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"Nachhaltigkeit braucht Gleichheit"

In Rio de Janeiro beginnt die Umweltkonferenz "Rio+20". Kuba fordert Unterstützung der armen Länder und Maßnahmen gegen Klimawandel. Ein Gespräch mit María Cristina Muñoz Pérez *


María Cristina Muñoz Pérez arbeitet in der Forschungsabteilung des kubanischen Ministeriums für Wissenschaft, Technologie und Umwelt (CITMA) und ist Leiterin der Expertengruppe zur Unterstützung des Nationalen Programms zur Bekämpfung von Versteppung und Dürre.


Am heutigen Mittwoch beginnt in Rio de Janeiro die Umweltkonferenz »Rio+20«. Was erwartet Kuba von dieser Veranstaltung?

Kuba erwartet von dieser Konferenz, daß die Entwicklung bei den auf der Rio-Konferenz von 1992 behandelten Problemen analysiert wird. Viele der damals beschlossenen Maßnahmen sind bis heute nicht realisiert worden. Diese sind jedoch notwendig, um die Lage des Planeten, insbesondere den globalen Klimawandel, anzugehen. Wir alle müssen uns zusammenschließen, bei all unserer Vielfalt, um Lösungen für diese Probleme zu finden. Kuba hat hierzu eine sehr klare Haltung. Was unser Comandante Fidel Castro 1992 in Rio sagte, hatte nahezu prophetischen Charakter.

Jedes Jahr verschwinden auf unserem Planeten hundertmal mehr Tier- und Pflanzenarten als im gesamten Zeitraum zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert. Die Lage ist dramatisch, sie verpflichtet uns zu Entscheidungen, zu einer nachhaltigen Entwicklung. Wirklich verstandene Nachhaltigkeit braucht drei grundlegende Elemente: soziale Gleichheit, Wirtschaftsentwicklung und Umweltschutz. »Rio+20« muß analysieren, wie wir zu sozialem Ausgleich gelangen, zum Recht aller Völker, aller Menschen, auf einen vernünftigen, nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen.

Die Industrienationen und Großkonzerne wollen die Idee einer »Green Economy« einbringen. Was denkt Kuba darüber?

Es kann weder Nachhaltigkeit noch eine »grüne Ökonomie« allein auf wirtschaftlicher Grundlage geben. Wichtig sind die drei Säulen, die ich angesprochen habe. Für eine »grüne Ökonomie« reicht es nicht aus, einfach nur die Wirtschaftsproduktion zu entwickeln. Es muß Regulierungen geben, der Konsum muß nachhaltig sein. Für den Schutz der Zukunft muß Geld ausgegeben werden. Die Zerstörung der Welt durch das nichtnachhaltige Wirtschaften hat zu dem herrschenden Ungleichgewicht geführt. Der Mensch hat genügend wissenschaftliche Fähigkeiten und Möglichkeiten, um diese Situation umzukehren. Wir müssen uns nicht mit dem Verschwinden der Menschheit abfinden, aber wenn wir keine sozial logische Lösung ergreifen, wird unsere Gattung abtreten.

Wird Havanna in Rio konkrete Vorschläge einbringen?

Ja, unsere konkreten Vorschläge sind erstens, die Prinzipien und grundlegenden Ergebnisse von 1992 zu verteidigen. Zweitens, daß gestützt auf die drei Säulen einer sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Entwicklung Maßnahmen ergriffen werden. Die Fonds der Vereinten Nationen müssen mehr Mittel für eine nachhaltige Entwicklung der armen Völker und der weniger entwickelten Staaten bereitstellen. Drittens eine Stärkung der Süd-Süd-Kooperation, des solidarischen Austausches von Wissen und Möglichkeiten, damit unsere Völker die internationale Lage bewältigen können. Auf der Grundlage von Respekt und Solidarität ist Kuba natürlich zum Austausch mit jedem Land der Welt bereit.

Welche Maßnahmen ergreift Kuba im eigenen Land zum Schutz der Umwelt?

Alles, was Kuba seit der Revolution unternommen hat, ist nachhaltige Entwicklung, heute allerdings wissenschaftlich besser unterfüttert. Die Revolution hat 1961 das Volk alphabetisiert. Das Recht auf Wissen ist essentiell, denn ohne Bewußtsein kann man der Welt nicht helfen. Später wurden in die Verfassung Artikel aufgenommen, die auf den Schutz der Umwelt orientieren. 1992 wurden dann die Abkommen von Rio für eine nachhaltige Entwicklung aufgegriffen, es wurde das Ministerium für Wissenschaft, Technik und Umweltschutz geschaffen. Kuba setzt auf Umwelterziehung, auf ein Gesundheitssystem, das dem gesamten Volk das Recht auf medizinische Versorgung garantiert, auf die Betreuung der älteren Generation.

Kuba verzeichnet bescheidene Fortschritte bei der Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie Wind, Wasser, Sonne oder Biomasse. So wurden einige Windparks errichtet, die besonders die Gegenden versorgen, die nicht an das allgemeine Stromnetz angeschlossen sind. Abgelegene Schulen, von denen es sehr viele gibt, werden durch Solarpanels mit Strom versorgt.

Sie haben die Nutzung von Biomasse angesprochen. Fidel Castro hat sich jedoch mehrfach gegen das Verbrennen von Lebensmitteln zur Energiegewinnung ausgesprochen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Die Biomasse ist ein Abfallprodukt der Zuckerproduktion. Das Zuckerrohr selbst wird nicht verfeuert. Kuba ist gegen die sogenannten Biokraftstoffe, also gegen die Nutzung von Lebensmitteln als Brennstoff. Weltweit herrscht Hunger. Zudem besteht ein Zusammenhang mit dem Klimawandel, weil diese Produktion die Böden auslaugt und Wasser verschwendet. Eine andere Frage ist aber, ob ein Abfallprodukt als Kraftstoff genutzt werden kann.

Interview: André Scheer

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Juni 2012


Auftakt in Rio: Scheitern in Sicht **

Der Umweltgipfel »Rio+20« stand am Dienstag schon vor Eintreffen der hochrangigen Staatsgäste vor dem Scheitern. Die brasilianischen Gastgeber unterbrachen am frühen Morgen für zunächst fünf Stunden die Verhandlungen über die Abschlußerklärung der Konferenz. Nach Angaben von Delegierten war es zuvor nicht gelungen, die Industrienationen und die Entwicklungsländer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. »Wir haben bis zur letzten Minute unser Bestes getan, um die Anliegen einzuarbeiten«, zeigte sich Brasiliens Außenminister Antonio Patriota erschöpft. Der bisherige Entwurf der Erklärung trug den Titel »Die Zukunft, die wir wollen« und umfaßte 50 Seiten.

Der Umweltexperte Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) kritisierte gegenüber der Nachrichtenagentur dapd die Themen der internationalen Konferenz. In dem UN-Konzept für eine »grüne Wirtschaft« finde die Frage der sozialen Gerechtigkeit und des gerechten Zugangs zu Ressourcen nicht statt, sagte der Referent für Welthandel und Umwelt. Zudem blieben die Wirtschaftssysteme unangetastet. »Die Ungerechtigkeit besteht weiterhin«, sagte er.

Amanda Huerta, Sonderkorrespondentin des lateinamerikanischen Fernsehsenders TeleSur, berichtete aus Rio de Janeiro, es gehe bei den Diskussionen nicht um einzelne Punkte, sondern um zwei »Visionen des Planeten«. Auf der einen Seite stehe die kapitalistische Welt, die die Natur ausplündere und erschöpfe, und auf der anderen Seite ein anderes Modell, in dem die Umwelt als ebenso wichtig gilt wie die Menschen. Haupthindernis für eine Einigung sei die Weigerung der Industriemächte, der Einrichtung eines jährlich mit 30 Milliarden US-Dollar ausgestatteten Fonds zuzustimmen, aus dem die nachhaltige Entwicklung vor allem in den armen Ländern finanziert werden soll. Diese Forderung hatte die aus insgesamt 132 vor allem Entwicklungsländern bestehende Gruppe der 77 (G 77) eingebracht.

Parallel zu den offiziellen Beratungen tagt in Rio de Janeiro auch das »Gipfeltreffen der Völker«, zu dem sich soziale Bewegungen und Umweltschutzorganisation aus aller Welt zusammengefunden haben. Bisheriger Höhepunkt dieser Protestveranstaltung war am Montag eine Frauendemonstration für den Frieden. (AFP/dapd/jW)

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Juni 2012

"Morgen wird es zu spät sein für das, was wir schon lange getan haben müßten"

Dokumentiert: Rede des kubanischen Präsidenten Fidel Castro bei der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro, 12. Juni 1992

Eine bedeutende biologische Gattung ist aufgrund der schnellen und fortschreitenden Beseitigung ihrer natürlichen Lebensbedingungen vom Aussterben bedroht: der Mensch. Wir werden uns jetzt dieses Problems bewußt, wo es fast zu spät ist, es zu verhindern.

Es muß darauf hingewiesen werden, daß die Konsumgesellschaften die Hauptverantwortlichen für die grauenhafte Vernichtung der Umwelt sind. Sie entstanden aus den ehemaligen Kolonialmetropolen und der imperialen Politik, die ihrerseits die Rückständigkeit und die Armut verursachten, welche heute die immense Mehrheit der Menschheit geißeln. Sie verbrauchen zwei Drittel des Metalls und drei Viertel der Energie, die auf der Welt erzeugt werden, obwohl sie nur 20 Prozent der Weltbevölkerung darstellen. Sie haben die Meere und Flüsse vergiftet, die Luft verschmutzt, die Ozonschicht geschwächt und Löcher in ihr verursacht, haben die Atmosphäre mit Gasen angereichert, die die klimatischen Bedingungen beeinträchtigen, was katastrophale Auswirkungen hat, die wir schon zu spüren beginnen.

Die Wälder verschwinden, die Wüsten weiten sich aus, Milliarden Tonnen fruchtbarer Erde verschwinden jährlich im Meer. Zahlreiche Arten sterben aus. Der aus dem Bevölkerungszuwachs resultierende Druck und die Armut führen zu verzweifelten Anstrengungen, um selbst auf Kosten der Natur zu überleben. Man kann dafür nicht die Länder der »dritten Welt« verantwortlich machen, die gestern Kolonien waren und heute durch die ungerechte Weltwirtschaftsordnung ausgebeutete und ausgeplünderte Nationen sind.

Die Lösung kann nicht sein, die Entwicklung jener zu verhindern, die sie am meisten brauchen. Wahr ist, daß alles, was heute zur Unterentwicklung und zur Armut beiträgt, ein offenkundiges Attentat auf die Ökologie ist. Zig Millionen Männer, Frauen und Kinder sterben infolgedessen jährlich in der »dritten Welt«, mehr als in jedem der beiden Weltkriege. Der ungleiche Austausch, der Protektionismus und die Auslandsverschuldung greifen die Ökologie an und fördern die Zerstörung der Umwelt.

Wenn man die Menschheit vor dieser Selbstzerstörung retten will, müssen die Reichtümer des Planeten und die verfügbaren Technologien besser verteilt werden. Weniger Luxus und weniger Verschwendung in einigen wenigen Ländern, damit weniger Armut und weniger Hunger in großen Teilen der Erde herrschen. Schluß mit dem Transfer von die Umwelt zerstörenden Lebensstilen und Konsumgewohnheiten in die »dritte Welt«. Das menschliche Leben muß rationaler werden. Es muß eine gerechte internationale Wirtschaftsordnung durchgesetzt werden. Alle notwendigen wissenschaftlichen Forschungen müssen für eine nachhaltige Entwicklung ohne Umweltverschmutzung eingesetzt werden. Es soll die Umweltschuld bezahlt werden und nicht die Auslandsschuld. Es soll der Hunger verschwinden und nicht der Mensch.

Jetzt, wo die angebliche Bedrohung durch den Kommunismus nicht mehr da ist und keine Vorwände für kalte Kriege, Wettrüsten und Militärausgaben bleiben – was hindert daran, diese Mittel sofort dafür einzusetzen, die Entwicklung der »dritten Welt« zu fördern und die Gefahr der ökologischen Zerstörung des Planeten zu bekämpfen?

Schluß mit dem Egoismus, Schluß mit dem Hegemonialstreben, Schluß mit der Gefühllosigkeit, der Unverantwortlichkeit und dem Betrug. Morgen wird es zu spät sein für das, was wir schon lange getan haben müßten.

Übersetzung: cuba.cu

(jW, 20.06.2012




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