 30 000 Teilnehmer. Eigentlich geht es in Rio um Weichenstellungen für die Lösung der großen Menschheitsfragen, praktisch ringen die Teilnehmer um Formulierungen der Abschlusserklärung. Zu den strittigen Kernpunkten gehört das Konzept der »Grünen Wirtschaft«, das den Gegensatz zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik aufheben soll. Laut UN-Umweltprogramm (UNEP) sollten bis 2050 jährlich zwei Prozent der globalen Wirtschaftsleistung (1,3 Billionen US-Dollar) in den sorgsameren Umgang mit Ressourcen investiert werden. Ferner geht es um die Erstellung von Nachhaltigkeitszielen. Sie sollen ab 2015 für alle Staaten unverbindliche Vorgaben zu Themen wie Wasser, Energie, Landwirtschaft, Wüstenbekämpfung oder Artenvielfalt formulieren. Umstritten sind auch die Aufwertung des UNEP zu einer vollwertigen UN-Organisation sowie die Einrichtung eines Hohen Repräsentanten für künftige Generationen. KSt




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