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Gipfelproteste ohne Resonanz vor Ort?

Auf einer Aktionskonferenz in Rostock besprach die globalisierungskritische Bewegung die Lage vor Heiligendamm

Am 13./14. April fand in Rostock eine Aktionskonferenz der verschiedensten Gruppierungen und Initiativen statt, die den G8-Gipfel im Juni in Heiligendamm kritisch begleiten wollen. Darüber fanden sich in der überörtlichen Presse ein paar Hinweise, die wir im Folgenden ganz oder auszugsweise dokumentieren.

"Resonanz war nicht die, die wir erwartet hatten"

Aktionskonferenz der Bewegung gegen den G-8-Gipfel wollte über Ziele des Protests aufklären. Ein Gespräch mit Monty Schädel *

Wie war die Beteiligung an der G-8-Aktionskonferenz am Wochenende in Rostock und was wurde besprochen?

Die Beteiligung war recht gut, wenn man bedenkt, daß Rostock beziehungsweise Heiligendamm nun mal eher an der Peripherie liegen. Wir hatten immerhin 350 bis 400 Teilnehmer. Die Aktionskonferenz der Gesamtkoordination schloß sich am Freitag abend an die internationale Konferenz des Dissent-Netzwerkes mit Teilnehmern aus ganz Europa und zum Teil auch aus Asien an. Gesprochen wurde über die organisatorischen Feinheiten des Protestes gegen den G-8-Gipfel bei der geplanten Großdemonstration und im alternativen Medienzentrum, über Aufgabenverteilung und Mobilisierung.

Sie haben auch den Kontakt zur Bevölkerung gesucht, um der Dämonisierung der Gipfelgegner durch Polizei und Verfassungsschutzbehörden entgegenzuwirken. Wie waren die Reaktionen?

Die Konferenz war darauf ausgerichtet, mit zwei großen öffentlichen Veranstaltungen an einem neutralen Ort, also außerhalb der Konferenztagungsorte, die Bevölkerung einzubeziehen und darüber zu informieren: Was wollen G-8-Gegner, welche Alternativen wollen Globalisierungskritiker, wieso sind sie überhaupt dagegen? Das hat nach meinem Dafürhalten nicht wirklich geklappt, was unterschiedliche Gründe haben kann. Einer war ganz sicher das schöne Wetter. Andererseits ist es auch einfach noch zwei Monate hin.

Wo hat die Aktionskonferenz getagt, und wie war die Infrastruktur?

Unsere Konferenzteilnehmer haben überwiegend in einer Schule übernachtet, die uns von der Stadt Rostock zur Verfügung gestellt wurde. Das war allerdings ein abrißreifes Haus ohne Telefonleitungen. Auch die Stromleitungen waren an verschiedenen Stellen gekappt. Da haben die meisten von uns übernachtet. Das Gebäude wird jetzt von ehrenamtlich engagierten Leuten zur Organisationszentrale des Protestes ausgebaut.

Haben Sie dort eher positive oder negative Reaktionen von Anwohnern mitbekommen?

Im Rostocker Stadtteil Evershagen, wo sich die Schule befindet, haben sich einige Anwohner beschwert, daß von den Rasenflächen ringsherum nach einer Party niemand den Müll weggeräumt hätte. Andererseits gab es auch verständnislose Reaktionen von Leuten, die ihrem Sport nicht nachgehen konnten, weil unsere Konferenz in der Schulsporthalle stattfand. Das konnten die teilweise gar nicht verstehen; sie sagten, wir sollten mit unserem Mist doch woanders hingehen. Das waren die beiden Highlights im negativen Bereich.
Positiv ist zu erwähnen, daß trotz des schönen Wetters 30 oder 40 Leute aus der Rostocker Bevölkerung an unseren Veranstaltungen teilnahmen, die bisher nicht zur Bewegung gehörten. Die Resonanz war aber insgesamt nicht die, die wir erwartet hatten, zumal die Veranstaltungen in einer großen Rostocker Kirche durchgeführt wurden, also einem relativ neutralen Ort. Dafür brachten diejenigen, die gekommen sind, auch gleich die Bereitschaft mit, sich zu engagieren.

Entlang des Sicherheitszauns um den Tagungsort des G-8-Gipfels war zum Abschluß der Konferenz ein »Zaunspaziergang« angekündigt.

Das hat eine unrühmliche Vorgeschichte: daß Menschen, die eine angemeldete Demonstration entlang des Sicherheitszauns vorbereiten wollten, schon Platzverweise bekamen, als sie die Demonstra­tionsroute abgehen wollten. Das ist, wie ich meine, ein unerhörter Eingriff in das Demonstra­tionsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Und vor allen Dingen: Wenn schon jetzt bei einer relativ kleinen Gruppe von 300 bis 500 Leuten solche Maßnahmen ergriffen und Verfahren eingeleitet werden, dann läßt das für die Zeit während des Gipfels Böses ahnen. Die Demonstration wurde nicht direkt am Zaun genehmigt, sondern durfte lediglich an zwei Stellen den Zaun passieren. Direkt am Zaun wurde sie mit der Begründung untersagt, daß es sich um ein Privatgelände handele. Einen Zaun darf man dort bauen – demonstrieren wohl nicht.

Interview: Claudia Wangerin

* Monty Schädel ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft–Vereinigte KriegsdienstgegenerInnen (DFG-VK) und Koordinator des Rostocker Bündnisses für die Proteste gegen den G-8-Gipfel im Juni in Heiligendamm

Aus: junge Welt, 16. April 2007


Zaunspaziergang. G-8-Gegner trainieren für die Gipfelproteste Heiligendamm

Mehrere hundert Demonstranten übten am Sonntag (15. April) in der Nähe des Sicherheitszaunes in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern), wie man eine Straße blockiert. In Vorbereitung des G-8-Treffens Anfang Juni in dem Ostseebad wird derzeit eine zwölf Kilometer lange und zweieinhalb Meter hohe Spezialeinfriedung mit Bewegungsmeldern, NATO-Draht und Unterkriechschutz um den Ort errichtet. Die als "Zaunspaziergang" bezeichnete Demonstration war Abschluß eines dreitägigen Vorbereitungstreffens der G-8-Gegner in Rostock. Die "Kampagne Block G 8" will nach eigenen Angaben ihr Aktionstraining zur Vorbereitung "massenhafter Blockaden mit Mitteln des zivilen Ungehorsams" in den nächsten Wochen bundesweit anbieten und praktizieren. Die Aktionen würden in ehrenamtlicher Arbeit Tausender Mitstreiter vorbereitet, betonten die Veranstalter. Bundesweit seien bereits 600 Aktionen organisiert worden. Allein für die Camps haben sich bisher schon rund 20000 Demonstranten angemeldet.

jW, 16.04.2007




200.000 Euro aus öffentlichen Kassen?

G8-Gegner haben Witz und Mut – nur kein Geld

Von Fabian Lambeck, Rostock **

Am Wochenende trafen sich Gegner des G 8-Gipfels 2007 zu ihrem dritten und letzten Vernetzungstreffen in Rostock – allerdings erstmalig in eigenen Räumlichkeiten. Die Hansestadt Rostock überließ ihnen eine heruntergekommene Schule im Stadtteil Evershagen. Etwas euphemistisch nennt sich die ehemalige Ehm-Welk-Schule nun Convergence-Center. Der Plattenbau verfügt inzwischen über provisorisch eingerichtete Werkstätten, eine Gemeinschaftsküche und natürlich viel Platz für Menschen. Während des G 8-Gipfels soll das Convergence-Center zu einer Art Schaltzentrale des Widerstandes werden. Um zu diskutieren, wie dieser Widerstand aussehen soll, waren über 400 Aktivsten aus ganz Europa dem Aufruf der Rostocker Organisatoren gefolgt.

Am Freitag wurde das Vernetzungstreffen mit einer Podiumsdiskussion eröffnet – allerdings in der Rostocker Nikolaikirche. Der Ort war bewusst gewählt worden, auch um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die Kirche den Protest unterstützt. Vertreter der Grünen, der Linkspartei und einiger globalisierungskritischer Gruppen übten sich in Harmonie. Der Sonnabend war dann thematischen Arbeitsgruppen vorbehalten. Unter dem einfachen Motto »Praxis« diskutierte man über diverse organisatorische Fragen, wie beispielsweise die Einrichtung von Demo-Camps. Die Vorbereitung auf den Gipfel umfasste auch ein Training in verschiedenen Blockadetechniken.

Auch über den Alternativgipfel, der parallel zum G 8-Gipfel stattfinden soll, wurde am Wochenende gesprochen. Vom 5. bis zum 7. Juni erwartet man 10 000 Teilnehmer in Rostock. Den Organisatoren ist es gelungen, hochkarätige Gäste zu gewinnen. Unter anderem erwartet man die Trägerin des alternativen Nobelpreises Vandana Shiva, den UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler und den Chefredakteur der »Le monde diplomatique« Ignacio Ramonet. Dessen Leitartikel »Die Märkte entschärfen« regte einst die Gründung des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac an.

Nur eines fehlt den Protestorganisatoren – Geld. Pedram Shahyar von Attac hofft, dass sich die öffentliche Hand an der Finanzierung des Protestes beteiligen wird. Schließlich lassen sich Bund und Länder die Ausrichtung des G8-Gipfels mehr als 100 Millionen Euro kosten. Da fallen die anvisierten 200 000 Euro für die Großdemonstration in Rostock wohl kaum ins Gewicht.

** Aus: Neues Deutschland, 16. April 2007


Die Generalprobe

Auszug aus einem Artikel von Jörg Schindler aus der Frankfurter Rundschau (Seite 3) vom 16. April 2007

(...) Trotz teils erheblicher kultureller Unterschiede haben sich unzählige der kirchlichen, sozialen, friedens-, frauen- und migrationspolitischen, linken, linksradikalen und linksautonomen Gruppen vernetzt. Auf ein großes Anti-Thema haben sie sich zwar nicht einigen können. Dafür lässt der Slogan "Eine andere Welt ist möglich" allen ihren jeweiligen Interpretationsspielraum. "Eine derart erfolgreiche Kooperation gab es noch nie", sagt Werner Rätz. Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken glaubt gar: "Das wird das prägende Ereignis für die Bewegung in Europa - mindestens."

Nicht, dass es keine Probleme mehr gäbe. Immer mal wieder zeigte sich zuletzt, wie fragil das Anti-G8-Netzwerk tatsächlich ist. Die kleinen, eher losen Gruppen befürchten regelmäßig, von Großorganisationen wie Attac oder neuerdings auch der Linkspartei bevormundet zu werden. Zu Diskussionen schickten die einen ihre Repräsentanten, die anderen ganz basisdemokratisch die ganze Gruppe - Einigungen wurden dadurch nicht eben erleichtert. Zudem schwebt dauerhaft über Allem die heikle Gewaltfrage. Als kürzlich eine Attac-Sprecherin öffentlich vor "ein paar Irrationalen" warnte, die den ganzen Protest zerstören könnten, "haben sich die Irrationalen ziemlich aufgeregt", sagt Christoph Kleine. In seinem Netzwerk geht man mit dem Gewaltthema etwas großzügiger um: Da Regierung und Polizei längst "eine Art Bürgerkriegsszenario" heraufbeschworen hätten, könne man "niemandem sein Recht auf Gegenwehr nehmen". Was immer das im einzelnen Blockadefall heißen wird. (...)


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