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Und tschüs. Bis 2030

Viel Aufwand, wenig Nachhaltiges: UN-Gipfel »Rio+20« ohne neue Impulse. Industriestaaten mit demonstrativem Desinteresse

Von Wolfgang Pomrehn *

In Rio de Janeiro ist am Freitag die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung zu Ende gegangen. Über 100 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt hatten sich versammelt. Die meisten der anderen von insgesamt 193 UN-Mitglieder ließen sich durch Minister vertreten. Ursprünglich waren sogar 135 Staatenlenker bei »Rio+20« erwartet worden. Nachdem jedoch führende Industrieländer, darunter Deutschland, ihr offensichtliches Desinteresse demonstriert hatten, gab es diverse Absagen. Wichtige Schwellenländer aber wie China, Indien, Argentinien und Indonesien, von denen sich die EU nur Tage zuvor auf dem G-20-Gipfel mehr IWF-Einlagen für die Abfederung der Euro-Krise erbeten hatte, schickten ihre höchsten Repräsentanten an den Zuckerhut.

Die mit großem Aufwand durch den Gastgeber Brasilien vorbereitete Veranstaltung war als Fortsetzung des bedeutenden Erdgipfels an gleicher Stelle vor 20 Jahren gedacht. Dabei waren wichtige Abkommen wie die Konventionen gegen Wüstenbildung, für Klimaschutz und für den Erhalt der Artenvielfalt unterzeichnet worden.

»Rio+20« war ursprünglich als relevanter Schritt in Richtung eines umweltfreundlichen Umbaus der Weltwirtschaft und der Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung konzipiert. Von der »stolzen und ambitionierten Vision«, von der noch im Januar nach einem Vorbereitungstreffen in New York unter der Leitung der Präsidenten Finnlands und Südafrikas, Tarja Halonen und Jacob Zuma, die Rede war, ist nicht viel geblieben.

Herausgekommen ist eher ein Arbeitsprogramm für weitere Verhandlungen. Die UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung soll aufgewertet werden, wobei bei jW-Redaktionsschluß noch unklar war, in welcher Form. Ähnliches ist mit dem UN-Umweltprogramm UNEP geplant. Vermutlich bekommt es endlich den Status einer permanenten Organisation, was unter anderem die Finanzierungsgrundlage verbessern würde. Der UN-Generalsekretär wird in diesem Zusammenhang aufgefordert, sich um eine regelmäßige wissenschaftliche Bestandsaufnahme zum Zustand des Planeten zu kümmern.

Bis 2015 sollen nun Ziele der nachhaltigen Entwicklung – Armutsbekämpfung, Technologietransfer, Gleichstellung der Geschlechter, bessere Bildung, Nutzung erneuerbarer Energieträger und anderes – ausformuliert werden. Gleichzeitig, so der Plan, wollen sich die Staaten bis 2015 auf ein System von Indikatoren und Berichten einigen, mit denen Fortschritte auf diesem Gebiet untersucht und diskutiert werden können. Für 2030 ist eine große Bilanz vorgesehen.

Unterdessen haben das UNEP und der UN-Hochkommissar für Menschenrechte in einem Mitte der Woche veröffentlichten gemeinsamen Bericht eine neue Herangehensweise an die globalen Probleme gefordert. Menschenrechte und Umweltfragen sollen miteinander verknüpft werden, um die ärmsten Teile der Weltbevölkerung zu schützen. Ein Fünftel aller Krankheitsfälle sei in den Entwicklungsländern mit der Veränderung oder Zerstörung der Umwelt verbunden. Es gebe einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Staudamm- und Bewässerungsprojekten und der Ausbreitung von Malaria, von der vor allem die Ärmsten der Armen betroffen seien. Auch für andere Infektionen seien entsprechende Zusammenhänge festgestellt worden. Ärger wegen eines Staudammprojektes hatte am Rande des Gipfels auch Gastgeber Brasilien. Der will einen großen Nebenfluß des Amazonas, den Rio Xingu, für ein Kraftwerk aufstauen. Rund 400 Quadratkilometer Regenwald sollen dem Belo-Monte-Damm (jW berichtete) zum Opfer fallen, was zu diversen Protesten während des Spitzentreffens führte. Auch in Berlin und in anderen Hauptstädten gab es Kundgebungen vor den brasilianischen Botschaften. Durch den Stausee würden über 20000 Menschen, die derzeit als Kleinbauern vom Wald oder als Fischer vom Fluß leben, Häuser und Einkommen verlieren.

In den Fluten verschwinden würden unter anderem auch wichtige archäologische Fundstätten einer im 16. Jahrhundert untergegangenen präkolumbianischen Zivilisation. Am Xingu ist in den 1990er Jahren erstmalig der Beweis erbracht worden, daß das Amazonasbecken bis zur Ankunft der Europäer dicht von Menschen besiedelt war, die es verstanden, vom Wald zu leben und ihn nach ihren Bedürfnissen zu kultivieren. Durch die eingeschleppten Krankheiten wie Pocken und Typhus war der größte Teil dieser Bevölkerung innerhalb weniger Jahrzehnte gestorben. Ihre aus Holzstämmen und Erde errichteten Bauten in Dörfern und Städten sind so schnell vom Wald zurückerobert worden, daß die Erinnerung an diese Zivilisation bereits verloren war, als Europäer 200 Jahre später begannen, die Region systematisch zu erforschen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 23. Juni 2012


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