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Einig in der Uneinigkeit

Die G20-Staaten beschränken sich auf unkonkrete Absichtserklärungen

Von Martin Ling *

Die Eurokrise ist das Zentrum der globalen Finanzkrise. Beim G20-Gipfel in Los Cabos konnten sich die Staats- und Regierungschefs nicht auf ein koordiniertes globales Krisenmanagement einigen. Schlechte Vorzeichen für den Rio+20-Gipfel, auf dem ohne die G20-Länder ebenfalls nichts geht.

Der »Dedazo« gehört zur Tradition der politischen Kultur in Mexiko. Mit dem Fingerzeig bestimmte die Revolutionäre Institutionelle Partei Mexikos bis 1999 den künftigen Staatspräsidenten. Beim G20-Gipfel in Los Cabos kam es zu einer Wiederauferstehung des Fingerzeigs in neuer Form: Alle Länder außerhalb der Eurozone zeigten auf die Eurokrise und die Euroländer, die doch gefälligst mal ihre seit mehr als zwei Jahren anhaltende Dauerkrise in den Griff bekommen sollten, statt die Weltwirtschaftskonjunktur zu bremsen.

Die USA, China, Indien und Südkorea zeigten sich tief beunruhigt, dass die Schuldenkrise weiter schwelt und schlimmstenfalls die Weltwirtschaft bedroht. Bei allem Verständnis für die Lage der Europäer überwogen kritische Töne.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wehrte sich. Die Schuldenkrise sei eben nicht allein Problem der Europäer, auch andere Wirtschaftsmächte stünden in der Pflicht, sagte sie. »Hier wird jeder Kontinent seinen Beitrag leisten müssen.«

Schwer verärgert war EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso: »Wir lassen uns hier von niemandem belehren.« Die Krise sei nicht von Europa ausgelöst worden, sondern habe in den USA ihren Ausgang genommen.

Versöhnlich unkonkret fällt wohl nur die Abschlusserklärung aus: »Alle G20-Mitglieder werden die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das weltweite Wachstum zu stärken und das Vertrauen wiederherzustellen«, hieß es in einem Entwurf. Dazu sei es notwendig »zusammenzuarbeiten, um den Aufschwung zu befördern und Spannungen an den Finanzmärkten entgegenzutreten«.

Weniger versöhnlich blicken Hilfsorganisationen auf den Entwurf. Wichtige Themen kämen gar nicht vor, beklagte Oxfam-Sprecher Jörn Kalinski. Dazu zählten ein Ende der Förderung von Agrotreibstoffen oder mehr Investitionen in kleinbäuerliche Landwirtschaft. Eigeninteressen verhinderten, dass die G20 ihrer Verantwortung für eine Milliarde Hungernde gerecht werden.

Immerhin kann IWF-Chefin Christine Lagarde zufrieden sein. Die G20 werden dem Internationalen Währungsfonds mit 456 Milliarden US-Dollar mehr Geld für Krisenfälle überweisen als bisher gedacht.

Statt in ihren Kernbereichen Wirtschaftspolitik-Koordinierung und Finanzmarktregulierung konzertiert vorzugehen, weiten die G20 ihre Themenpalette von Gipfel zu Gipfel aus. In Mexiko setzte Präsident Felipe Calderón noch »Grünes Wachstum« auf die Agenda. Eine »Grüne Wirtschaft«, die soziale und ökologische Gerechtigkeit beinhaltet, umfasst dieses Konzept nicht. Es spricht auch nichts dafür, dass sich ein solches Konzept beim Rio+20-Gipfel durchsetzt, der heute beginnt.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. Juni 2012


Kampfansage an die "Grüne Wirtschaft"

Soziale Bewegungen beharren beim "People's Summit" auf ihrer Interpretation eines widersprüchlichen Konzepts

Von Andreas Behn, Rio de Janeiro **


Was bedeutet »Grüne Wirtschaft«? In Rio gibt es drei Ansätze: globale Umweltschutzverpflichtungen, Technologietransfer und Naturausbeutung.

»Die ›Grüne Wirtschaft‹ entzweit reiche und arme Länder«, titelte eine große brasilianische Zeitung kurz vor dem Eintreffen der Staatsund Regierungschefs zum UNGipfel »Rio+20«. Neben vielen anderen Streitpunkten bei der Formulierung des Abschlussdokuments der Konferenz über Nachhaltige Entwicklung ist das Konzept der »Green Economy« aus Sicht von Umweltgruppen und sozialen Bewegungen das größte Problem. Der Begriff geht auf eine Studie des UN-Umweltprogramms (UNEP) von 2011 zurück, die nachzuweisen versucht, dass die drei Säulen der Nachhaltigkeit errichtet werden können: Wirtschaftswachstum, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Allerdings bleibt das Konzept an vielen Stellen derart unkonkret, dass je nach Interessenlage völlig unterschiedliche Maßnahmen und Entwicklungswege damit gerechtfertigt werden können.

So sehen Industriestaaten darin einen guten Entwurf, um mittels moderner Technologien effektiven Umweltschutz auch im Rest der Welt umzusetzen. Entwicklungs- und Schwellenländer hingegen sehen darin den Versuch, neue protektionistische Handelsschranken zu legitimieren. Folgerichtig fordern sie, dass eine weltweite »Green Economy« nur mittels Technologietransfer und eines Topfes für nachhaltige Entwicklungsmaßnahmen zu realisieren sei. Diese Forderungen sind ein Haupthindernis in den Verhandlungen in Rio, da die reichen Staaten um ihre Patente und ihr knappes Geld fürchten.

Jenseits dieser zwischennationalen Interessenkonflikte formulieren Wissenschaftler und soziale Bewegungen grundsätzliche Einwände gegen diverse Postulate der »Green Economy«. Vor allem wird kritisiert, dass dieses Konzept eine Vermarktung der Natur bedeute. Indem beispielsweise Wäldern oder dem Wasser ein Wert beigemessen werde, würden diese nicht geschützt, sondern den Interessen der Industrie ausgeliefert, erklärt etwa Iara Pietricovsky von der brasilianischen Nichtregierungsorganisation INESC.

»Das gescheiterte Wirtschaftsmodell wird grün verkleidet, um nun alle vitalen Zyklen der Natur dem Markt, der Privatisierung und dem Diktat der Technologie unterzuordnen. « Deswegen ist der »Schutz der öffentlichen Güter« von den Organisatoren des »People's Summit «, des Gegengipfels der sozialen Bewegungen, zu einer der zentralen Forderungen erhoben worden.

Im Bereich Landwirtschaft wird zudem der unkritische Bezug auf das Agrarbusiness moniert. »Da das grüne Landwirtschaftsmodell nicht genau definiert wird, kann ohne weiteres auch genetisch verändertes Saatgut darunter gefasst werden«, so Jean Marc van der Weid von der brasilianischen Nichtregierungsorganisation ASPTA. Eine wirklich grüne Agrarwirtschaft müsse die zentrale Rolle der ökologischen und familiären Landwirtschaft für die Ernährungssouveränität betonen, führt der Wissenschaftler aus.

Bereits im Mai verabschiedete das breite Bündnis, das den »People's Summit« organisiert, eine Erklärung, in der die vorbereiteten »Rio+20«-Beschlüsse im Bereich der »Green Economy« abgelehnt werden: Die UNO diskutiere weder eine Bilanz der Beschlüsse des Erdgipfels von 1992 noch die Ursachen der Krise. »Statt dessen wird ein Bündel von Maßnahmen diskutiert, das irreführend ›Grüne Wirtschaft‹ genannt wird, und die Errichtung eines neuen institutionellen Rahmens, um sie umzusetzen.« Aus dieser Sicht ist die »Green Economy« vor allem deswegen obsolet, da sie die Prinzipien des Freihandels noch ausbauen will. Wachstum bleibe letztendlich das oberste Ziel. Damit werden weder die natürlichen Grenzen der Erde berücksichtigt, noch wird eine Abschaffung der sozialen Ungleichheiten möglich.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. Juni 2012


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