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Zündstoff für Davoser Kamingespräche

Heute startet das 41. Weltwirtschaftsforum / Das Elitentreffen hat an Bedeutung verloren

Von Urs Fitze, Davos *

Ab heute versammeln sich in Davos 2500 Vertreter der wirtschaftlichen und politischen Eliten zum diesjährigen Weltwirtschaftsforum (WEF). Es gilt als das weltweit größte Treffen dieser Art. Entscheidungen werden jedoch woanders getroffen.

Nirgends lässt sich der Puls der Weltwirtschaft so gut messen wie am Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos. Zwei Drittel der Teilnehmer sind Vertreter der Wirtschaft, fast ausschließlich aus den Chefetagen großer und mittelgroßer Unternehmen aus aller Welt. Das Feld füllen Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Medien auf. So soll der von WEF-Präsident Klaus Schwab beschworene »Stakeholder-Dialog« zustandekommen.

In der öffentlichen Wahrnehmung spielen jedoch die anwesenden Politiker die Hauptrolle. In diesem Jahr sind es unter anderem Russlands Präsident Dmitri Medwedjew, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der die WEF-Bühne gerne zur Selbstdarstellung nutzt. Früher beherrschten auch schon mal die vorwiegend auf der Straße ausgetragenen Konflikte mit Globalisierungskritikern die Szene – aber das ist schon ein Jahrzehnt her.

Beim WEF selbst ist in den vergangenen Jahren politisch wenig bis gar nichts herausgekommen. Auch die regelmäßig beschworenen Mini-Gipfeltreffen, um die völlig festgefahrenen Verhandlungen für ein neues WTO-Handelsabkommen voranzubringen, verliefen im Sand. Mit solchen Aktionen macht das Weltwirtschaftsforum letztlich nur klar, dass die weltpolitische Musik woanders spielt.

Ohnehin lebt der viel beschworene »Geist von Davos« eher von Hintergrundgesprächen und Kaminfeuer-Atmosphäre. Der aus der Bundesrepublik stammende Genfer Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab hatte das 1971 gegründete Forum nach Davos verlegt, um in Ruhe und Abgeschiedenheit über die Themen zu diskutieren, für die im Alltag zu wenig Zeit bleibt. In diesem Jahr könnte davon wieder etwas mehr zu spüren sein. Das von den Veranstaltern ausgerufene Thema lautet »Gemeinsame Normen für eine neue Wirklichkeit«. Klaus Schwab erläutert: »Die Welt wandelt sich in nie zuvor gesehenem Tempo, und sie steht vor den größten Herausforderungen der Geschichte.«

Und so ist die Verschiebung der Gewichte in Weltwirtschaft und Politik nach Osten eines der Hauptthemen. Gleichzeitig nutzen China und Indien mit einer Rekordbeteiligung Davos, um Präsenz zu zeigen und Beziehungen zu knüpfen. Das Forum in Davos ist eine Gelegenheit, mit den Eliten des Westens ins Gespräch und ins Geschäft zu kommen. Dieses Jahr schickt China eine rekordgroße Delegation in die Bündner Alpen. Doch das WEF ist längst in China angekommen. Es unterhält in Peking ein eigenes Büro.

Ein weiteres heißes Thema dürfte das Währungssystem werden. Da überrascht es kaum, dass zahlreiche Finanzminister wie Timothy Geithner aus den USA und Pranab Mukherjee aus Indien oder die Chefs von Deutscher Bank, UBS und Bank of America nach Davos kommen. Der Dollar taumelt, der Euro schlingert, Franken und Yen werden zu Fluchtwährungen, während der chinesische Renminbi von einer neuen Leitwährung weit entfernt ist. Viele Schwellenländer ächzen unter der ins Land strömenden Dollarflut, die die eigenen Währungen in Aufwertungsdruck bringt. Nariman Behravesh, Chefökonom der Unternehmensberatung IHS, sagt, China sei in steter Gefahr, wegen der hohen Inflation an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Das starke Wirtschaftswachstum und steigende Rohstoffpreise befördern die Inflationsgefahr. Mit stark steigenden Preisen sei auch bei Lebensmitteln zu rechnen – weltweit. Die meisten Industriestaaten trifft dies kaum, die Schwellenländer schon mehr. In den ärmsten Ländern, wo bis zu drei Viertel des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben werden müssen, könnte – nach 2008 – sogar eine weitere Nahrungsmittelkrise drohen. Das sind wahrlich düstere Perspektiven.

Behravesh hält eine Umstrukturierung der öffentlichen Schulden im Euroraum für notwendig. Haare lassen müssten dabei auch die Investoren, während die europäischen Banken, die als Gläubiger nach wie vor auf wackligen Füßen stehen, mit weiteren Hilfen rechnen dürften. Die Frage sei nur, wann dies geschehe. An den Finanzmärkten rechne man schon in diesem Jahr damit.

Wenn etwas die Weltwirtschaft durcheinander bringen kann – dann sind es Euro, Dollar und Co. Viel Zündstoff also auch für die Kamingespräche in Davos.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2011

Großaufmarsch in Davos

5000 Schweizer Soldaten sollen das am heutigen Mittwoch (26. Jan.) in Davos beginnende »Weltwirtschaftsforum« gegen Proteste sichern. Seit Montag haben Soldaten die Veranstaltungsorte in dem exklusiven Schweizer Skiort abgeriegelt. Nach Angaben des Schweizer Verteidigungsministeriums wird außerdem die Luftwaffe des Landes während des Treffens Überwachungsflüge durchführen. Seit Dienstag und bis zum Ende des Gipfels am Sonntag wird zudem die Nutzung des Luftraums in der Region eingeschränkt. Die Schweiz rechnet dafür mit Kosten in Höhe von umgerechnet 1,15 Millionen Euro. An dem Treffen nehmen jedes Jahr Konzernvertreter und Regierungsmitglieder teil.
(AFP/jW, 26. Jan. 2011)




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