IWF-Reform auf langer Bank
Vor Frühjahrstagung wird Pflänzchen Hoffnung für Weltwirtschaft zertreten
Von Axel Reiserer, London *
Trotz düsterer Prognosen des IWF hoffen die Mitgliedsländer auf einen Ausweg aus der Krise. Mut machen ihnen die Beschlüsse des G20-Gipfels und die neuen Töne aus den USA. Selbst wenn niemand mit raschen IWF- und Weltbank-Reformen rechnet.
Die alte Regel, dass man im Hause des Gehenkten tunlichst nicht vom Strick spricht, scheint sich bis zum Internationalen Währungsfonds (IWF) noch nicht herumgesprochen zu haben. Vor Beginn der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank am Wochenende in Washington veröffentlichte der Fonds am Mittwoch die düsterste Konjunkturprognose seiner Geschichte: Demnach wird die Weltwirtschaft in diesem Jahr mit einem Rückgang von 1,3 Prozent den schwersten Schock seit 1945 erleiden.
Düsterer Ausblick
Der Ton für die Konferenz ist damit gesetzt. Während in den Tagen nach dem Londoner G20-Gipfel vom 2. April insbesondere US-Präsident Barack Obama mit hoffnungsvolleren Aussagen über die Wirtschaftsentwicklung aufhorchen ließ, scheint der IWF mit seiner Prognose das zarte Pflänzchen Hoffnung noch vor der ersten Blüte auszutreten. »Die Weltwirtschaft ist in einer schweren Rezession, ausgelöst durch eine massive Finanzkrise und einen akuten Vertrauensverlust«, schreibt die Institution in ihrem aktuellen »World Economic Outlook«.
Von den 182 Nationen, deren Wirtschaftsentwicklung der Fonds beobachtet, werden in diesem Jahr nur 17 ein stärkeres Wachstum als im Vorjahr erzielen, während 71 schrumpfen werden. Besonders hart erwischt es Deutschland, für das der IWF 2009 ein Minus von 5,6 Prozent und von 1,0 Prozent im folgenden Jahr prognostiziert. Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen bezeichnete dies als »nicht unplausibel«. Während aber Jorg Decressin, IWF-Direktor für Wirtschaftsstudien, meint, »Deutschland ist eines der Länder, die am meisten Spielraum haben«, lehnt die Bundesregierung ein drittes Konjunkturpaket weiter ab. »Ich halte jede Debatte darüber für kontraproduktiv«, erklärte Finanzminister Peer Steinbrück.
Weiter ernüchtert werden die Teilnehmer des Treffens durch einen zweiten IWF-Bericht, der die Kosten für die Rettung der Banken weltweit auf mehr als vier Billionen Dollar beziffert. Nur in den USA kann der Fonds bisher Fortschritte erkennen: Im Umgang mit faulen Krediten hätten die Amerikaner »den halben Weg schon hinter sich, während die Europäer weit hinterher hinken«, warnt IWF-Chefökonom Olivier Blanchard.
Dass die Teilnehmer der Frühjahrstagung dennoch relativ frohen Mutes nach Washington reisen konnten, hat vor allem mit zwei Dingen zu tun. Zum einen ist da der neue Ton aus dem Weißen Haus: »Wir tragen einen beachtlichen Teil der Verantwortung für die Leiden der Weltwirtschaft«, räumte US-Finanzminister Timothy Geithner ein.
Zum anderen ist es die auf dem G20-Gipfel erzeugte Euphorie, dass man gemeinsam die Probleme in den Griff bekommen könne. Wie die Absichtserklärungen in konkrete Schritte umgesetzt werden können, werden zunächst die G7-Finanzminister beraten, ehe es auch zu einem kurzen Gespräch der G20-Ressortminister kommen soll. »Viele von uns waren durch die Beschlüsse von London völlig überrascht. Nun haben wir erstmals die Gelegenheit, darüber zu reflektieren«, erklärte ein Minister unter dem Schutz der Anonymität.
Tatsächlich haben die G20 einiges an Aufgaben gestellt. Der Gipfel sagte dem IWF eine Verdreifachung seiner Mittel auf 750 Milliarden Dollar zu. Wie immer aber liegt der Teufel im Detail. 250 Milliarden sind echtes Geld, nicht abstrakte Garantien und Sicherheiten. Woher sie kommen sollen, ist bisher unbekannt.
Noch härtere Arbeit wartet bei der Reform des Währungsfonds; die war aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie China, Indien oder Brasilien in London von den westlichen Industriestaaten versprochen worden. Zwar besteht Einigkeit, dass »die Machtverhältnisse und Strukturen im Fonds die Welt widerspiegeln, wie sie zu seiner Gründungszeit (1944) aussah«, wie Vijaya Ramachandran vom Washingtoner Center for Global Development sagt.
Machtverteilung ungerecht
Doch wirklich ändern wollen die westlichen Industrienationen das tunlichst nicht, denn sie wissen: »Jede Änderung muss auf ihre Kosten gehen«, wie Vincent Lauerman von der Beratungsfirma Geopolitics Central aus Calgary meint. Daher wurde auf dem Londoner G20-Gipfel auch eine Frist für die Reform von Weltbank und IWF bis 2011 durchgesetzt. Bis dahin, so hoffen offenbar viele, wird die Weltwirtschaft wieder auf Wachstumskurs und das Versprechen einer gerechteren Machtverteilung in den internationalen Finanzorganisationen vergessen sein.
Lexikon
Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank mit heute 185 Mitgliedsländern und Sitz in Washington wurden 1944 in Bretton Woods in den USA gegründet. Der IWF soll die Stabilität des Währungssystems und den Zahlungsverkehr sichern. Er vergibt Kredite an Staaten mit Zahlungsproblemen. Die strengen Auflagen dafür etwa zur Haushaltspolitik, Marktöffnung oder Privatisierung stießen massiv auf Kritik, weil sie mit Sozialabbau verbunden waren. Die Weltbank war zunächst nur für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg zuständig. Doch schon bald wurde sie zur weltgrößten Entwicklungsbank. Das Kreditvolumen lag 2008 bei 24,7 Milliarden US-Dollar für rund 300 Projekte. Von der Summe ging ein Viertel nach Afrika südlich der Sahara, ein Fünftel nach Lateinamerika und ein Drittel nach Asien. epd
* Aus: Neues Deutschland, 24. April 2009
Ein großer Gewinner der Krise
Vorsichtige Neubewertung durch Globalisierungskritiker **
Frankfurt am Main (epd/ND). Plötzlich ist er wieder voll da. Musste der Internationale
Währungsfonds (IWF) sich in den Jahren des Finanzbooms fast überflüssig fühlen, ist er in der Krise
wieder stark gefragt. Sogar mancher Kritiker heißt die einst verhasste neoliberale Finanzinstitution in
Washington heute als »Feuerwehrfonds« willkommen. Und auch IWF und Weltbank scheinen sich
zu wandeln, wie sich vor der Frühjahrstagung zeigt.
»Der IWF ist einer der großen Gewinner der Krise«, sagt Peter Wahl vom Verein »Weltwirtschaft,
Ökologie und Entwicklung« (WEED), einer Art Denkfabrik der Globalisierungskritiker. Dass die 20
größten Industrie- und Schwellenländer (G20) Anfang April in London die Verdreifachung der IWFMittel
auf 750 Millionen US-Dollar beschlossen, sieht Wahl als große Aufwertung. Es sei nicht zu
kritisieren, dass der Fonds Länder wie Pakistan, Ungarn, Lettland und die Ukraine vor dem
Staatsbankrott bewahre.
Wahl beobachtet Anzeichen für eine »gewisse Kurskorrektur«. So habe IWF-Chef Dominique
Strauss-Kahn in der Krise am meisten Kritik und auch Selbstkritik am Finanzgebaren geübt. Im G20-
Abschlusskommuniqué las Wahl Überraschendes: statt dem auch bei G8-Gipfeln üblichen Hohelied
auf das freie Spiel der Marktkräfte das Betonen von Arbeitsplätzen, Gesundheit und Bildung in
armen Ländern.
Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), die als Vertreterin Deutschlands
im Kreis der Weltbankgouverneure an der Frühjahrstagung teilnimmt, bescheinigt IWF-Chef Strauss-
Kahn ein besonnenes und weitsichtiges Handeln. Denn er fordert von den krisengeschüttelten
Staaten im Konjunkturtief diesmal nicht, dass sie sparen. Vielmehr können und sollen sie
gegensteuern, um die Wirtschaft anzukurbeln, auch auf Pump. »Es wird sich zeigen müssen, ob das
wirklich Praxis wird.«
Wilfried Steen, Vorstand des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), erhofft sich mehr Fairness
in den Finanzbeziehungen zwischen Nord und Süd. Reformen beim IWF sind angesagt, aber
langwierig: »Mit der Geschwindigkeit einer Schnecke geht das voran«, seufzt Steen. »Die Gefahr ist,
dass lediglich Schwellenländer wie Brasilien, Indien, China und Südafrika zu den Großen
aufschließen.«
Trotz der Anzeichen für einen Wandel sitzt das Misstrauen gegen die Mammutbehörden IWF und
Weltbank tief. Haben die Institutionen wirklich ihre Lektionen aus der Finanzkrise gelernt? Von
einem Paradigmenwechsel mag Finanzexperte Wahl noch nicht sprechen. Die Abkehr vom
»Kasinokapitalismus« könnte auch nur ein Strohfeuer sein: »Und wenn die Krise vorbei ist, setzen
wir das Kasino wieder in Betrieb.«
** Aus: Neues Deutschland, 24. April 2009
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