Meeresnutzung geht vor Schutz
EU-Förderung für Reeder und Energiekonzerne statt für Umweltprojekte
Von Burkhard Ilschner *
Wem gehört das Meer? Seit 2007 hat die EU-Kommission die Zuständigkeit für die Meerespolitik
aller Mitgliedsstaaten an sich gezogen: Eine europaweite Debatte mündete in einem »Blaubuch«, in
dem Brüssel Eckpunkte jener »integrierten Meerespolitik« (IMP) formulierte, die seither Richtschnur
aller maritimen Handlungsansätze sowohl der Kommission als auch der Nationalstaaten ist
beziehungsweise werden soll.
»Die Meere sind Europas Lebensblut«, heißt es im EU-»Blaubuch« zur »integrierten Meerespolitik«.
Vom Schutz der Meere als eigenständigem Wert allerdings findet sich dort nichts, stattdessen geht
es um Handelswege, Nahrungs-, Energie- und Rohstoffquellen. Mitte Oktober vergangenen Jahres
hat der scheidende EU-Kommissar Joe Borg kurz vor Ablauf seiner Amtszeit dazu einen
bilanzierenden »Fortschrittsbericht« vorgelegt. »Die integrierte Meerespolitik«, heißt es da,
»bestätigt ..., dass Europa deutlich davon profitiert und die Umwelt wesentlich geringer belastet wird,
wenn für alle Politikbereiche, die auf die Nutzung der Meere und Ozeane ausgerichtet sind, ein
gemeinsames Konzept entwickelt wird.« Es geht also um potenzielle Profite aus der Ausbeutung
und Nutzung maritimer Ressourcen. Weil sich aber der »Konkurrenzdruck auf den nur begrenzt zur
Verfügung stehenden Meeresraum erhöht« hat, bedarf es einer zwischen verschiedenen
Begehrlichkeiten abgestimmten Nutzung. Wenn viele Plünderer sich an einen Tisch setzen,
profitieren alle, unter Umständen durch Synergieeffekte auch wechselseitig. Schädigungen durch
einen Nutzer, die Begehrlichkeiten anderer behindern könnten, werden vermieden oder verringert.
Mit Schutz natürlicher Gegebenheiten oder gar mit Vorsorge hat das allerdings nichts zu tun.
Aktuell fürchtet die EU-Kommission, ihre Meerespolitik könnte an äußeren Einflüssen scheitern: »In
der Krise bleibt auch die maritime Wirtschaft nicht von Ertragseinbrüchen und
Einkommensrückgängen verschont«, lamentiert das Borg-Papier und verlangt, »das unleugbare
Potenzial unserer Ozeane, Meere und Küstenregionen freizusetzen«, um die »wirtschaftlichen
Probleme zu lösen, mit denen die maritimen Sektoren zu kämpfen haben«. Drei Monate nach
Vorlage des Berichts ist klar - wenngleich wenig überraschend -, was das in der Praxis bedeutet:
Die Rufe etwa von Energieunternehmen, Reedern oder Werften nach Krisenhilfe treffen in Brüssel
auf offene Ohren. Meeresschützer wie die Föderation »Seas At Risk« (SAR) hingegen klagen über
rückläufige Fördermittel.
Davon ausgenommen sind in der Regel Institute oder Verbände, die mit aufwendigen ökologischen
Studien IMP-begleitende Maßnahmen wie die »maritime Raumordnung« oder das »integrierte
Küstenzonenmanagement« (IKZM) befördern. Die dürfen dann zwar Chancen und Risiken maritimer
Nutzungsansprüche untersuchen, das mündet aber bestenfalls in sogenannten
Ausgleichsmaßnahmen - verhindert wird nichts. Seit Beginn europäischer Meerespolitik vor mehr
als 25 Jahren (siehe ND vom 2. November 2009) wurden umweltschützende Maßnahmen unter den
ausdrücklichen Vorbehalt ihrer wirtschaftlichen Verträglichkeit gestellt. »Vor allem die maritime
Raumordnung« könne »beträchtliche wirtschaftliche Investitionen freisetzen und zu einer
drastischen Verbesserung der Bewirtschaftung unserer Meeresräume und damit Erhaltung ihrer
Ökosysteme führen«. Diese unverblümte Unterordnung der Ökologie unter die Ökonomie lässt für
die Zukunft der Meere wenig Gutes erwarten.
Apropos Zukunft: Mindestens einmal wird die Meerespolitik 2010 in den Mittelpunkt des EU-Interesses
gerückt: Den 20. Mai hat die Kommission erneut zum »Europäischen Tag der Meere«
erklärt.
* Aus: Neues Deutschland, 11. Januar 2010
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