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Fataler Krisenkreislauf

Erneute spekulative Blase: Extrem verteuerte Rohstoffe könnten 2010 globale Konjunkturerholung abwürgen. Dann droht vor allem Nahrungsknappheit

Von Tomasz Konicz *

Rohstoffe werden wieder teurer, und das im Rekordtempo. Öl kostet inzwischen mehr als 80 US-Dollar je Barrel (159 Liter), nachdem es sich in Folge der Weltwirtschaftskrise Anfang 2009 innerhalb weniger Monate von fast 150 auf gut 30 Dollar verbilligt hatte. Einer Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge legten zwischen Februar und November 2009 die Preise für Rohstoffe um 40 Prozent zu. Der IWF spricht im Zusammenhang mit diesem Index von einem sehr ungewöhnlichen Anstieg, da in vergleichbaren Phasen früherer Krisen die Preiserholung im Schnitt nur bei fünf Prozent lag. Auch für das kommende Jahr werde der ungewöhnliche Trend anhalten so die globale Finanzorganisation, wenngleich sich das Tempo der Teuerungsauftriebs verlangsamen werde.

Preisexplosion

Das war bislang extrem hoch. In zahlreichen Indizes und bei einzelnen Rohstoffen wurden in den zurückliegenden Monaten sogar historisch einmalige Preisexplosionen festgestellt. Der bekannte Standard-&-Poors-GSCI-Rohstoffindex, der 20 sehr veschiedene Güter wie Getreide, Gold, Öl oder Kakao und Aluminium bewertet, legte 2009 beispielsweise um mehr als 50 Prozent zu - der stärkste Kursanstieg seit dessen Einführung 1970. Rekorde können inzwischen auch die Notierungen für Zucker und Kakao verbuchen, die sich auf dem höchsten Niveau seit gut drei Jahrzehnten bewegen. Allein Zucker verteuerte sich im vergangenen Jahr um 170 Prozent. Ein ähnlicher Trend ist auch bei Industriemetallen wie Zink (plus 102 Prozent), Blei (plus 141 Prozent) oder Nickel (plus 58 Prozent) zu verzeichnen.

Dennoch sind die Höchstnotierungen bei vielen Rohstoffen noch nicht erreicht. Die spekulationsgetriebene Konjunkturrallye hatte bis 2008 die Preise für viele Ressourcen in schwindelerregende Regionen steigen lassen. Der IWF geht immerhin davon aus, daß sich in diesem Jahr die meisten davon »etwas unterhalb der 2008er-Marken festsetzen« werden. Auch längerfristig bleibe der Preisauftrieb erhalten, da die »zunehmende Industrialisierung der Schwellenländer« zu einer steigenden Nachfrage führe. Demnach sei z. B. der Anteil dieser Länder am weltweiten Verbrauch von Kupfer und Aluminium von 33 Prozent 1993 auf nahezu 60 Prozent 2009 angestiegen. Jüngsten Prognosen zufolge wird allein Chinas Wirtschaft im Jahr 2020 etwa 43 Prozent der globalen Kupferfördermenge verschlingen. Der dortige Bedarf an Rohöl dürfte von derzeit neun auf dann 20 Prozent der internationalen Produktionskapazitäten wachsen.

Die erneute Preisrallye könnte aber auch die konjunkturelle Erholung »abwürgen«, lamentierte kürzlich das Wall Street Journal (WSJ). Der private Verbrauch dürfte weiterhin schwach bleiben, da die »Konsumenten mehr für essentielle Güter wie Nahrung und Treibstoff« ausgeben müßten. Auch manche Industriezweige sind durch die solcherart steigenden Preise bedroht. Eine globale konjunkturelle Erholung scheint demnach an zusehends knapper werdenden natürlichen Ressourcen zu scheitern, obwohl die erneute spekulative Blasenbildung an den Finanzmärkten diese eigentlich befördern müßte. Ein durch vermehrte Warenproduktion ausgelöster Nachfrageschub nach Rohstoffen wird durch deren extreme Verteuerung abgewürgt - dieser globale Teufelskreis zeichnet sich immer deutlicher ab.

In den Zentren des Kapitalismus führt eine solche Entwicklung zu höheren Lebenshaltungskosten, bewirkt dadurch eine sinkende Massenkaufkraft und verursacht fallende Profitraten. Aber für Milliarden Menschen an der Peripherie des spätkapitalistischen Weltsystems - in Afrika, Lateinamerika oder Asien - können um ein paar Prozentpunkte gestiegene Lebensmittelpreise den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Im vergangenen Dezember warnte die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen vor einer erneuten Teuerungswelle bei Lebensmitteln. So befindet sich der FAO-Food-Price-Index, in dem 55 Lebensmittel erfaßt werden, nur noch 21 Prozent unter dessen historischem Höchststand vom Juni 2008. Allein im vergangenen November stieg er um 6,9 Prozent. Die 2007 und 2008 beklagte globale Nahrungskrise - als zunehmende Nachfrage und Mißernten die Preise hatten explodieren lassen - sei keineswegs überwunden, sagte nun auch Hugh Grant, der Chef des Gentechmultis Monsanto, dem WSJ. Die derzeitige Rezession habe sie nur »maskiert«.

Mehr Hungernde

Die rasche Wechselwirkung zweier ökonomischer Schocks - der Preisexplosion bei Lebensmitteln mit anschließender Weltwirtschaftskrise - ließ auch die Anzahl der Hungernden weltweit auf einen neuen Höchststand steigen. 1,02 Milliarden Menschen sind von chronischer Unterernährung betroffen, 2008 zählte man bei den UN noch 960 Millionen, 2007 waren es laut FAO 850 Millionen.

Obwohl nach UN-Angaben die Reserven bei Grundnahrungsmitteln inzwischen größer sind als 2008, drohen Ernteausfälle in Indien und auf den Philippinen vor allem den Reispreis in die Höhe zu treiben. Indien mußte wegen einer Dürre Ertragseinbußen von 15 Prozent hinnehmen, auf dem Inselstaat im Pazifik zerstörten Unwetter sieben Prozent der Reisernte. Insbesondere die 800 Millionen Inder, die ihren Unterhalt mit weniger als umgerechnet zwei US-Dollar am Tag bestreiten müssen, leiden bereits unter der Inflation in dem Schwellenland. So stiegen die Lebensmittelpreise dort Anfang Dezember im Jahresvergleich um nahezu 20 Prozent - die größte Verteuerung der Nahrungspreise auf dem Subkontinent seit gut elf Jahren. Wegen der Ausfälle wird Indien 2010 von einem Nettoexporteur zu einem Importeur von Reis werden, während der weltweit größte Reisimporteur - Manila - der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge 3,5 Millionen Tonnen einführen müsse. Die Philippinen verbrauchen auf diese Weise 11,48 Prozent des gesamten jährlichen Reis­exportvolumens der Welt. Nach einer Rekordernte 2008/09 sollen in diesem Jahr die globalen Erträge um 2,7 Prozent auf 433,8 Millionen Tonnen fallen und somit den Gesamtverbrauch von 433,5 Millionen Tonnen nur noch knapp decken können.

* Aus: junge Welt, 13. Januar 2010


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