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Das Ende der alten Tage

In Doha prallen die Interessen von Nord und Süd aufeinander. Industriestaaten wollten Finanzkrise bei UN-Konferenz für Handel und Entwicklung ausklammern

Von Wolfgang Pomrehn *

Seit Samstag tagt in der Golf-Metropole Doha, in Katar, die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Schon im Vorfeld ging es hoch her. Die Industriestaaten wollten verhindern, daß auf dem Treffen über die internationale Finanzkrise gesprochen wird. Bei den in der Gruppe der 77 und China (G-77 und China) zusammengeschlossenen Entwicklungsländern stieß das auf helle Empörung. Auch ein am Rande der Konferenz tagendes Forum von Gewerkschaftsvertretern, Menschenrechtsgruppen und anderen gesellschaftlichen Organisationen aus aller Welt verurteilte das Vorgehen der sogenannten JUSCKANS-Gruppe (Japan, USA, Schweiz, Kanada, Südkorea, Australien und Neuseeland) sowie der EU. Sie verweisen in einer vergangenen Woche verabschiedeten Erklärung auf die »anhaltenden katastrophalen Auswirkungen (der Krise) auf die Menschen und die Volkswirtschaften«. Während die von den Industriestaaten dominierte Weltbank und der Internationale Währungsfonds IWF seit Jahren »der schrankenlosen Liberalisierung und der Deregulierung der Waren- und Finanzmärkte (das Wort reden), die die aktuelle Krise hervorgehoben haben«, hätten die Analysen des UNCTAD-Sekretariats immer wieder auf die Gefahren dieser Politik hingewiesen. »Die von der Krise verursachten wirtschaftlichen Verwerfungen machen das UNCTAD-Mandat und ihre Arbeit sogar noch wichtiger.«

50jähriger Streit

Der Anlaß für den Streit mag indes aktuell sein, zu Grunde liegt ihm aber eine Auseinandersetzung, die so alt ist wie die fast 50jährige UN-Organisation selbst. UNCTAD ist nämlich mehr als ein alle vier Jahre stattfindendes internationales Treffen. Es verfügt über einen ständig arbeitenden Rahmen, in dem ursprünglich über die Struktur der Weltwirtschaft, über Regeln für den Welthandel sowie über Austauschverhältnisse zwischen den Nationen geredet werden sollte.

Schon bei der Gründung der UNCTAD im Jahre 1964 hatten die Entwicklungsländer den Norden mit ihren Forderungen konfrontiert. 1967 gründeten sie die G 77, die seinerzeit 77 Mitglieder zählte. Heute gehören ihr 132 Staaten an. Seitdem in den 1980ern auch China beitrat, nennt sie sich G 77 und China. Erklärtes Ziel der Entwicklungsländer war es, nach der zuende gehenden Kolonialzeit auch für die Überwindung der kolonialen Wirtschaftsstrukturen zu sorgen. Die einstigen Kolonien waren zu Rohstofflieferanten degradiert, heimisches Handwderk und Ansätze von Industrie war nicht selten von den ehemaligen Kolonialmächten zerstört worden. Die deutschen Besatzer hatten zum Beispiel in Togo die heimische Eisenverhüttung und Produktion von Eisenwaren verboten, die in Westafrika eine lange Tradition hatten. Zweck der für die Kolonialregime ziemlich typischen Maßnahme war es, für die Waren der Besatzungsmacht einen Absatzmarkt zu schaffen.

Nach dem Anfang der 1960er die meisten afrikanischen und asiatischen Länder ihre Unabhängigkeit zurückerlangten, schlossen sie sich zusammen und stritten in UNO und UNCTAD, in der sie bald die Mehrheit stellten, für Bedingungen, die auch ihnen eine Industrialisierung ermöglichen sollten. Unter anderem wurden die reichen Staaten aufgefordert, die Zollbarrieren für Exporte der Entwicklungsländer abzubauen. Vor allem versuchte die G-77 aber in den 1970er Jahren über die UNCTAD Rohstoffabkommen zu etablieren. Deren Ziel war es, den allgemeinen Preisverfall für mineralische und landwirtschaftliche Rohstoffe aufzuhalten. Dieser hatte seit den 1960er Jahren die Bedingungen für die Entwicklungsländer ständig verschlechtert. Erst mit dem Aufstieg Chinas und die damit stark gestiegene Nachfrage wurde dieser Trend vor knapp zehn Jahren gestoppt und umgekehrt.

Die Industriestaaten haben diese Forderungen der G 77 und Chinas stets ignoriert und statt dessen die Schuldenkrise der 1980er Jahre genutzt, um die Liberalisierung des Welthandels in ihrem Sinne durchzusetzen. Zu diesem Zweck wurde auch die Welthandelsorganisation gegründet. Doch die erheblich gestiegenen Rohstoffpreise sowie der in den letzten 15 Jahren stark gewachsene Süd-Süd-Handel, haben inzwischen die Gewichte verschoben. Heute muß die Europäische Union die Schwellenländer um Hilfe bei der Eindämmung der Eurokrise bitten, wie letzte Woche auf der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds deutlich wurde. Da muten die Angriffe der Industriestaaten auf die UNCTAD als besonders frech und auch ein wenig verzweifelt an. So, als wolle man die Organisation rechtzeitig lahmlegen, bevor die Entwicklungsländer noch weiter erstarken.

Mandat in Gefahr

Ehemalige UNCTAD-Mitarbeiter haben sich in einem Brandbrief an die internationale Öffentlichkeit gewendet. Sie sprechen davon, daß versucht werden solle, der Organisation das Mandat zu nehmen, künftig die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte zu analysieren und ihre Daten zu veröffentlichen. Hintergrund ist, daß die Wirtschaftswissenschaftler der UNCTAD sich dem neoliberalen Mainstream widersetzen, während die reichen Länder versuchen, der Diskussion über die Kontrolle der Finanzmärkte auszuweichen.

Entsprechend fand in der vergangenen Woche in den Vorbereitungsgesprächen in Genf der thailändische UN-Botschafter Pisanu Chanvitan als Vertreter der G 77 und China ungewöhnlich klare und scharfe Worte. Offensichtlich sei die Kompromißbereitschaft der Entwicklungsländer als Kapitulation ausgelegt worden. »Einige unserer Partner sind in Verhaltensmuster zurückgefallen, die eher der Gründungszeit der UNCTAD entsprechen, einer Zeit in der die Länder des Nordens dachten, sie können die Entwicklungsländer von den Entscheidungsprozessen ausschließen.« Die »globale Wirtschafts- und Finanzkrise markiert ein für alle Mal das Ende der schlechten alten Tage und vielleicht das Heraufziehen eines internationalen Regimes einer globalen Wirtschaftsverwaltung, die auf den höchsten Prinzipien und Idealen der Vereinten Nationen basiert«, so Chanvitan weiter. Darunter seien Souveränität, Gleichheit und gegenseitiger Respekt. »Statt dessen sehen wir aber Verhalten, das ein Verlangen nach einem neuen Neokolonialismus auszudrücken scheint.« Wir dürfen also sehr gespannt sein, wie das Hauen und Stechen bis zum Ende der Konferenz am Donnerstag ausgehen wird.

* Aus: junge Welt, Montag, 23. April 2012


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