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IWF-Reform mit Widerständen

Neuausrichtung des Fonds sind bis ins Detail strittig / Bundesdeutsche Vertreter als Bremser

Von Kurt Stenger *

Auf der IWF-Jahrestagung heute und morgen (6. und 7. Okt.) sollen Weichen für eine Reform des Währungsfonds gestellt werden. Doch diese klemmen.

Die Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank begann mit Protest: Bei einer Diskussionsveranstaltung in der Istanbuler Universität warf ein linker Aktivist einen Schuh in Richtung des geschäftsführenden IWF-Direktors Dominique Strauss-Kahn und rief: »IWF, hau ab!« Vor der Uni kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Der französische Sozialist Strauss-Kahn nahm es übrigens gelassen: Der Protestierer sei so höflich gewesen, mit der Aktion bis zum Ende seines Vortrages in der Universität zu warten.

Überhaupt wird seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise vor einem Jahr den Äußerungen aus dem IWF wieder mehr Bedeutung beigemessen. Da plötzlich globale Feuerwehraktionen von Island bis Pakistan gefragt waren und keine andere multilaterale Finanzinstitution bereitstand, erlebte der Fonds nach Jahren scharfer Kritik eine unerwartete Renaissance. Dazu gehören auch die präsentierten weltweiten Konjunkturprognosen und Daten zum Stand der Aufräumarbeiten im Bankensektor, die den Finanzmärkten wichtige Orientierung geben.

In Istanbul stellt sich jetzt das Problem, dass gleichzeitig eine Reform der Machtverteilung innerhalb des IWF als auch eine Reform der internationalen Finanzarchitektur als Themen anstehen. Zwar haben die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer beim Weltfinanzgipfel in Pittsburgh vor knapp zwei Wochen eine Stimmrechtsreform befürwortet, laut der »mindestens« fünf Prozent der Quoten von über- zu unterrepräsentierten Ländern umverteilt werden sollen. Doch der IWF ist nicht einfach das ausführende Organ der G20. Zahlreiche Entwicklungsländer fordern, sieben Prozent umzuverteilen und auch arme wirtschaftsschwache Länder zu berücksichtigen. Dagegen sehen einige EU-Europäer, die derzeit als Einzelstaaten und als Gemeinschaft durch Doppelstrukturen besonders überrepräsentiert sind und deshalb an Einfluss verlieren sollen, die Pittsburgh- Beschlüsse als zu weitreichend an. So verwundert es nicht, dass gerade die bundesdeutschen Vertreter in Istanbul als Verteidiger des ungerechten Status quo auftreten. Der berüchtigte SPDFinanzstaatssekretär Jörg Asmussen forderte die Bemessung der Stimmrechte nach »objektiven Kriterien«, sprich der Wirtschaftskraft. Bundesbankchef Axel Weber wiederum, bekanntlich ein Befürworter einer restriktiven Geldmengenbegrenzung, möchte die krisenbedingt erhöhten Finanzmittel für den IWF rasch wieder zurückführen und billigt dem Fonds keine zusätzlichen Kompetenzen zu.

IWF-Chef Strauss-Kahn macht sich dagegen für eine »bedeutende Erhöhung« der Mittel stark – auf Dauer. Nur so könne der Fonds seine künftige Rolle als »Kreditgeber der letzten Instanz« ausüben. Der Währungs- und Finanzausschuss des IWF sieht dies ähnlich. Er sprach sich jetzt für eine umfängliche Quotenneuregelung und auch die Überprüfung des IWF-Mandats aus, was auch neue Kompetenzen beinhalten würde. Und beim Treffen des Gouverneursrates, des Entscheidungsgremiums, werden die Regierungen der Mitgliedstaaten dies wohl so absegnen.

Anfang 2011 sollen die Neuerungen kommen, was angesichts der Widerstände und offenen Fragen aber zu optimistisch sein dürfte. Für wirklich tiefgreifende Reformen etwa beim Abbau der globalen Ungleichgewichte dürfte da kein Platz sein. Das gilt auch für den Vorschlag von Strauss-Kahn, Währungsreserven aus Überschussstaaten beim IWF anzulegen, um schädliche Spekulationen künftig besser eindämmen zu können.

* Aus: Neues Deutschland, 6.Oktober 2009


Die Nebenwirkungen stehen vor ihrer vollen Entfaltung

Peter Wahl: Anstieg der Arbeitslosigkeit bedroht die sozialen Systeme **

Peter Wahl ist Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation WEED (Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung) und Spezialist für die Regulierung des internationalen Finanzsystems sowie Mitbegründer des globalisierungskritischen Netzwerks Attac Deutschland. Über Gegenwart und Zukunft des Internationalen Währungsfonds und des Weltfinanzsystems sprach mit ihm für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling.

ND: Pünktlich zur Herbsttagung hat der Internationale Währungsfonds seine vorsichtig optimistische Weltkonjunkturprognose vorgelegt: Die Wende zum Besseren sei geschafft, aber Risiken blieben. Teilen Sie diese Einschätzung?

Wahl: Generell ist es schwierig, sich als Prophet zu betätigen. Die Formulierungen sind relativ vorsichtig gehalten. Für den IWF ein Fortschritt, denn er ist ein gebranntes Kind. Immer wieder hat er Prognosen veröffentlicht, die zu optimistisch waren. Die jetzigen vorsichtigen Wachstumszahlen sind ihm offenbar eine Lehre daraus. Aber eine Krise besteht noch aus anderen Faktoren als den reinen Wachstumszahlen. Es gibt zwei Dinge, die man im Auge behalten muss. Zum einen gibt es noch eine Menge von sogenannten toxischen Derivaten (komplexe Wertpapiere) in den Kellern der Banken, deren Wertentwicklung nicht absehbar ist und von denen deshalb niemand weiß, ob sie noch einmal Wertberichtigungen in Milliarden- oder gar Billionenhöhe nach sich ziehen. Und zum anderen sind die sozialen Dimensionen der Krise zu beachten: Der Anstieg der Arbeitslosigkeit und damit verbunden die Konsequenzen für die sozialen Sicherungssysteme und die öffentlichen Haushalte sowie die enorme Staatsverschuldung. Das ist alles noch lange nicht vorbei.

Auf der Tagung soll es primär um Strategien für die Zeit nach der Krise gehen. Sind weit gehende Systemreformen darin inbegriffen?

Das vergangene Jahr war im Wesentlichen gekennzeichnet durch Krisenmanagement. Die unmittelbaren Krisenfolgen zu bekämpfen, hat im Prinzip geklappt. Das, was 1929 passiert ist, der totale Kollaps der Weltwirtschaft, wurde dieses Mal durch die Konjunktur- und Stimuluspakete verhindert. Im Detail und in einzelnen Aspekten sind die Pakete alle hoch kritikwürdig, daran besteht kein Zweifel. Das fängt damit an, dass sie bestimmte Industrien, die Dinosauriercharakter haben, fördern, dass der ökologische Wandel nicht mit angepackt worden ist, dass Transparenz fehlt und dass eine sehr einseitige Berücksichtigung der Interessen der Finanzindustrie überwiegt.

Nach der Kollapsvermeidung sollen nun im zweiten Schritt ernst zu nehmende Reformen auf die Tagesordnung gesetzt werden. Der G20-Gipfel jüngst in Pittsburgh sollte der Anfang sein. Beschlossen wurden dort einige durchaus begrüßenswerte Reformschritte. Der wichtigste ist sicherlich der, die Eigenkapitalanforderungen an die Banken zu erhöhen. Wie resolut das umgesetzt wird, ist offen und wird sicherlich auch davon abhängen, wie die Krise weiter verläuft. Wenn nicht viel passiert, dann wird das eher moderat ausfallen; kommen noch Nachbeben, werden die Regeln schärfer ausfallen. Auch dass der Derivate-Handel kontrolliert wird und die Bankenaufsicht grenzüberschreitend agieren soll, sind Schritte in die richtige Richtung. Doch weder wurde das Casino geschlossen noch fand ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel statt.

Welche Rolle spielt der IWF in der neuen globalen Finanzarchitektur?

Der IWF war von Anfang an einer der großen Gewinner der Krise. Schon beim G20-Gipfel in London Anfang April wurde die Kreditkasse des IWF auf 750 Milliarden US-Dollar verdreifacht. Als Feuerwehr in der Krise soll er wieder einmal eine große Rolle spielen. In Pittsburgh wurde auch seine Wächterfunktion gestärkt: Der IWF soll das ökonomische Verhalten seiner Mitgliedsländer vor allem in Hinsicht auf Handelsüberschüsse und -defizite genauer kontrollieren. Im Rahmen eines sogenannten Peer-Review-Mechanismus (Begutachtungsmechanismus) sollen die betreffenden Staaten dazu bewegt werden gegenzusteuern, Deutschland und China zum Beispiel dazu, ihre Exportüberschüsse, die USA ihre Handelsdefizite abzubauen.

Und drittens wurde eine Stimmrechtsreform beschlossen, die in Istanbul abgesegnet werden soll. Fünf Prozent der Stimmrechte sollen zugunsten der Schwellenländer umgeschichtet werden, an erster Stelle sicherlich China. Und der qualitative Punkt daran: All diese Maßnahmen wurden nicht von den G8, sondern von den G20, also unter Einschluss Indiens, Chinas, Brasiliens, Argentiniens, Mexikos, Südafrikas und so weiter beschlossen. Die Rückendeckung von den Schwellenländern ist quasi ein Geschenk des Himmels für den IWF, nachdem sich vor der Krise viele Schritt für Schritt von IWF-Krediten unabhängiger machten und ihn damit in Finanznöte brachten.

Die Krise kam für den IWF gerade noch mal zum richtigen Zeitpunkt?

Ja, so kann man es ausdrücken.

Der IWF wurde in Pittsburgh damit beauftragt, einen Report anzufertigen, wie die Finanzindustrie an den Kosten für die Krisenbewältigung beteiligt werden kann. Ist das eine Blendgranate?

Das ist auf alle Fälle eine politisch spannende Sache. Implizit wurde der IWF damit beauftragt, die Möglichkeiten einer Finanztransaktionssteuer darzustellen, wie sie von der globalisierungskritischen Bewegung schon seit langem gefordert wird. Und das ist eine interessante Sache für uns, weil zu erwarten ist, dass der IWF das nicht ohne Weiteres abwürgt. Der amtierende IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn ist ein alter Kumpel von Oskar Lafontaine. Zusammen haben sie 1999 den Vorschlag gemacht, einen Wechselkurskorridor einzurichten, um die Währungsspekulationen zu begrenzen. Sie sind auf Ablehnung gestoßen. Strauss-Kahn war damals Finanzminister in Frankreich, ist Mitglied der Sozialistischen Partei Frankreichs und dürfte einer Finanztransaktionssteuer nicht völlig abgeneigt gegenüberstehen.

Strauss-Kahns Reformeifer an der IWF-Spitze ist ernst zu nehmen?

Er gehört jedenfalls zu dem Teil der Funktionselite, der am weitestgehenden die Tiefe und Ernsthaftigkeit der Krise begriffen hat. Er hat auch die Verantwortung des Finanzsektors sehr unverblümt angesprochen. Mit ihm ist auf alle Fälle ein bisschen Dynamik in die Reformdiskussion gekommen. Das ist mehr als nichts, aber sicher kein Grund, nun den außerparlamentarischen Druck zu senken. Im Gegenteil.

Zahlen und Fakten

Bretton Woods

Am 22. Juli 1944 wurden im US-amerikanischen Bergdorf Bretton Woods die Grundpfeiler der Finanzordnung für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzt: der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank.

Die Schwesterinstitutionen bestimmen seit Beginn der Schuldenkrise 1982 maßgeblich die globale Entwicklungspolitik. Dem IWF war die Schuldenkrise hoch willkommen, befand er sich doch selbst seit März 1973 in der Sinnkrise. Denn geschaffen wurde der IWF als Hüter eines globalen Währungssystems mit festen, an die Leitwährung US-Dollar geknüpften Wechselkursen. Das System scheiterte 1973, weil USA-Präsident Richard Nixon im Zuge des teuren Vietnam-Krieges die Golddeckung aufhob, die seit Bretton Woods garantierte, dass Dollars von den USA jederzeit zu einem festen Kurs in Gold umgetauscht würden. Die Wechselkurse wurden flexibilisiert und der Dollarkurs stürzte ab. Seitdem dominieren flexible Wechselkurse und Währungskrisen in Schwellenländern: Mexiko 1995, Südasien 1997, Russland 1998, Brasilien 1999, Argentinien 2001. Hohe Zeit für den IWF, der den Staaten mit Krediten aushilft, damit sie ihre Gläubiger bedienen können. Als Gegenleistung müssen sich die Staaten Strukturanpassungsprogrammen unterziehen.

Beim Beitritt zum IWF zahlt jedes Land eine gewisse Geldsumme, die sogenannte Quote. Die Höhe der Quote wird anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Staates berechnet. Gleichzeitig wird durch diese Quote bestimmt, inwieweit der jeweilige Staat ein Mitspracherecht bei Entscheidungen hat und wie groß sein Kreditlimit ist. Bisher dominierten die Industriestaaten, insbesondere die Gruppe der Sieben (G7) – USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Japan, Kanada und Italien – eindeutig. In Istanbul sollen die Schwellenländer größeres Gewicht bekommen. ML



** Aus: Neues Deutschland, 6. Oktober 2009


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