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G8-Gipfel: Vier Probleme zwischen Russland und dem Rest

Eine Analyse aus russischer Sicht

Von Alexej Makarkin *

Beim G8-Gipfel in Deutschland sind keine großen Sensationen zu erwarten, auch in Bezug auf Russland.

Bei internationalen Begegnungen dieser Art kommt es üblicherweise zu keinen besonders Aufsehen erregenden Entscheidungen, weil alle Streitfragen im Voraus abgestimmt werden.

Es bestehen zum Beispiel große Zweifel daran, dass die USA im Fall Iran zur Gewalt greifen werden: Eine kriegerische Lösung wird von der internationalen Völkergemeinschaft abgelehnt, möglich sind auch unberechenbare Komplikationen sowohl für die internationale Situation als auch für die innenpolitische Lage in den USA.

Offenbar hat sich die US-Administration für „indirekte Handlungen“ zur Destabilisierung des Regimes Achmadinedschads entschieden, die einen Militäreinsatz ausschließen, der die iranische Gesellschaft um ihren Präsidenten vereinen würde. Zugleich stimmten sowohl die US-Partner in der EU als auch Russland Sanktionen gegen Teheran zu (Meinungsunterschiede gab es dabei nur bei konkreten Einschränkungen).

Die größten Staaten der Welt finden, wenn auch nicht ohne Probleme, eine gemeinsame Sprache auch zum Atomstreit mit Nordkorea. Was den Irak anbelangt, so wurde der Höhepunkt der Kontroversen zu diesem Thema bereits 2003 überwunden, was sich in keiner Weise auf die Lebensfähigkeit der G8 als ein Instrument der internationalen Partnerschaf ausgewirkt hatte. Nun sind alle G8-Teilnehmer daran interessiert, dass ein Abzug der US-Truppen aus diesem Land nicht zu einem Bürgerkrieg nach dem tragischen Vorbild Libanons der 70er und 80er Jahre führt.

Die Meinungsunterschiede zwischen Russland und den anderen Teilnehmern des Gipfels sind hauptsächlich mit vier Problemen verbunden.

Erstens: Das Energieproblem. Es ist in bedeutendem Maße darauf zurückzuführen, dass die G8 traditionell nicht nur als ein Gipfel der größten Industrieländer, sondern auch der größten Energieverbraucher galt. Die Präsenz Russlands, eines der größten Energielieferanten auf dem Weltmarkt, passt nicht in diese Logik. In letzter Zeit wird das Thema Zusammenarbeit im Energiebereich zu einem der akutesten bei den Russland-EU-Gipfeltreffen, es ist aber auch ein Hindernis auf dem Weg zu einem konstruktiven Dialog. Durchbrüche in diesem Bereich werden auch beim G8-Gipfel in Deutschland kaum erreicht - zu unterschiedlich sind die Vorstellungen von den Prinzipien der „Energiesicherheit“, die im Westen mit einer Diversifizierung der Pipeline-Routen und in Russland mit dem Abschluss langfristiger Verträge zwischen den Lieferanten und den Abnehmern verbunden wird. Die bereits gewohnten Meinungsdifferenzen sollten aber auch nicht dramatisiert werden.

Das zweite Problem ist die Situation mit der Demokratie in Russland, die von den westlichen Staaten, darunter auch von den G8-Teilnehmern, immer aktiver kritisiert wird. Die „Nachsicht“-Phase in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, als Letzterer bemüht war, seine Kritik an Russland bei den Menschenrechten zurückzuhalten, ist offenbar vorbei. Die USA waren vor allem wegen ihres Interesses an der Beteiligung Russlands an der Antiterrorkoalition so zurückhaltend. Frankreich und Deutschland als entschiedene Kritiker der amerikanischen Irak-Operation brauchten eine Annäherung mit Russland als Alternative zum internationalen Einfluss der USA. Und dem „Enfant terrible“ der EU, der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, schien es einfach Spaß zu machen, seine Solidarität mit Russland zu zeigen und es vor der Kritik der europäischen Öffentlichkeit zu schützen.

Jetzt hat sich die Situation verändert. Die Bedeutung der Antiterror-Kooperation hat für die amerikanische Innenpolitik keinen so hohen Stellenwert mehr. Dafür hat sich der russisch-amerikanische Konkurrenzwettbewerb im postsowjetischen Raum (speziell in Georgien und der Ukraine) verschärft. Die wichtigsten Architekten eines von den USA autonomen Gespanns - Gerhard Schröder und Jacques Chirac - sind von der politischen Arena verabschiedet. Für ihre Nachfolger wird die Wiederherstellung positiver Beziehungen mit den Amerikanern und nicht eine demonstrative Annäherung mit Russland zu einer Priorität. Damit sind die neuen kritischen Worte im Vokabular von Angela Merkel zu erklären, wenn sie über die russische Variante der Demokratie spricht. Auch Berlusconi ist nach der Niederlage bei der Parlamentswahl aus dem G8-Klub ausgeschieden.

Das Ende der „Nachsicht“-Periode muss aber nicht eine Rückkehr zur Ära des Kalten Krieges bedeuten. Trotz der wachsenden Kritik des Westens hat Wladimir Putin beispielsweise Russlands weitere Mitgliedschaft im Europarat oder die Beschlüsse des Europäischen Menschenrechtsgerichts nie in Frage gestellt, auch wenn diese unangenehm ausfielen. Genauso erwägt niemand von denen, die im Westen politische Entscheidungen treffen, ernsthaft die Möglichkeit eines Ausschlusses Russlands aus der G8.

Die Probleme drei und vier sind jeweils die geplante Stationierung von Teilen des amerikanischen Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien sowie die Lösung des Kosovo-Problems. Im Unterschied zu den beiden ersten haben diese Probleme einen relativ lokalen Charakter. Heute stehen diese Probleme im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Diplomaten aus vielen Ländern, morgen können sie aber in den Hintergrund rücken - erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Probleme von Bosnien und Herzegowina, auf die in den 90er Jahren die Aufmerksamkeit der ganzen Welt gerichtet war.

Der Beschluss Russlands und der USA, die öffentliche Polemik zu Problemen der bilateralen Beziehungen zu mildern, zeigt, dass selbst das überaus ärgerliche Problem des Raketenabwehrsystems nicht zu fatalen Abbrüchen von Kontakten führt, die für den Kalten Krieg kennzeichnend waren.

Zu betonen ist auch, dass die zurückhaltende russische Position zum Ahtisaari-Plan eine durchaus ernsthafte Aufmerksamkeit der anderen G8-Länder verdient: Das Ignorieren der legitimen Interessen Serbiens und die eindeutige Sympathie für die Kosovo-Albaner könnten den demokratischen Prozessen in der serbischen Gesellschaft einen irreparablen Schaden zufügen und in dieser revanchistische Tendenzen hervorrufen.

Die Hauptbesonderheit der G8-Gipfel besteht darin, dass diese renommierten Begegnungen für eine Einigung bei komplizierten internationalen Fragen sowie für die Aufrechterhaltung eines dauerhaften Dialogs zwischen den führenden Ländern der Welt genutzt werden. Vor mehr als 90 Jahren hat das Ausbleiben eines solchen Dialogs zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs geführt. Insofern haben die leicht langweiligen Gipfeltreffen ihren Selbstwert - auch wenn es dabei zu keinen Sensationen kommt.

* Der Autor Alexej Makarkin ist stellvertretender Generaldirektor des Zentrums für politische Technologien.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 6. Juni 2007; http://de.rian.ru



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