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Gegen die Teller der Ärmsten der Armen

Land-Grabbing - Wie Finanzhaie Ackerböden an sich reißen und den Hunger in der Welt potenzieren

Von Gerhard Klas *

Ackerböden sind wichtig für das Überleben der Menschheit. Um so bedrohlicher erscheint der weltweite Wettlauf um Anbaugebiete, der seit der Finanzkrise 2008 ausgebrochen ist. Nie zuvor konnten höhere Preise für Äcker erzielt werden. Fleischkonsum und Energieproduktion aus Pflanzen heizen den Run weiter an. Er katapultiert die Welt zurück in die Zeit des Kolonialismus.

»Die Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts ist auf dem Weg, ein Teil der Verwertungskette des globalen Kapitals zu werden«, urteilt Wilfried Bommert. Meinungsstark und pointiert schreibt der Hörfunk-Redakteur und Agrarwissenschaftler gegen den Landraub an. Allein im Jahr 2009 wechselten 45 Millionen Hektar Land den Besitzer - viermal so viel wie die gesamte Ackerfläche Deutschlands. Und die Dunkelziffer ist hoch.

Vor allem in Afrika führt das zu neokolonialen Verhältnissen, resümiert Bommert. Denn diese Geschäfte nützen insbesondere einer Gruppe: den Investoren. Gefördert werde nur eine Landwirtschaft, die auf Export zielt. Energiepflanzen als Spritersatz und Tierfutter für den Fleischkonsum in sogenannten entwickelten Gesellschaften treiben die Preise für landwirtschaftliche Anbauflächen weiter in die Höhe.

Voraussetzung für exorbitante Gewinne ist die großflächige Industrialisierung der Landwirtschaft, denn mit dem kleinteiligen Anbau, der noch in vielen Ländern des globalen Südens vorherrscht, sind solche Gewinnmargen nicht zu erzielen. Mittelfristig geht es dabei um einen grundlegenden Wechsel der landwirtschaftlichen Produktionsweise, so der italienische Journalist Stefano Liberti. Seine Recherchen haben ihn nicht nur auf die staubigen Felder Tansanias, Brasiliens und Äthiopiens geführt, sondern auch in klimatisierte Konferenzsäle und Hinterzimmer Chicagos, Saudi-Arabiens und Genfs. In seinen spannenden Reportagen kommen Verlierer und Gewinner zu Wort. »Ich glaube«, zitiert Liberti einen Manager, »dass die Welt vor allem eine Landwirtschaft braucht, die effektiv ist und in großem Maßstab produziert - aber es ist ganz einfach nicht möglich, dieses Modell voranzutreiben, ohne dass jemand dabei verliert«.

Tansania verfügt über 88 Millionen Hektar fruchtbares Land. »Zurzeit werden davon aber nur 5,5 Prozent genutzt«, behauptet die Weltbank, das Land genieße also »einen Überfluss an fruchtbarem Boden, auf dem sich Gartenbaubetriebe ansiedeln könnten«. Ähnliche Beschreibungen existieren für viele andere Länder der Welt, deren Ackerflächen in den Fokus der Investoren gerückt sind. Unliebsame Wahrheiten, die den Investitionsinteressen im Wege stehen könnten, wischt die Weltbank dabei geflissentlich zur Seite, wie Bommert herausgefunden hat: »Ungesagt bleibt, dass 37 der 88 Millionen Hektar in tansanischen Nationalparks liegen und auf der anderen Hälfte Hirtenvölker wie die Massai ihre Rinder weiden.« Sie besitzen keine Bodenrechte. Ihr Land gehöre zur Kategorie »brachliegend oder unproduktiv« und stehe damit dem Bodenmarkt zur Verfügung, so wie die Weltbank ihn definiert.

Auf Betreiben der Weltbank hin werden in Ländern wie Tansania dann nationale Behörden gegründet, die regierungsamtliche Pacht- und Verkaufsgenehmigungen für internationale Investoren vergeben - im Namen des Fortschritts und der Bekämpfung des Hungers. Dabei haben die großflächigen Monokulturen schon etwa ein Drittel der weltweit zur Verfügung stehenden Ackerböden vernutzt. Hunger wird so potenziert.

Scharfe Kritik an der Rolle der mächtigen Weltbank üben auch Timo Kaphengst und Evelyn Bahn. Die Plantagenwirtschaft zerstöre unzählige Existenzen. So schaffe ein Großbetrieb mit 100 000 Hektar Arbeitsplätze für höchstens 1000 Landarbeiter. Würde dort traditionelle Landwirtschaft betrieben, könnten sich 50 000 Familien ernähren. Während Kaphengst, Bahn und Bommert davon ausgehen, dass unsere Erde mit ihren Ressourcen auch eine deutlich größere Weltbevölkerung ernähren kann, wenn nicht alle so viel Auto fahren und Fleisch konsumieren wie in Europa und den USA, fürchtet Liberti, dass durch Bevölkerungsexplosion die Nahrungsmittel knapper werden.

Und mit Verweis auf die rebellische Landlosenbewegung in Brasilien, die für eine Agrarreform kämpft, prophezeit er: »Diese Konflikte werden sich auf globaler Ebene immer mehr ausweiten, mit immer härteren Zusammenstößen zwischen den Vertretern der Kleinbauern und denen des Großkapitals.« Der Ausgang dieses Kampfes wird darüber mitentscheiden, wie wir im 21. Jahrhundert leben werden.

Wilfried Bommert: Bodenrausch. Die globale Jagd nach den Äckern der Welt. Eichborn. 384 S., geb., 19,99 €.

Stefano Liberti: Landraub. Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus. A. d. Italien. von Alex Knaak. Rotbuch. 256 S., geb., 19,95 €.

Timo Kaphengst / Evelyn Bahn: Land-Grabbing. Der neue Kolonialismus. VSA. 94 S., br., 7 €.


* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 11. Oktober 2012


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