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Von Inflation keine Spur

Es kommt nicht darauf an, wieviel Geld geschöpft wird, sondern wer darüber verfügt

Von Lucas Zeise *

Obwohl in der aktuellen Krise die Inflation auf Null gefallen ist (genauer gesagt, der Preisindex des genormten Warenkorbs ist in diesem Mai keinen Deut höher gewesen als vor einem Jahr), ist die Furcht vor der Geldentwertung weit verbreitet. Das ist verständlich, denn wenn der Staat und seine Notenbank freizügig Milliardenbeträge unter Banken und Großkonzernen verteilen, kann man schon ins Grübeln kommen, was die ökonomischen Folgen dieser sensationellen Freigiebigkeit sind. Wenn die Zeitungen unwidersprochen schreiben, die Notenbanken ließen die Papiergelddruckpresse auf nie gekannten vollen Touren laufen, liegt die Vermutung nahe, daß der Überfluß an Papierschnipseln diese über kurz oder lang völlig wertlos machen muß.

Die Inflationsangst ist, was man nicht von allen Ängsten sagen kann, eine von rationalen Gründen getriebene Emotion. Denn schließlich ist das gute Geld, um das es sich bei dieser Angst dreht, eine politische Machtveranstaltung. Geld ist weder ein natürliches Ding, das sich wie Luft ziemlich häufig überall finden läßt, oder eines wie Wasser, Grund und Boden oder Bodenschätze, die mit großen Mühen in nutzbare Formen gebracht werden müssen. Es ist auch kein Produkt menschlicher Arbeit, das einen gewissen Gebrauchswert hat und hie und da einmal verkostet oder wie ein Chip in einem Computer, Auto oder Handy eingebaut werden kann. Es ist ein gesellschaftliches Konstrukt. Sein wahrer Wert hängt, wie Festredner gern zu Recht betonen, vom Vertrauen des Publikums ab. Gelegentlich hat das Publikum gute Gründe, kein Vertrauen mehr zu haben.

Solche Gründe haben sich in letzter Zeit gehäuft. Laut Meinungsumfragen ist das Vertrauen schon weitgehend dahin. Dabei handelt es sich allerdings nur um ein diffuses Mißtrauen. Im Oktober 2008 wurde das Mißtrauen plötzlich akut. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück stellten sich damals, an einem Sonntag, mit ernstem Gesicht vor die Fernsehkameras und erklärten, die Einlagen der Bürger bei den Banken seien sicher. Der Staat bürge dafür. Wie in einer Komödie merkten die Bürger erst dann, sozusagen beim zweiten Hinhören, daß ihre Einlagen vor dieser Erklärung Merkels alles andere als sicher gewesen waren. Aber, brav und vernünftig, wie wir nun mal sind, verzichteten wir darauf, unsere Bank zu stürmen und unser kleines Gespartes sofort zu verlangen.

Die Ware Geld

Vernünftig ist dieses Stillhalten insofern, als die Alternative auch nicht netter ist. Sollte man die 100-Euro-Scheine nach Hause tragen und dort im Kleiderschrank verstecken? Oder sollte man sie gar in Goldmünzen umtauschen? Das ist noch unpraktischer. Gold wird an der Tankstelle nicht akzeptiert. Die haben ja schon Probleme mit dem 200-Euro- oder sogar dem 100-Euro-Schein. Gold ist, wie die Finanzleute sagen, illiquide. Es läßt sich nur mühsam tauschen. Außerdem schwankt der Goldpreis. Wer zu jetzigen Preisen teuer Gold kauft, muß damit rechnen, daß die Ware in einem Jahr nur noch die Hälfte (in Euro ausgedrückt) wert ist. Andererseits wird der in den letzten Jahren – schon vor dem offenen Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007 – stark gestiegene Goldpreis von vielen dummen, aber auch klugen Leuten darauf zurückgeführt, daß die Inflationsfurcht ganz allgemein zugenommen hat. Wahrscheinlich ist Inflationsfurcht ein zu spezifischer Begriff. Eher ist es so, daß das Vertrauen in die Finanzinstitutionen ganz allgemein stark erschüttert ist. Die Suche nach einem geeigneten Wertaufbewahrungsmittel ist unter diesen Umständen mehr als verständlich. Nur bietet sich da momentan nichts wirklich Besseres an als das vom Staat garantierte Papiergeld, der schöne Euro.

Der Blick darauf, wie die Regierungen der reichsten Länder der Welt mit vollen Händen Geld ausgeben, das sie noch gar nicht haben, ruft schon assoziativ die Gedanken an Geldschwemme und Geldentwertung hervor.

Der Assoziation liegt die einfache Überlegung und Beobachtung zugrunde, daß etwas, was es reichlich und im Überfluß gibt, nicht teuer bezahlt wird oder, anders ausgedrückt, auf dem Warenmarkt ziemlich wertlos ist. Warum sollte das bei der Ware Geld nicht so sein? In der Tat. Der Zusammenhang scheint also eine triviale ökonomische Wahrheit zu sein: Immer dann, wenn – in Relation zum Angebot an realen Produkten – die Menge des Geldes (stark) steigt, kommt es zur Geldentwertung oder Inflation. Bei diesem Satz kommt es nicht darauf an, welcher Art dieses Geld ist, ob es Münzen aus Edelmetall oder bedruckte Papierschnipsel oder Computersignale sind. Er scheint immer zu gelten.

Milton Friedmans Theorie

Der Satz, so trivial er ist, wurde zur Grundlage einer ökonomischen Richtung, des sogenannten Monetarismus, der im wesentlichen auf den in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandenen Schriften und Bonmots des Chicagoer Ökonomen Milton Friedman basiert. Der Mann prägte den noch trivialeren Satz, daß »Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen« sei. Als Anfang der 70er Jahre die Inflation in den Industrieländern zweistellige Jahresraten erreichte, wurden Friedmans Vorschläge, das Wachstum der Geldmenge strikt zu begrenzen, zur wirtschaftspolitischen Doktrin, die in erster Linie von den Notenbanken exekutiert wurde. In den 80er Jahren und danach gingen die Inflationsraten tatsächlich deutlich zurück. Der Preis dafür waren allerdings eine tiefe und eine Reihe weiterer Rezessionen. Die Rückkehr zu stabilerem Geld hatte man mit niedrigem Wachstum, hoher Arbeitslosigkeit, sozialem Elend, der Schuldenkrise Lateinamerikas, sinkenden Reallöhnen und wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit eingetauscht.

Die Notenbanken steuern die im Umlauf befindliche Geldmenge nicht direkt, sondern, wenn überhaupt, indirekt. Der Grund dafür ist einfach: In den im aktuellen Kapitalismus üblichen Finanzsystemen wird Geld nicht von der Notenbank geschaffen, sondern es entsteht im Zuge der Kreditgewährung der Geschäftsbanken. Wie das geschieht, ist zwar allgemein bekannt. Aber für den gesunden Menschenverstand ist es immer wieder verblüffend, wie aus dem Nichts Geld entsteht und auch wieder verschwindet. Um es knapp zu machen, zitiere ich den FAZ-Redakteur Benedikt Fehr, der zum 1. Juli 2009 von Bundesbankpräsident Axel Weber als Pressesprecher engagiert wurde und dessen Aussagen damit fast offiziellen Charakter haben:

»Anders als vielfach vermutet, spielen die Ersparnisse, die eine Geschäftsbank bei den Haushalten einsammelt, für ihre Kreditvergabe nur eine untergeordnete Rolle. Die Wirkungskette läuft vielmehr in umgekehrter Richtung: Gewährt eine Bank einem Kunden einen Kredit zum Beispiel in Höhe von 100000 Euro, schreibt sie diesen Betrag dem Schuldner auf dessen Girokonto gut: In diesem Moment entsteht Buch- oder Giralgeld. Der Schuldner wird über das gutgeschriebene Geld verfügen, es zum Beispiel zur Bezahlung eines Eigenheims verwenden. Dann landet das Geld auf dem Konto des Verkäufers, der darüber wiederum verfügt. Weitere Empfänger von Überweisungen werden die Giro-Guthaben wegen der höheren Zinsen zum Teil als Sparguthaben oder Festgeld anlegen. Das geschöpfte Geld zirkuliert somit auf den Bankkonten – bis es zum Beispiel durch Tilgung eines Kredits dem Kreislauf wieder entzogen wird.

Wiederum anders als vermutet, wird durch die Geldschöpfung niemand reicher: Der Bankkunde, der den Kredit aufgenommen hat, hat nun zwar 100000 Euro auf seinem Konto, über die er verfügen kann; doch hat er auch 100000 Euro Schulden, die er, samt Zinsen, zurückzahlen muß. Entsprechend hat die Bank nun zwar auf der Aktivseite ihrer Bilanz eine Kreditforderung gegen den Kunden, doch steht dem auf der Passivseite die Einlage des Kunden von 100000 Euro als Verbindlichkeit gegenüber.«
(Faz.net, 31.12.2008)

Die Notenbank beeinflußt das Ausmaß der Kreditgewährung alias Geldschöpfung durch ihre Leitzinsen. Bei niedrigen Zinsen blüht das Kreditgeschäft, bei hohen schrumpft es. Die Zinsveränderungen der Notenbank sind also eine indirekte Methode, die Menge des Kredits oder was, wie Fehr erklärt hat, dasselbe ist, die Menge des Geldes im Umlauf zu steuern. Wenn Notenbanken die Zinsen hochsetzen, um die Kreditvergabe und den Geldumlauf zu bremsen, bremsen sie natürlich auch das Wirtschaftswachstum. Bei höheren Zinsen rechnen sich weniger Investi­tionsprojekte. Die Investitionen der Unternehmen gehen zurück und damit auch die Nachfrage nach Investitionen. Es werden weniger Arbeitskräfte eingestellt oder mehr entlassen. Die höheren Zinsen führen in der Regel eine Rezession herbei. In der westdeutschen Wirtschaftsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg war es die Regel, daß die Deutsche Bundesbank mit stark heraufgesetzten Leitzinsen die Rezessionen eingeleitet hat.

Sie hat das freilich nie so gesagt, sondern sich vielmehr auf Friedmans Geldmengentheorie berufen. Dabei gab sie vor, ihre Geldpolitik, also das Herauf- und Herabsetzen der Leitzinsen, strikt nach einer Geldmengenregel auszurichten. Immer wenn das Wachstum der Geldmenge über einer von ihr selbst festgestellten Zielvorgabe lag, würde sie einschreiten und die Zinsen erhöhen. Immer wenn das Wachstum der Geldmenge erheblich unter der Zielvorgabe lag, würde sie die Zinsen senken. Die Wirklichkeit sah anders aus. Zum einen ist die Geldmenge seit Einführung der Geldmengenstrategie Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts durchweg erheblich schneller gewachsen als die übrige Ökonomie. Dennoch sind in dieser Periode die Inflationsraten in Deutschland, aber auch international zurückgegangen. Zum anderen haben die erheblichen Schwankungen des Geldmengenwachstums kaum mit den Schwankungen der Inflationsrate korreliert. So sehr sich Geldmengentheoretiker und Bundesbank auch bemühten – ein systematischer Zusammenhang zwischen hohem Geldmengenwachstum und Inflation war nicht festzustellen. Zum dritten schließlich reagierte die Bundesbank-Führung, obwohl sie offiziell an der Geldmengenstrategie festhielt, höchst opportunistisch auf das festgestellte Geldmengenwachstum. Man kann es auch anders ausdrücken: Sie paßte sich der Realität an und räumte damit ein, daß nicht immer und überall mehr Geld im Umlauf auch zu höherer Inflation führen muß.

Monetarismus widerlegt

Obwohl Friedmans monetaristische Theorie eigentlich einleuchtet, muß man feststellen: Die kapitalistische Wirklichkeit hat sie glänzend widerlegt. Die 50 Jahre, seitdem er sie aufstellte, zeigen in geradezu beeindruckender Weise, daß sie in ihrer einfachen Form nicht stimmen kann und daß sie deshalb als Handlungsanweisung für die Geldpolitik der Notenbanken zur Vermeidung von Inflation nicht taugt. Im Zeitalter, als der Neoliberalismus in den hochentwickelten kapitalistischen Staaten die wirtschaftspolitische Doktrin war, also seit Anfang der 80er Jahre bis heute, trat die Unrichtigkeit der Theorie ganz besonders kraß zutage. Kredit und Geldvermögen sind in dieser Periode rasant gewachsen, während die Realwirtschaft außerhalb des Finanzsektors mäßig wuchs oder zuweilen stagnierte. Die spektakuläre und spekulative Kreditausweitung schließlich der letzten Jahre, in der die Geldschöpfung der Banken und bankähnlichen Institutionen sich überschlug, hätte, wenn der Monetarismus recht hätte, zur galoppierenden Inflation führen müssen.

Das ist die eigentlich spannende Frage: Wieso kam es nicht dazu? Warum hat die eigentlich plausible These vom engen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Geldentwertung sich als so völlig irreal erwiesen?

Die Antwort ist einfach. Die Notenbanker, gerade die Monetaristen unter ihnen, kennen sie auch, wie ihr Handeln ausweist. Es kommt bei der Kredit- und Geldschöpfung nicht nur darauf an, wieviel davon entsteht, sondern mehr noch, was mit diesem Kreditgeld geschieht oder, nur etwas anders ausgedrückt, wer über dieses frische Geld verfügt. Kommt dieses Geld als Lohn, Rente oder Sozialhilfe bei den Beziehern niedriger Einkommen an, so wird es ganz überwiegend rasch ausgegeben. Die effektive Nachfrage nach Gütern des täglichen und nicht ganz alltäglichen Bedarfs steigt. Die Produzenten dieser Güter können die Preise heraufsetzen, sie haben, wie die Volkswirte das nennen, einen »Preiserhöhungsspielraum«, den sie natürlich auch nutzen. Setzt sich der Lohn- und Rentenzuwachs fort, ist die Inflation schon unterwegs. Das Mehr an Geld in der Gesellschaft setzt sich in diesem Fall schnörkellos in schleichende Geldentwertung oder Inflation um.

Anders sieht es aus, wenn der erhebliche Geldzuwachs vorwiegend bei den ohnehin Begüterten ankommt. Diese werden das Zusatzeinkommen nur zum geringsten Teil für ihren ohnehin schon üppigen Konsum nutzen. Sie werden vielmehr versuchen, das frische Geld gut anzulegen, auf das es sich mehre, zumindest aber nicht weniger werde. Es entsteht ein Überschuß an Kapital, das in Anlage drängt. In einer harmonisch wachsenden kapitalistischen Volkswirtschaft wird dieses Zusatzgeld in Produktionskapazitäten investiert. Es führt damit zu höherer Produktion, zur Einstellung von Arbeitslosen und insgesamt zu höherem Wohlstand. Leider sieht die Realität nicht so aus. Da ja in diesem Fall die Wenigverdiener von der Geldvermehrung nichts abbekommen haben, stagnieren Konsum und Absatz von Konsumgütern. Wenn gerade kein boomender Markt im Ausland winkt, wäre es also töricht von den Betuchten, ihren Zufluß an frischem Geld in die Ausweitung der Produktion zu stecken. Denn wo kein Absatz, da auch kein Gewinn. Der Geldzuwachs bleibt also, wenn er bei den schon Begüterten ankommt, ganz weitgehend in der Finanzsphäre selber. Wenn es noch keine Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds (alias Heuschrecken) gäbe, es müßten solche Sonderfonds zur Geldvermehrung der reichen Menschen schnell erfunden werden.

Die gemeine Inflation tritt in diesem Fall allerdings nicht auf. Allenfalls steigen die Preise der Finanzanlagen, der Kredite, der Anleihen, Immobilien und Aktien. Auch in der kapitalistischen Wirklichkeit ist es also die zunehmende Ungleichverteilung des Geldes, die die Infla­tionsraten (gemessen als Preisindex der Lebenshaltungskosten der einfachen Leute) niedrig gehalten, aber den Boom in Aktien und sonstigen Finanzanlagen so weit ins Absurde getrieben hat, bis er in der noch aktuellen Finanzkrise in sich zusammenfiel.

Zentralbankpolitik mit Schlagseite

Wenn man es so betrachtet, wird auch klar, daß die einseitige Ausrichtung der Europäischen Zentralbank (und davor der Deutschen Bundesbank) auf die Bekämpfung der Inflation in Wirklichkeit eine Einrichtung zur Förderung ungleicher Einkommensverteilung war und ist. Denn immer dann, wenn der Wirtschaftsaufschwung der realen Wirtschaft auch die Löhne erreicht, die Nachfrage munterer wird und die Preise etwas anziehen, bremst die Notenbank mit höheren Zinsen die Konjunktur. Wenn der Überschwang der Spekulation die Preise für Aktien, Immobilien, Anleihen und Unternehmen vervielfacht, läßt die Notenbank das muntere Treiben gewähren. Die Notenbanken tragen mit ihrer asymmetrischen Geldpolitik erheblich zur Schlagseite der Volkswirtschaften bei, die die Reichen begünstigt, den Finanzsektor aufbläht und zwangsläufig Finanzkrisen hervorruft.

Jetzt aber, da die Finanzblase geplatzt ist, scheint vielen alles anders. Nun geben die Banken und sonstigen Finanzakteure nur noch wenig Kredit und nehmen noch weniger. Zwar sinkt das Kreditvolumen erstmals seit vielen Jahren, doch weiten nun die Staaten massiv ihre Verschuldung aus. Die amerikanische Notenbank Fed kauft direkt Anleihen des US-Zentralstaates, sie kauft Schuldverschreibungen der Großunternehmen. Beim Kauf dieser Schulden gibt die Notenbank Dollar aus, die sie ganz ohne Umwege selbst schöpft. Weil das so ohne Umschweife einfach geht, spricht man dabei vom Gelddrucken. Das ist eine faire Beschreibung. Doch sollte man sich vor Augen halten, daß die Zentralbank auch vor dieser Krise immer dann »Geld gedruckt« hat, wenn sie den Geschäftsbanken Kredit gewährt hat, die ihrerseits Unternehmen und Staat mit Krediten finanzierten. Der Unterschied ist gering. Geldschöpfung ist, wie Benedikt Fehr oben beschrieben hat, das Geschäft des Kreditsystems. Die Europäische Zentralbank fängt erst zaghaft an, Pfandbriefe, also Schuldverschreibungen von Hypothekenbanken, zu kaufen. Staatsanleihen kauft sie (noch) nicht. Aber sie hat seit Beginn der Finanzkrise den Banken jeglichen Kredit gegeben, den diese brauchten. Auf diesem indirektem Weg weitet sie ihre Bilanz ebenso stark aus wie die US-Notenbank.

Obwohl die Zentralbanken also soviel Kredit vergeben, wie sie können und das zu rekordniedrigen Zinsen, ist das Kredit- und Geldvolumen nach Ausbruch der Finanzkrise zunächst geschrumpft und wächst auch jetzt nur verhalten. Wer meint, die ungewohnte Freizügigkeit der Zentralbanken jetzt müsse zu einer Geldschwemme im System führen und damit früher oder später zur Geldentwertung, kann und sollte sich beruhigt zurücklehnen. Verglichen mit der Geldausweitung vor Ausbruch der Krise ist das aktuelle »Gelddrucken« harmlos. Es federt gerade mal die Kreditschrumpfung ab, die dadurch entsteht, daß schlechte Schuldner pleite gehen und gute alles tun, um ihre Schulden zu reduzieren und sie zurückzuzahlen.

Als massive zusätzliche Kreditgeber, vor allem aber Kreditnehmer treten in diesen Tagen nicht nur die Notenbanken, sondern auch die Staatshaushalte auf. Die Staatsschuld scheint in vielen Ländern geradezu zu explodieren. Auch das trägt zur Geldvermehrung bei. Jedoch behaupten nicht einmal Monetaristen, daß es sich hier um eine zusätzliche Gefahrenquelle für das Entstehen der Inflation handelt. Denn auch sie wissen, daß es mit Blick auf die Geldmenge egal ist, ob Privatunternehmen, Banken oder der Staat vorwiegend als Kreditnehmer auftauchen. In diesen Tagen verdrängt der gute Schuldner Staat die schlechten Schuldner Banken und Privatunternehmen. Letztere bedroht Absatzschwäche und damit die Pleite. Die Banken leben ohnehin nur dank umfangreicher Garantien des Staates. Der gute Schuldner Staat schultert also die Schulden der schlechten Schuldner. Das ist für die Staatsbürger meist nicht angenehm. Denn hohe Staatsschulden bedeuten hohe Zinszahlungen des Staates und damit meist, wenn auch keineswegs zwangsläufig, weniger Leistungen des Staates für soziale Leistungen, Bildung und Infrastruktur. Das sind Sorgen genug. Man muß sich aber wenigstens keine Sorgen, darüber machen, daß ein Automatismus in Richtung Inflation in Gang gesetzt wird.

Wir werden aktuell von vielen Plagen des im Krisenfieber befindlichen Kapitalismus heimgesucht. Die Produktion sinkt, die Arbeitslosigkeit steigt. Der Mangel wächst, doch sinkt mit den Einkommen die effektive Nachfrage. Die Regierungen versuchen, die Krise durch Nachfragestützung zu mildern. Bei weitem das meiste Geld aber stecken sie in den maroden, überdimensionierten Bankensektor. Das ist verrückt. Es wird die notwendige Schrumpfung des Finanzsektors nur aufhalten, aber nicht verhindern. Es stellt zudem die Fortsetzung der Politik der Einkommensumverteilung von unten nach oben mit anderen Mitteln dar. Das durch die massive Neuverschuldung der Staaten entstehende frische Geld kommt wie bisher bei denen an, die es nicht zum Leben brauchen. Von Inflation kann da keine Rede sein.

Ein Seufzer zum Schluß: Ach wenn wir doch nur eine Spur dieser Inflationssorge haben müßten.

* Lucas Zeise ist Finanzkolumnist bei der Financial Times Deutschland. Er referierte im Mai 2009 im Rahmen der "Friedensvorlesungen" der AG Friedensforschung an der Uni Kassel zum Thema: "Wenn die Milliarden plötzlich verschwinden: Regierungsstrategien zur Bewältigung der Weltwirtschaftskrise".
Zuletzt erschien von ihm:
Ende der Party. Die Explosion im Finanzsektor und die Krise der Weltwirtschaft, PapyRossa, Köln 2008, 196 Seiten, 14,90 Euro


* Aus: junge Welt, 23. Juni 2009


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