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"Sozialstaat statt Konzern-Gesellschaft. Alternativen der Wirtschaftspolitik"

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik legt ihr "Memorandum 2005" vor - Presseerklärung

Im Folgenden dokumentieren wir die Presseerklärung der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik zur Vorlage ihres "Memorandums 2005", das am 29. April der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Kurzfassung des Memorandums haben wir als pdf-Datei dokumentiert:
Memorandum 2005 - Kurzfassung.
Die Langfassung erschein in diesen Tagen als Buch im papyrossa-Verlag.



Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik
Presseerklärung anlässlich der Vorlage des Memorandum 2005

"Sozialstaat statt Konzern-Gesellschaft. Alternativen der Wirtschaftspolitik"

am 29.4.2005 in Berlin

1. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik begrüßt die aktuelle kapitalismuskritische Diskussion in der Bundesrepublik. Sie weist zugleich auf die politische Verantwortung für die zunehmende Unterwerfung Deutschlands unter die Interessen der Finanzinvestoren und multinationalen Konzerne hin. Die Bundesregierung hat die jetzt von ihr kritisierten Missstände in erheblichem Maße mit zu verantworten
  • weil sie durch ihre Arbeitsmarktpolitik, insbesondere durch Hartz IV, den Druck auf die Beschäftigten dramatisch erhöht hat und den Unternehmen damit den Boden für ihre Erpressungspolitik bereitet hat;
  • weil sie durch das jüngste Finanzmarktförderungsgesetz die Tätigkeit der Finanzinvestoren erheblich erleichtert und die bislang in Deutschland verbotenen spekulativen Hedgefonds überhaupt erst zugelassen hat, über deren heuschreckenartige Aktivität sie sich jetzt beklagt;
  • weil sie durch die Politik des Sozialabbaus und der steuerlichen Umverteilung von unten nach oben die gesamtwirtschaftliche Schieflage verstärkt hat, in der sozial- und umweltverträgliches Wachstum nicht möglich ist, und
  • weil sie durch ihre einseitige Wirtschaftsförderungspolitik zugunsten der international operierenden Konzerne die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu deren Gunsten beeinflusst und damit die Entwicklung zur Konzern-Gesellschaft und zu Lasten der Demokratie befördert hat.
2. Das gesamtwirtschaftliche Wachstumsproblem, das der Bundesrepublik anhaltende und weiter steigende Rekordarbeitslosigkeit beschert, ist im Kern ein Verteilungsproblem, d.h. auf eine falsche Einkommens- und Vermögensverteilung zurückzuführen.
Die Binnennachfrage, deren Stagnation auch durch die Position des Exportweltmeisters nicht wettgemacht werden kann, hängt vor allem von der privaten und öffentlichen Verbrauchsnachfrage ab, die ihrerseits die Absatzaussichten für die Unternehmen und damit auch deren Investitionen bestimmen.
Der private Verbrauch wird vor allem durch den Druck auf die Löhne geschwächt, den die Unternehmern auch deshalb so erfolgreich praktizieren können, weil die Regierung sie massiv unterstützt. Die Kritik der PolitikerInnen an Niedrigstlöhnen und Lohndumping in Deutschland ist scheinheilig, weil sie das Entscheidende verschweigt: Mit Hartz IV und Ein-Euro-Jobs betreibt die Regierung sehr viel wirksamere Formen von Lohnsenkung und -dumping als osteuropäische Schlachthausarbeiter dies können.
Der staatliche Verbrauch leidet unter der ökonomisch kontraproduktiven und sozial verheerenden Finanzpolitik: Zum einen werden die Steuern vor allem für die Unternehmen und oberen Einkommensschichten gesenkt, ohne dass dies zu höheren Investitionen führt. Zum anderen werden die Sozialausgaben gekürzt und damit vor allem jene einkommensschwachen Schichten getroffen, die hierdurch noch weniger ausgeben können.

3. Zu dieser Politik gibt es Alternativen. Zur Förderung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums und der Beschäftigung sollte die Politik
  • erstens ein umfangreiches öffentliches Investitionsprogramm (75 Mrd. € jährlich für 10 Jahre) zur Verbesserung der Infrastruktur auflegen,
  • zweitens die Beschäftigung im öffentlichen Dienst (die seit 1990 um 1,2 Millionen Personen abgebaut wurde) und bei öffentlich geförderten Trägern erhöhen, und
  • verschiedene Formen der Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst durchführen und in der Privatwirtschaft fördern.
4. Zur Finanzierung dieses Programms sollten Steuern erhöht und übergangsweise die öffentliche Neuverschuldung ausgedehnt werden:
Zu den steuerlichen Maßnahmen gehören im einzelnen: die Wiederanhebung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer auf 48% (ab 60.000 € Einkommen), die Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes auf 33%, die Ablösung der Gewerbesteuer durch die Ablösung der Gewerbesteuer durch eine Gemeindewirtschaftsteuer mit einer Steuermesszahl von 3% und einem Mindesthebesatz von 200%, die Wiedereinführung der Vermögen- und die Reform der Erbschaftsteuer sowie die Einführung einer Börsenumsatzsteuer.
Die Neuverschuldung bis zum Greifen des Programms stellt ökonomisch eine Vorfinanzierung dar. Sie ist solange geboten, wie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage der Konsumenten und der steuerfinanzierten Staatsausgaben nicht ausreicht, die wirtschaftliche Aktivität auf ein Niveau zu heben, das mehr ordentlich bezahlte Arbeitsplätze gewährleistet.
Öffentliche Neuverschuldung bei hoher Arbeitslosigkeit richtet nicht nur keinen Schaden für künftige Generationen an, sondern korrigiert eine Fehlentwicklung der Einkommensverteilung, deren Fortdauer die ökonomische Leistungskraft und den sozialen Zusammenhalt in der Zukunft massiv untergraben würden.

5. Die notwendige wirtschafts- und sozialpolitische Wende erfordert eine deutliche Veränderung der Einkommens- und Vermögensverteilung zugunsten der unteren Einkommensschichten. Vorstöße in diese Richtung stoßen auf erbitterten und kompromisslosen Widerstand derer, die von der aktuellen Politik profitieren. Sie können daher nur in dem Maße erfolgreich sein, wie sie durch demokratischen politischen Druck von unten unterstützt werden. Durch die aktuelle wirtschaftliche und soziale Entwicklung wird daher die Frage der Demokratie auf allen Ebenen der Wirtschaft mit besonderer Dringlichkeit auf die Tagesordnung gesetzt.

Kontakt:
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Postfach 33 04 47, 28334 Bremen
email: memorandum@t-online.de
internet: www.memo.uni-bremen

Hier geht es zur
Kurzfassung des Memorandums 2005



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