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Kampf dem globalen Krieg

Wege zu Alternativen zur derzeitigen Weltordnung. Von Angela Klein

Den folgenden Text von Angela Klein haben wir der jungen welt vom 17. und 18. September 2001 entnommen.

Irgendwann mußte es so kommen. Irgendwann mußte dem Labor Frankensteins ein Monster entspringen, das sich gegen seinen Schöpfer wenden würde - mit dessen eigenen Waffen: brutaler Gewalt, blindem Zynismus, viel Geld und viel Technik. Die Kräfte, die diesen Anschlag verübt haben, arbeiten mit denselben menschenverachtenden Methoden wie die, gegen die sie sich angeblich wenden. Für die Bewegung gegen die Konzernherrschaft bedeutet das eine große Gefahr, weil sie damit rechnen muß, daß jetzt jede Stimme, die sich kritisch gegen die nicht weniger terroristische Herrschaft des US-Imperialismus in der Welt erhebt, in einen Sack gesteckt wird, um sie buchstäblich zum Abschuß freizugeben. Die Anschläge in New York und Washington können die Anliegen dieser Bewegung deshalb nicht verdrängen, sie sind im Gegenteil aktueller denn je: die Formulierung einer weltweiten Alternative zu Ausbeutung und rassistischer Verfolgung, zu Terror und Krieg mit den Mitteln der Massenmobilisierung für gesellschaftliche und demokratische Veränderungen. Im Kampf gegen den »globalen Krieg«, den die US-Regierung gegen Unbekannt erklärt hat, wird sie eine wichtige Kraft sein.

Das sprunghafte Anwachsen in den letzten beiden Jahren stellt die Bewegung gegen die Konzernherrschaft, die von den Gegnern gern »Anti-Globalisierungsbewegung« genannt wird, vor eine schwierige Situation: Sie wird getragen von wachsender öffentlicher Aufmerksamkeit und Zustimmung, zugleich konfrontiert mit der Tendenz, sie zu diffamieren und zu kriminalisieren, und sie wächst zunehmend in die Rolle einer sich vereinheitlichenden sozialen Opposition gegen den Kapitalismus neoliberaler Prägung, zu einer Zeit, wo Parteien und die traditionelle Gewerkschaftsbewegung diese Oppositionsrolle aufgegeben haben.

Will sie die Konfrontation bestehen und die auf sie gerichteten Erwartungen nicht enttäuschen, braucht die Bewegung vor allem eins: eine faßbare und umsetzbare Alternative zur »neuen Weltordnung«, eine andere Weltwirtschaftsordnung, die auf den Grundsätzen der Solidarität, Selbstbestimmung und Demokratie basiert. Das Weltsozialforum in Porto Alegre, das im Januar 2001 erstmals als Gegenstück zum Weltwirtschaftsforum in Davos stattfand und Anfang Februar 2002 erneut am selben Ort zusammentritt, versteht sich als Plattform zur Entwicklung solcher Alternativen. Der organisatorische wie auch mediale Erfolg dieser Veranstaltung - beim ersten Mal trafen sich 20 000 Menschen, für das zweite Treffen rechnen die Organisatoren mit 100 000 Teilnehmenden - ist der ergebnisorientierten Arbeit an Inhalten jedoch nicht zuträglich; die muß in kleinerem Kreis geschehen.

Die Fragen

ATTAC Frankreich, die in Asien beheimatete Forschungseinrichtung Focus on the Global South und die brasilianische Gewerkschaft CUT luden deshalb Mitte August zu einem 1. Internationalen Treffen der sozialen Bewegungen nach Mexiko City ein. Auf der Grundlage des Aufrufs von Porto Alegre vom vergangenen Januar wurden drei Tage lang folgende Themen debattiert: Wer sind und wie agieren die Vertreter des internationalen Kapitalismus und mit welchen Folgen? Welche Bilanz ist aus den internationalen Mobilisierungen der letzten zwei Jahre zu ziehen? Welche gemeinsamen Aktionen können wir in den kommenden zwei Jahren durchführen?

Das Treffen fand im Anschluß an das einwöchige Jahrestreffen der Lateinamerikanischen Koordination der Landorganisationen (CLOC) statt, in der Bauern, Indigenas und Landarbeiter zusammenarbeiten. Trotz der dadurch gegebenen Dominanz von Vertretern des südamerikanischen Kontinents und der Bauernschaft waren 38 Länder aus vier Kontinenten mit 190 Teilnehmenden vertreten. Vom afrikanischen Kontinent war niemand anwesend, das war die größte Schwäche. Der südafrikanischen Delegation war das Einreisevisum verweigert worden, auch der philippinischen. Thailand, Indonesien und Indien hatten Teilnehmer geschickt, Südkorea nicht, auch nicht Australien. Kanada und die USA waren mit Vertretern der Kampagne gegen das FTAA (Free Trade of the Americas - Quebec), Global Exchange, Food First und universitären Gruppen vertreten. Aus Europa waren angereist: in der französischen Delegation ATTAC, die unabhängige Gewerkschaft SUD Télécom und der Weltfrauenmarsch; in der italienischen Delegation, die mit zehn Personen die stärkste war, ATTAC, der italienische Ableger von Via Campesina, die Basisgewerkschaft Cobas und Vertreter des Genoa Social Forum; aus Deutschland Euromarsch und der Caritasverband; aus Österreich Euromarsch und ATTAC; die belgische Kampagne für die Schuldenstreichung CADTM; TIE (Trans International Exchange - ein Netzwerk von Betriebslinken) Niederlande; Indymedia Dänemark; die Initiative für ein anderes Davos aus der Schweiz; Organisationen aus dem Baskenland.

Dreifache Krise

Eric Toussaint von der CADTM und Nicola Bullard von Focus on the Global South machten drei größere Krisenherde der neoliberalen Offensive aus, die Ende der 70er Jahre mit dem Regierungsantritt Ronald Regans begann:

1. Eine Krise des neoliberalen Modells. Die weltweite Durchsetzung der neoliberalen Dogmen - Freihandel mit allen materiellen und immateriellen Gütern, die es gibt, schrankenlose Liberalisierung der Märkte und Deregulierung der industriellen und sozialen Beziehungen - stößt auf offensichtliche Grenzen. Sie führt zum Kollaps wirtschaftlich bedeutender Länder wie Mexiko (1994), Südostasien (1999-2000), Argentinien und Türkei 2001, demnächst vielleicht Brasilien, die in der Schuldenfalle hängen bleiben und von den Strukturanpassungsplänen des IWF erdrosselt werden. Die Privatisierung wichtiger Güter der öffentlichen Versorgung hat in Kalifornien und in Brasilien zu einer schweren Energiekrise geführt; eine Krise der Wasserversorgung droht mehreren Regionen der Welt.

Die Instabilität der Finanzmärkte ist alles andere als überwunden und war vielleicht auch nur als Vorläufer einer neuen, schweren Weltwirtschaftskrise zu interpretieren, in die nun auch die USA und Japan getrudelt sind, mit deutlichen Auswirkungen auf Europa und noch unabsehbaren Folgen. Die Gefahr einer globalen Systemkrise ist mit Händen zu greifen.

2. Eine Krise der Glaubwürdigkeit und Legitimität. Obwohl offensichtlich ist, daß das neoliberale Wirtschaftsmodell Menschheit und Natur in den Ruin treibt und Alternativen dringend entwickelt werden müssen, sind die G 8, die Herrscher der Welt, nicht zu den kleinsten Korrekturen und Reformschritten bereit oder in der Lage. Nicht einmal die von ihnen verkündete Maßnahmen wie der Schuldenerlaß für die ärmsten Länder der Welt oder eine so periphere Regelung wie die Eindämmung der Spekulation durch ihre Besteuerung oder Schritte zur Bekämpfung von AIDS, wenigstens in dem Umfang, den die UNO gefordert hat, lassen sich derzeit verwirklichen. Nicht zu reden von den hochtrabenden Versprechungen von Wohlstand und Freiheit, die nach dem Fall der Mauer und dem angeblichen Ende der Geschichte urbi et orbi verkündet worden sind.

Selbst die angekündigten gesellschaftspolitischen Ziele wurden in den letzten Jahren heruntergeschraubt: In den 70er Jahren waren eine selbständige, nicht abhängige Wirtschaftsentwicklung der sogenannten Dritten Welt oder die Wiedererlangung von Vollbeschäftigung in den Industrieländern noch allgemein akzeptiert. Heute ist nur noch von Armutsbekämpfung die Rede. Jahr für Jahr werden Hunderttausende Menschen mehr aus dem kapitaldominierten Wirtschaftskreislauf ausgegrenzt, die für die Profitvermehrung der Konzerne buchstäblich keinen Wert mehr haben; was kann mit ihnen vom Kapitalstandpunkt aus anderes geschehen als daß sie wie überschüssiges totes Kapital ruhig gestellt oder vernichtet werden? Durch Hunger, Krankheit, Krieg?

Der nach Seattle eingeleitete »Reformprozeß der internationalen Institutionen« (IWF, Weltbank, UNO) ist im Sande verlaufen. Und die immer noch behauptete Dialogbereitschaft der G8 erschöpft sich zunehmend in der versuchten Integration von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Gewerkschaften vor allem, die bereit sind, den neoliberalen Kurs mitzutragen. Ein wirklicher Dialog, ein Angebot, gemeinsam Auswege aus einer tiefen Sackgasse zu finden, das immer auch Kompromißereitschaft beinhalten müßte, findet nicht statt.

Dafür spricht jetzt wieder die Gewalt und die Drohung, die Bewegung einfach zu unterdrücken. François Houtard von der Zeitschrift Alternatives Sud nannte fünf neue Strategien, auf die Bewegung zu antworten, ohne auf sie einzugehen: die Kolonisierung (Privatisierung) der UN; die Kooptation der NGOs und der großen Religionen; die Verstärkung der Repression; die »Folklorisierung der Bewegung« (»unernste Spinner und Moralisierer«); die Übernahme und Perversion von Begriffen der Bewegung (Solidarität, Autonomie, Fortschritt, Revolution u.v.a.m.). Mit der Glaubwürdigkeit und Dialogfähigkeit geht der Rückhalt in der Bevölkerung verloren, das beweisen zahlreiche Umfrageergebnisse. Aber auch der Konsens zwischen den G8 nimmt ab.

3. Die Krise des Multilateralismus nannte das Nicola Bullard von Focus on the Global South. Der »Washington Consensus«, das Übereinkommen, das die führenden Industrienationen nach dem Fall der Mauer unter der Vorherrschaft der USA geschlossen hatten, nach welchen Regeln die Jagd auf die neuen Märkte im Osten und die Durchsetzung der uneingeschränkten Konzernherrschaft auch gegenüber dem Süden verlaufen sollte, bröckelte zum ersten Mal in Seattle, als die WTO-Runde an den Differenzen der USA mit der EU und mit den Ländern des Südens zerbrach. Auf die zunehmenden Krisenherde antworten die internationalen Institutionen mit der Tendenz, ihren Aktionsradius auszuweiten. Sie benötigen dafür aber den Konsens der G8, und diese sind sich über eine Ausweitung des Mandats z.B. für die Weltbank nicht einig.

Insbesondere die USA sehen den Zuwachs an Kompetenzen für die internationalen Institutionen mit Mißtrauen bis Ablehnung, weil er eine Machtkonkurrenz beinhaltet. Die einzige internationale Institution, die sie uneingeschränkt unterstützen, sind die G8-Gipfel selbst, zu denen sie mit der weitaus größten Delegation anreisen. Auf Widerspruch stießen die USA aber auch in anderen Fragen: zum Raketenschild (NMD), zum militärischen Engagement der USA in den verschiedenen Regionen der Welt, zum Kyoto-Protokoll und die Maßnahmen zum Emissionsabbau, zur Haltung zum Rassismus, die Forderungen afrikanischer Länder nach Reparationen für den Sklavenhandel und das Recht, die Politik Israels in einer öffentlichen Resolution zu kritisieren (UN-Konferenz in Durban), usw. Es mehren sich die Felder, wo die USA einseitige Maßnahmen ergreifen und internationale Vereinbarungen oder das Trachten danach offen mißachten.

Auch für die kommende WTO-Runde in Qatar, die etliches abzuarbeiten hat, was in Seattle unverrichtet blieb, ist eine Überwindung der Differenzen nicht in Sicht. Die Tagesordnung ist lang, die möglichen Ergebnisse bisher wenige und das Risiko ist groß, daß die Runde endet wie der G8-Gipfel in Genua: mit wohlfeilen Erklärungen. Je länger dieser Prozeß dauert, um so mehr entlegitimieren sich die internationalen Institutionen, um so stärker wird das Konstrukt der globalen Herrschaft selbst in Frage gestellt. Christophe Aguiton von ATTAC Frankreich sah darin für die Bewegung auch eine Gefahr: Anders als in den 30er Jahren sei heute eine systemimmanente Alternative für das Kapital nicht sichtbar. Selbst ganz kleine Reformen wären nicht möglich und würden sofort die Gefahr einer inneren Spaltung beschwören. Für die Bewegung sah er darin ein Problem, weil sie Erfolge brauche, um zu wachsen.

Materielle Erfolge seien derzeit nur schwer möglich, dafür aber symbolische, wie der Rückzug des internationalen Konferenzzirkus auf kürzere Tagungen in entlegenere Gegenden.

Multis und Biotechnologien

Zu diesen »drei Krisen der globalen Herrschaft« gesellten sich in der Debatte noch eine ganze Reihe mehr: die Rezession als Krise der Überproduktion - andere nannten es eine Wachstumskrise und deswegen Existenzkrise des Kapitals; die Bankenkrise, die u.a. zu einer Entkapitalisierung des Südens führt; die Krise der exportorientierten Agrarwirtschaft, die in Lateinamerika massiv spürbar ist, die Grundlagen der traditionellen, auf Selbstversorgung orientierten Landwirtschaft zerstört hat und in einem Land wie Nikaragua Hungersnöte auslöst. Wie Joao Pedro Stedile von der brasilianischen Landlosenbewegung MST beschrieb, ist die Offensive des Finanzkapitals heute in der Landwirtschaft besonders spürbar. Die Produktionsbereiche Pharmazie, Pestizide und Düngemittel sowie Biotechnik seien in der Hand von sieben multinationalen Konzernen vereint, ihre Produktionsentscheidungen würden von der Börse diktiert; die WTO agiere als Regulierungsbehörde für die Agrarmultis, die den bäuerlichen Kleinproduzenten ihre Existenzgrundlage rauben. Landflucht und Wanderungszwang seien die Folgen.

Es schwindet auch das Bild vom »guten« Imperialismus, als welcher die EU lange Zeit galt - wegen der Sozialstandards und der Formen bürgerlicher Demokratie. Die Angriffe auf den Sozialstaat, die Schüsse von Göteborg und Genua erschüttern das Bild.

Die lateinamerikanischen Vertreter hatten kein Problem damit, Genua in eine Reihe mit dem Plan Colombia zu stellen. Die Konferenz war sich einig in der Einschätzung, daß wir heute einen neuen internationalen Anstieg der sozialen Bewegungen erleben, deren Orientierung noch nicht klar ist. Der stellvertretende Vorsitzende des Volksparlaments von Ecuador (CONAIE), das im vergangenen Jahr das Parlaments- und das Regierungsgebäude gestürmt hatte, legte den Finger in eine offene Wunde, als er sagte: »Es nutzt nichts, eine Gegenmacht aufzubauen, wenn sie auf nichts beruht. Auch wir sind in einer Krise und brauchen Antworten. Wir geben der Welt noch keine Alternative.«

Damit hat er zweifellos recht. Dennoch verdeutlichte diese 1. Internationale Konferenz der sozialen Bewegungen, welch riesigen politischen und materiellen Fortschritt die Bewegung gegen die Konzernherrschaft in den letzten beiden Jahren gemacht hat: Die dort saßen und sich den Kopf über eine alternative Weltwirtschaftsordnung zerbrachen, waren keine universitären Zirkel und keine routinierten NGOs mehr. Es waren soziale Bewegungen, die jede in ihrem Land einen realen, manchmal bedeutenden Machtfaktor darstellen. Eine konkrete Alternative zur neoliberalen Weltordnung wird dann entstehen können, wenn diese Bewegungen unter Einschluß noch vieler anderer sich auf die Kernelemente einer solidarischen und selbstbestimmten internationalen Regelung ihrer Produktions- und Austauschverhältnisse einigen können. Dazu wurde in Mexiko City der Grundstein gelegt.

Wie können Alternativen zum derzeitigen Weltwirtschaftssystem entwickelt werden? Das 1. Internationale Treffen der sozialen Bewegungen, das Mitte August in Mexiko City unter dem oben genannten Motto stattfand und sich als Teil des Weltsozialforums von Porto Alegre versteht, hat in einem überschaubaren Kreis Subjekte zusammengebracht, die Träger einer Alternative sein können.

Die Bauerninternationale

Die Bauernschaft ist derzeit weltweit die bedeutendste Trägerin der Proteste gegen die globale Herrschaft der Konzerne. In Mexiko sprach der Vorsitzende der brasilianischen Landlosenbewegung, MST, Joao Pedro Stedile, von einem Generalangriff der Konzerne auf Kleinbauern und Landarbeiter und schilderte die sich daraus ergebende weltweite Krise der Agrarproduktion. Sie stürzt derzeit vor allem in Mittelamerika Hunderttausende in eine Existenzkrise und löst Hungersnöte (Nikaragua) und Landflucht (Mexiko) aus. Die Offensive der Konzerne und des Finanzkapitals schlägt sich für die Agrarbevölkerung in vier großen Veränderungen nieder:
  • Die drei Produktionsbereiche Pharma, Pestizide und Biotechnologie sind heute in der Hand von sieben multinationalen Konzernen vereinigt. Das verleiht diesen Multis eine historisch einmalige Kontrolle über Ernährung und Gesundheit der Weltbevölkerung.
  • Die Konzerne versuchen, die Bauern abhängig zu machen, indem sie ihnen die Kontrolle über das Wasser, das Saatgut und die Biodiversität entziehen. Sie orientieren ihre Produktion ausschließlich an den Erfordernissen der Börse, nicht an der Existenz der bäuerlichen Produzenten und nicht am Gebot einer ausreichenden und gesunden Ernährung für Land und Stadt.
  • Die Multis dominieren heute die Banken, nicht umgekehrt wie vor hundert Jahren.
  • Der Staat (in den Ländern des Südens) zieht sich aus der Landwirtschaft zurück und verzichtet auf eine Preispolitik und Gesetze, die die Kleinbauern stützen.
Diese vier Mechanismen wirken auf alle Bauern, gleich in welchem Teil der Welt sie leben. Deswegen konnte 1993 Via Campesina gegründet werden, die erste Bauerninternationale in der Geschichte, die Kleinbauern und Landlose aus allen fünf Erdteilen organisiert. Das Verhältnis zwischen Stadt und Land verändert sich fundamental: Für viele Bauern ist der Kampf gegen den Grundherrn und für Land zwar immer noch ein zentrales Anliegen, aber nicht mehr das einzige. Hinzu kommt der Kampf gegen die Multis.

Der Bauer will nicht darauf reduziert sein, Rohstoffe für die Nahrungsmittelindustrie herzustellen; er will selbst Lebensmittel produzieren und die örtliche Bevölkerung versorgen können. Lebensmittelsouveränität ist ein wichtiges Synonym für Unabhängigkeit geworden - aber auch für die Sicherstellung der Ernährung und für die Gesundheit der Stadtbevölkerung. Der Bauer will mit der Wahrung seiner Existenz und Unabhängigkeit auch seine Kultur bewahren - das gilt für den Indio in den Anden nicht weniger als für den französischen Schafzüchter und den polnischen Bauern. Und er will, daß die Kontrolle über die Nahrungsmittelwirtschaft nicht in privater Hand, sondern in der Hand des Gemeinwesens liegt, für das er produziert (darunter versteht er im allgemeinen den Staat, auf den er einen gewissen, wenn auch beschränkten Einfluß ausüben kann).

»Solidarischer Tausch«

Bauern suchen den Ausweg in der Internationalisierung des Kampfes und im Bündnis mit der Stadtbevölkerung (Arbeiter, Studenten, Ausgegrenzte). Doch was heißt das konkret?

Ein Vertreter aus Indien wies darauf hin, daß die Proteste aus der Landbevölkerung gegen bestimmte Entwicklungsprojekte (Staudämme), gegen die Privatisierung der natürlichen Ressourcen und für eine angepaßte und umweltschonende Technologie erstens nicht von allen Landwirten unterstützt werden (einige profitieren auch von der Zusammenarbeit mit der Weltbank, die solche Projekte fördert), zweitens auch von rechten Parteien genutzt werden, um einen Kampf im »nationalen Interesse« und um »identitäre Fragen« zu führen.

Lebensmittelsouveränität und die Kontrolle der Kleinproduzenten über die Nutzung der natürlichen Ressourcen (worunter auch Bodenschätze fallen) sind Forderungen, die sich auch im Sinne der Autarkie und des nationalen oder regionalen Egoismus auslegen lassen.

Die sozialen Bewegungen, die sich in Mexiko trafen - wie auch die Beteiligten am Weltsozialforum von Porto Alegre - suchen aber die internationale und solidarische Kooperation. Das bedeutet, daß es neben dem Recht auf Selbstbestimmung auch die Pflicht zum internationalen Austausch - auch von Nahrungsmitteln - gibt.

Ungleichheiten, welche die Natur geschaffen hat, müssen durch solidarisches Teilen ausgeglichen werden, will der Lappländer nicht aufs Robbenfleisch und der Äthiopier auf dürre Hirsekörner reduziert sein, während der Mitteleuropäer Obst, Gemüse und Fleisch im Überfluß produziert.

Wie unterscheidet sich ein internationaler Austausch, der auf dem Grundsatz der Kooperation und Solidarität beruht, vom Diktat eines exportorientierten Wirtschaftens, das der Logik des Finanzkapitals folgt? Das ist ein Knackpunkt bei der Entwicklung einer alternativen Weltwirtschaftsordnung. Dasselbe gilt für die Verteilung natürlicher Ressourcen wie Wasser, Holz, Bodenschätze.

Ein anderer Knackpunkt ist die Definition dessen, nach welchen Kriterien ein solidarischer Tausch vor sich gehen soll. Der »freie Markt« diktiert das Gesetz der Produktivität: Je weniger lebendige Arbeit in einem Produkt enthalten ist, desto billiger ist es. Dieses Gesetz bevorzugt immer die stärker industrialisierten Länder, drückt aber auch immer die am wenigsten naturnah produzierten Lebensmittel auf den Markt. Eine Alternative dazu formuliert zwangsläufig politische Kriterien, die zwischen den Betroffenen - Stadt und Land weltweit - ausgehandelt werden müssen. Mit dem Weltsozialforum gibt es erstmals einen Raum, in dem solche Fragen zwischen den betroffenen Akteuren verhandelt werden können.

Ressourcentransfer

Unmittelbar gegen die internationalen Finanzinstitutionen richten sich die Forderungen nach Schuldenstreichung und bevorzugten Kredite für Kleinproduzenten ohne knebelnde Auflagen. Positiv ausgedrückt bedeutet dies, daß es sehr wohl eines finanziellen Ressourcentransfers von Nord nach Süd bedarf. Darauf laufen auch die Forderungen nach Reparationen für die Folgen der Sklaverei hinaus. Das bedeutet aber auch: Es bedarf einer internationalen finanziellen Regulierungsbehörde, die vom Grundsatz des Ausgleichs wirtschaftlicher Ungleichheiten und der Beförderung einer eigenständigen (auch industriellen) Entwicklung der verschiedenen Regionen der Welt ausgeht. Dazu bedarf es der WTO (Welthandelsorganisation) nicht, deren Abschaffung im Gegenteil eine Voraussetzung für positive Alternativen wäre. Aber schon bei der Rolle der Weltbank wird es kompliziert, und wenn man auch keine Institutionen will, die von Konzernen und dem internationalen Finanzkapital kontrolliert werden, so wird man doch nicht umhin kommen, auch in diesem Bereich Alternativen zu entwickeln.

Der Punkt Entwicklungshilfe wurde angesprochen. In Ländern des Nordens (Spanien z. B.) engagieren sich vor allem Jugendliche dafür, daß die Regierungen wenigstens den Anteil von 0,7 Prozent lockermachen, der weltweit gefordert wird. In den Ländern des Südens fließen die Mittel dann aber häufig in Taschen, die damit alles andere als Projekte im Interesse der Arbeiter und Kleinproduzenten finanzieren. Im Rahmen des Weltsozialforums trifft man jetzt erstmals auf Partner im Süden, die formulieren können, wohin das Geld gehen und was damit gemacht werden soll.

Das Bündnis mit der Stadt

Aus der Stadt haben die Arbeitslosen und die Frauen relativ leicht ihren Weg in die Bewegung gegen die Konzernherrschaft gefunden; sie artikulieren Forderungen, die vor allem soziale Rechte und eine unabhängige Existenzsicherung einklagen - so der Weltfrauenmarsch, der lateinamerikanische Grito de los Excluidos, die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit und Ausgrenzung.

Die Arbeiterbewegung hingegen tut sich schwer, obwohl weltweit über 160 Millionen Menschen in Gewerkschaften organisiert sind. Das hat damit zu tun, daß sie nach dem Zweiten Weltkrieg vielerorts in einen klassenübergreifenden sozialen Konsens eingebunden war, der auf der Basis nationalstaatlicher Souveränität funktionierte. Dieser Typ von Sozialpartnerschaft ist heute schwer unter Beschuß, und es gibt Entwicklungen in der Arbeiterbewegung, die darauf reagieren (vgl. die Entstehung von Gewerkschaften »neuen Typs« in Europa und den »Schwellenländern« oder die innergewerkschaftliche Entwicklung in den USA).

Die Ansätze sind noch schwach, und die dennoch massive Präsenz von Gewerkschaftern auf Demonstrationen gegen die internationalen Gipfel ist von Widersprüchen gekennzeichnet: Gewerkschaften haben Angst vor dem weltweiten Lohn- und Sozialdumping der Konzerne und antworten darauf häufig mit der Abschottung des nationalen Arbeitsmarkts gegen die »Schmutzkonkurrenz«, weil es eine wirkliche Internationalisierung der Arbeiterbewegung bisher nicht gibt. Die Abschottung der nationalen Arbeitsmärkte, während für Kapital, Waren und Dienstleistungen alle Grenzen offenstehen, begünstigt aber die »Schmutzkonkurrenz« und die Politik des Teile und Herrsche. Umgekehrt müßte gelten: Auch der Arbeitsmarkt muß global sein, aber weltweit geschützt durch tariflich und gesetzlich fixierte soziale Rechte, die den nationalen und regionalen Bedingungen angepaßt sind. Mit einer solchen Diskussion stehen wir allerdings noch ganz am Anfang.

Renationalisierung

Ein anderer Punkt hingegen verspricht, die Arbeiterbewegung massiv in das Bündnis gegen die Konzernherrschaft zu drängen: die Privatisierung der öffentlichen Dienste. Sie stößt in Europa auf zunehmenden Widerspruch. Im Mutterland des Neoliberalismus, in England, breitet sich erneut der Ruf nach einer Renationalisierung z.B. der öffentlichen Verkehrsmittel aus, und selbst hierzulande gibt es zaghafte Anzeichen für eine Umkehr im Denken. Diese Entwicklung bietet die Chance, über andere als die in West und Ost erlebten bürokratischen Formen einer Verstaatlichung nachzudenken.

Die massive Beteiligung einer neuen Generation von Jugendlichen an den Protesten (die »neue APO«) ist eher ein Phänomen des Nordens als des Südens. Der Antrieb hierzu kommt vielfach aus einer allgemeinen Ablehnung »des Systems«, das als egoistische und kommerzialisierte Welt erfahren wird. Ihre Debatten konzentrieren sich häufiger auf die Radikalisierung der Aktionsformen als auf Inhalte. Dennoch gibt es auch bemerkenswerte Beispiele sozialen Engagements, wie die Anti-Sweatshop-Kampagne und die Kampagne für ein existenzsicherndes Einkommen an US- amerikanischen Universitäten. Die erste fragt nach den Bedingungen, unter denen meist in asiatischen Ländern die T-Shirts der Eliteuniversitäten hergestellt werden; die zweite nach den Arbeits- und Einkommensverhältnissen der Putzfrauen auf dem Campus. Mit Streiks, Sit-ins und anderen direkten Aktionen haben die Studierenden schon beachtliche Erfolge erzielt.

Eine andere Form des sozialen Engagements ist die Bewußtwerdung über die eigenen prekären Verhältnisse: Studierende wehren sich gegen miese Jobs bei McDonalds, Pizza Hut oder in Callcentern, zu denen sie gleichwohl gezwungen sind, um studieren zu können. Hier entstehen neue Formen von Arbeitskämpfen, die auch andere Formen gewerkschaftlicher Organisierung brauchen.

Schließlich reagieren Schüler und Studierende auf die Privatisierung des Bildungssystems. Der vom 10. bis 14. Dezember geplante EU-weite Studierendenstreik ist ein Ausdruck dafür und auf seinem Gebiet auch eine Premiere.

Das alles ist von der Debatte über die Tobin-Steuer ziemlich weit entfernt. Nicht, daß solche Bewegungen die Notwendigkeit einer Regulierung der Finanzmärkte geringschätzen würden. Aber sie wird nicht als Ansatzpunkt für Veränderungen in den Mittelpunkt gestellt. Im Mittelpunkt steht die Notwendigkeit, eine alternative Weltwirtschaftsordnung zu entwickeln, gestützt auf die sozialen Bewegungen.

Die Klammer für sie alle ist die Mobilisierung gegen die supranationalen Institutionen. Der Hauptgegner ist die WTO - sie wurde in Mexiko als das schwächste Kettenglied ausgemacht, das am angreifbarsten und am stärksten von inneren Widersprüchen zerrissen ist -, aber auch ihre kontinentalen Abbilder wie das all-amerikanische Freihandelsabkommen (FTAA), weiterhin IWF und Weltbank, zunehmend auch die EU. Der Blickwinkel auf diese Institutionen und auf die G8 ist sehr unterschiedlich, je nachdem, ob der Protest aus einem imperialistischen Land kommt oder aus einem vom Imperialismus beherrschten und zunehmend einem Rekolonialisierungsprozeß unterworfenen Land. Daraus ergeben sich unterschiedliche Forderungen, die unter einen Hut gebracht werden müssen.

Aber auch in dieser Hinsicht hat sich seit 1989 Grundlegendes geändert: »Wir glauben nicht mehr, daß die Antwort auf den Imperialismus nur aus Lateinamerika kommt, sie kommt aus dem gemeinsamen Kampf von Nord und Süd. Deshalb haben wir die Aleanza Social Continental gegründet, um einen gemeinsamen Rahmen für den Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu haben.« Hector de la Cueva, mexikanischer Sprecher der Allianz, spricht aus, was das Paradigma des neuen Internationalismus ist: nicht mehr die Suche nach dem »eigenen Entwicklungsweg« gestützt durch Akte der Solidarität, sondern die gemeinsame Suche nach einer anderen »neuen Weltordnung«.

Aus: junge welt, 17. und 18. September 2001

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