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Der "Gipfel der Völker" tanzt

Bei der Gegenveranstaltung zum UN-Nachhaltigkeitsgipfel in Rio de Janeiro wird über neue Produktionsweisen diskutiert

Von Gerhard Dilger, Rio de Janeiro *

Morgen (20. Juni) beginnt in der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro die UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung. Vor den Offiziellen trafen sich bereits Vertreter der Zivilgesellschaft beim »People's Summit« (Gipfel der Völker).

Der »Gipfel der Völker« tanzt. Der Kontrast zur riesigen Tagungsstätte »Riocentro« im Südwesten der Zuckerhut-Metropole, wo am morgigen Mittwoch die heiße Phase des UN-Gipfels »Rio+20« beginnt, könnte kaum größer sein. Dort rangeln die Delegierten aus 193 Ländern in gekühlten Konferenzsälen unter der Regie Brasiliens um die letzten Nebensätze für den Entwurf der Abschlusserklärung. Daneben wird auf einem Messegelände der »Grünen Wirtschaft« gehuldigt, Seit' an Seit' mit dem UN-Entwicklungsprogramm präsentiert dort Siemens seine »nachhaltigen Lösungen«.

Am Flamengo-Strand unweit des Stadtzentrums hingegen agiert die globalisierungskritische Bewegung in ihrer ganzen Vielfalt. Brasiliens linker Gewerkschaftsdachverband CUT hat sich ein luftiges Zelt mit Blick auf den Zuckerhut gesichert. Dort diskutieren Gewerkschafter aus aller Welt über Wege zu »neuen Produktions- und Konsumweisen«, was zumindest programmatisch unter der lateinamerikanischen Linken kaum mehr umstritten ist. Funktionieren könne die Transformation nur, wenn die Forderung nach »menschenwürdiger Arbeit« nicht unter die Räder kommt, ist man sich einig.

Kritik am Waldgesetz des Gastgeberlandes

Nebenan üben brasilianische Umweltaktivisten harte Kritik an der Regierung, weil sie sich in der Debatte um das neue Waldgesetz von der Agrolobby vorführen lässt, anstatt selbst initiativ zu werden. »Der Rückschritt unter Dilma Rousseff ist mit Händen zu greifen«, sagt Miriam Prochnow, die im Landessüden für den Erhalt des atlantischen Regenwaldes kämpft. Mit ihrer Wachstumsagenda seien die Brasilianer kaum in der Lage, den verfahrenen Verhandlungen zum Durchbruch zu verhelfen.

Ein paar Schritte weiter sitzt der angolanische Kleinbauer Délcio Mac-Mahon etwas verlassen vor dem Stand seines Umweltnetzwerks. »Die Veränderungen in unserem Land hängen von uns selbst ab«, ist er überzeugt. Am Mittwoch will er an der großen Protestkundgebung teilnehmen, für die allerorten mobilisiert wird. Besonders aktiv dabei ist die jung und kosmopolitisch besetzte Gruppe »Riot20«, die trotz ihres Namen strikt auf Gewaltfreiheit à la Gandhi besteht. Die gefürchteten Polizisten aus Rio wollen sie mit Blumen besänftigen. Ein südafrikanischer Aktivist berichtet begeistert von einschlägigen Erfahrungen bei der Klimakonferenz in Durban.

Begonnen hatte der Völkergipfel am Freitag mit einer Protestaktion gegen den Amazonas-Staudamm Belo Monte. Während am Zuckerhut der legendäre Kayapó-Häuptling Raoni Metuktire den Widerstand der Indígenas gegen das Megaprojekt bekräftigte, marschierten am Amazonas-Nebenfluss Xingu 200 Menschen mit Schaufeln und Hacken zur Baustelle. Dort öffneten sie symbolisch einen Kanal, um den natürlichen Flussverlauf wiederherzustellen.

Dann pflanzten sie 500 Açaí-Palmen, um das durch die Bauarbeiten bereits beschädigte Flussbett zu stabilisieren. Schließlich stellten sie 200 Kreuze für die ermordeten Amazonas-Verteidiger auf. »Wir wollen zeigen, dass man uns nicht zum Schweigen bringt und dass dies unser Land ist«, erklärte die Indigene Sheyla Juruna. »Wir werden den Bau noch stoppen.«

Dem »nd« sagte Staatsanwalt Felício Pontes in Rio, es seien noch 14 Prozesse gegen Belo Monte anhängig. Wegen des großes Drucks der Öffentlichkeit rechnet er sich gute Chancen aus, dass die Klagen gegen den »völlig irregulären, verfassungswidrigen Bau« bald vor dem Obersten Gerichtshof in Brasília landen.

Das Milliardenprojekt ist das sinnfälligste Symbol für Brasiliens Wachstumsdrang und Energiehunger: 8000 Arbeiter bauen 17 Stunden am Tag am drittgrößten Staudamm der Welt. 2015 soll die erste Turbine in Betrieb gehen. Europäische Firmen wie Andritz, Siemens oder Daimler-Benz verdienen kräftig mit. Doch für Zehntausende bedeutet der Bau Zwangsumsiedlung und Umweltzerstörung. Für weitere Staudämme in Amazonien hat die Regierung bereits Naturschutzgebiete verkleinert.

Energieexperte Célio Bermann weist darauf hin, dass der hochsubventionierte Wasserkraftstrom größtenteils für Stahl- und Aluminiumwerke bestimmt ist und damit das unökologische »extraktivistische« Modell Brasiliens befördere. Im Anti-Atom-Zelt referiert er über die Gefahren des AKWs Angra 3, das unweit von Rio im Bau ist.

Debatte über das Modell der »Grünen Wirtschaft«

Durchaus zu den Höhepunkten gehörte ein Debattenversuch, der auf Initiative von Achim Steiner zustande kam. Der eloquente Chef des UN-Umweltprogramms und Hauptverantwortliche für den »Green-Economy«-Bericht »Die Zukunft, die wir wollen« lud sich selbst ein. Stunden später saß der hohe UN-Funktionär auf dem Podium inmitten von zehn Kritikern. »Die ›Green Economy‹ ist untrennbar mit der Braunen Wirtschaft verknüpft«, begann Larissa Parker vom Netzwerk »Carta de Belém«, das in Brasilien den Widerstand gegen den Emissionshandel organisiert. Je höher die Umweltzerstörung durch fossile Energieträger, desto lukrativer sei für die Finanzmärkte das Geschäft mit den CO2-Zertifikaten, sagte Parker. Kleinbauern- und Indígena-Aktivisten aus Argentinien und Peru wiesen auf die dramatischen Ausmaße der Landnahme durch Agro- und Bergbaumultis hin.

Märkte allein bewältigen Krise nicht

Die UNO sei das Abbild jener Kräfte, die die globale Gesellschaft prägen, erwiderte Steiner, »Green Economy« werde ganz unterschiedlich definiert. Die Märkte allein könnten die Krise nicht bewältigen, nötig seien daher Rahmenbedingungen, die Nachhaltigkeit und Gleichheit berücksichtigten. »Gerade durch die Inwertsetzung der Wälder kann ihre Zerstörung verhindert werden«, sagte er.

»Es liegen Welten zwischen den Träumen aus Nairobi (dem Sitz des Umweltprogramms, d. Red.) und der Realität in den Ländern des Südens«, meinte der kanadische Technologieexperte Pat Mooney. »Wir dürfen doch nicht jenen, die gerade das Finanzsystem zerstört haben, auch noch die Natur überlassen.«

Ungemütlich wurde es am Schluss, als der Bolivianer Pablo Solón in einer polemischen Brandrede Steiner als »unehrlich« attackierte. »Rio+20« sei von den großen Konzernen okkupiert, beim Wassermanagement lobe die UN Australien oder Israel statt Bolivien. »Weltweit werden 1,7 Billionen Dollar für Waffen ausgegeben, und dann gibt es kein Geld für Entwicklung und Technologietransfer? Das ist barbarisch«, ereiferte sich der frühere UN-Botschafter, der jetzt das Netzwerk »Focus on the Global South« in Bangkok leitet.

Ruhig wies Steiner auf Widersprüche auch in Bolivien hin, die Wende hin zu erneuerbaren Energien sei zudem eine recht dezentrale Angelegenheit. »Als Weltgemeinschaft stecken wir in der Sackgasse, wir müssen uns bewegen«, sagte er, Antikapitalismus sei zu wenig. Zudem sei es sein Bericht wert, sorgfältig gelesen zu werden. Er erntete Buhrufe, aber auch Beifall für seinen Versuch, ins Gespräch zu kommen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. Juni 2012


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