Die Gewalt der Verhältnisse als Gewaltverhältnisse in den Blick nehmen
Genua und die Globalisierungskritik. Ein Beschluss von pax christi, Bistum Trier
Im Folgenden dokumentieren wir eine Entschließung, welche die Mitgliederversammlung von pax christi im Bistum Trier am 25./26. August 2001 auf der Marienburg/Bullay verabschiedet hat.
Der Vorstand des Ökumenischen Netzes Rhein, Mosel Saar und die Bistumsversammlung von pax christi im Bistum Trier haben sich mit den Ereignissen um und nach dem G7-Gipfel in Genua befasst. Teile aus Politik und Medien konzentrierten sich auf die Gewaltfrage. Gleichzeitig wurden auch wichtige Inhalte der Kritik an den sozialen Folgen der Globalisierung und dem System des neoliberalen Kapitalismus in die Öffentlichkeit transportiert. Gruppen, die sich mit der Globalisierung und ihren Folgen kritisch auseinandersetzen sollten sich nicht von außen eine Diskussion über militante Proteststrategien aufzwingen lassen. Der vorrangige Focus der Auseinandersetzung müssen die Eskalation staatlicher Gewalt sowie die mit Globalisierung und neoliberalem Kapitalismus verbundenen Gewaltverhältnisse sein, die immer mehr Menschen ausgrenzen und zu einem vorzeitigen Tod verurteilen.
Vor diesem Hintergrund protestierten der Vorstand des Ökumenischen Netzes Rhein, Mosel, Saar und die Bistumsversammlung von pax christi gegen den militanten Einsatz der Polizei gegen überwiegend friedliche Demonstranten beim G7-Gipfel in Genua. Insbesondere der Einsatz von Schusswaffen ist nicht zu rechtfertigen. Zudem ging der konfrontative und militante Einsatz der Polizei mit der Einschränkung demokratischer Rechte einher.
Solche Übergriffe staatlicher Macht stellen für Europa eine neue Qualität staatlicher Repression dar. Der Einsatz von Raketenabwehrsystemen, Patroullienbooten und paramilitärischen Einheiten sowie die mit dem Vorgehen der Polizei verbundene Brutalität, mit der versucht wurde, den Protest niederzuschlagen, ruft nicht zufällig Erinnerungen an das Agieren der Militärdiktaturen im Lateinamerika der 80er Jahre wach.
Die Durchsetzung der neoliberalen Variante des Kapitalismus war von Anfang an mit dem Einsatz brutaler Gewalt verbunden. Wir erinnern daran, dass das erste neoliberale Projekt nach dem Sturz und der Ermordung des demokratischen Präsidenten Salvador Allendes in Chile unter der brutalen Diktatur Pinochets durchgesetzt wurde. Unter der weltweiten Vorherrschaft des Neoliberalismus wird zwar die Freiheit des Marktes proklamiert, die Freiheit der Bürger aber immer weiter eingeschränkt. Sozialstaatliche Regulierungen werden abgebaut und polizeiliche und militärische Sicherheitssysteme aus- und umgebaut.
Das Vorgehen der Polizei in Genua sowie die Diskussion um ‚Sicherheits'maßnahmen gegen die Proteste bei internationalen Konferenzen machen deutlich: Die Antwort auf die Vertiefung sozialer Spaltung und Ausgrenzung im Kontext ökonomischer Globalisierung ist nicht das Bemühen um die ‚Globalisierung' von Gerechtigkeit und Solidarität, sondern ‚Sicherheits'politik. In diesen Zusammenhang gehören Abschottungs-, Überwachungs- und Abschiebepolitik, deren tödliche Gewalt Flüchtlinge zu spüren bekommen, ebenso wie die fortschreitende Militarisierung der EU-Außenpolitik und der Umbau der Nato von einem Bündnis, das sich mit der Landesverteidigung legitimiert, zu einem Bündnis, das möglichst umstandslos ökonomische und strategische Interessen aus dem eigenen Machtbereich ‚sichern' kann.
Es ist konsequent und gut so, dass diese Politik fortgesetzter Ignoranz gegenüber den sozialen, und ökologischen Folgeproblemen der neoliberaler Globalisierung bei gleichzeitigem Abbau demokratischer Rechte und demokratischer Legitimationen im Namen von Sachzwängen und Sicherheit inzwischen von weltweiten Protesten begleitet wird. Die mangelnde demokratische Legitimation der G-7 ist ein Symptom für die schleichende Entkoppelung von Globalisierung und Demokratie. Entscheidungen der Akteure auf den Finanzmärkten und in den Chefetagen der transnationalen Konzerne haben mehr Einfluss auf das reale Leben der Menschen als die Entscheidungen demokratisch gewählter Parlamente.
Im Ökumenischen Netz haben wir seit seiner Gründung 1992 immer wieder die ökonomischen und politischen Entwicklungen kritisiert. Dabei haben viele von uns die Arroganz der Macht in Politik und Medien erfahren, die die kritisierten Entwicklungen als alternativlos darzustellen suchten. Die politischen Parteien in Deutschland haben sich immer mehr zu globalisierten ‚Einheitsparteien' entwickelt, die schnell ihre parteiübergreifenden Konsense in neoliberalen Steuersenkungs- und Standortkonzepten auf der einen und dem Abbau des Sozialstaates, der Kürzung der Entwicklungshilfe, der Abschottung gegenüber Flüchtlingen und der Erzwingung von ‚Frieden' mit Waffen auf der anderen Seite finden.
Dass erst Gewalt sozialen Bewegungen und ihren Themen Aufmerksamkeit verschafft, macht deutlich, dass der politisch-mediale Machtkomplex Teil der herrschenden Gewaltverhältnisse ist, unter denen immer mehr Menschen leiden. Wenn die Diskussion um politische Inhalte durch die mediale Inszenierung von Politik ersetzt wird, wenn Utopien und Visionen denunziert, das Eintreten für Gerechtigkeit als traditionalistisches ‚Gutmenschentum' verspottet, Kapitalismuskritik als nicht ‚hoffähig' erklärt wird und die bestehenden Verhältnisse als alternativlos und damit unantastbar dargestellt werden, muss sich niemand wundern, wenn innerhalb von Protestbewegungen auch militante Strategien befürwortet und umgesetzt werden. Den Zusammenhang von friedlichem und militantem Protest als Ausdruck unserer politisch-medialen Verhältnisse zu verstehen, ist keine ethische Legitimation von Gewalt, und schon gar nicht die Aufgabe eigener Zielvorstellungen von Gewaltfreiheit, sondern Kritik von Verhältnissen, die Gewalt produzieren und provozieren.
Mit dieser Kritik wehren wir uns nicht zuletzt gegen Versuche von Politik und Medien die Proteste zu spalten, in dem friedliche gegen militante, ernst zu nehmende gegen nicht mehr ‚politikfähige', d.h. bei Hofe nicht mehr zugelassene Globalisierungskritiker ausgespielt werden. Letztere dürften dann diejenigen sein, die Globalisierungskritik als Kapitalismuskritik verstehen. Aber genau das ist gegen die herrschenden Denunzierungen und Tabuisierungen notwendig. Ohne Kapitalismuskritik bleibt auch die Formulierung gesellschaftlicher Alternativen unzulänglich.
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