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"Ich warne vor einer Eskalation von Hass und Gewalt"

IMB-Präsident Klaus Zwickel warnt USA vor Alleingang im Irak. - Mit einem Kommentar

Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung, die am 11. Dezember 2002 von der IG Metall-Pressestelle in Frankfurt versandt wurde. Weiter unten lesen Sie einen Kommentar dazu.

11. Dezember 2002
Nr. 160/2002

IMB-Präsident Klaus Zwickel warnt USA vor Alleingang im Irak

San Diego/Frankfurt - Der Präsident des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes (IMB), der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel, hat die USA vor einem Alleingang im Irak-Konflikt gewarnt. Die einzige Instanz, die über den Einsatz militärischer Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus entscheiden könne, seien die Vereinten Nationen, sagte Zwickel am Mittwoch während einer Tagung des IMB-Exekutivausschusses im kalifornischen San Diego. Durch Alleingänge einzelner Staaten würden die Charta der Vereinten Nationen und die völkerrechtlichen Grundsätze der internationalen Ordnung ausgehöhlt. Daher sollten die USA im Irak-Konflikt nur gemeinsam mit dem UN-Sicherheitsrat und der internationalen Gemeinschaft handeln. Zwickel verwies dazu auch auf die Position von Senator Edward Kennedy, Amerika könne sich nicht seine eigenen Regeln für die Welt schreiben.

Die politischen und wirtschaftlichen Folgen eines Irak-Krieges bezeichnete der IMB-Präsident als unübersehbar. "Ich warne vor einer Eskalation von Hass und Gewalt und plädiere für Besonnenheit", sagte Zwickel. Mit militärischer Gewalt allein könnten politische Probleme nicht gelöst werden. Die Bekämpfung des Terrors und die Beseitigung seiner Ursachen seien ein langer Prozess und erforderten ein Bündel unterschiedlicher Maßnahmen. Dazu gehöre die Beseitigung der wirtschaftlichen und sozialen Ursachen von Verarmung, Hunger und Elend. "Auch dadurch muss der terroristischen Gewalt der Nährboden entzogen werden", betonte der Gewerkschaftsvorsitzende.

IG Metall Pressestelle

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Kommentar

Auf dieses Signal haben viele gewartet. Zu lange haben sich die Vorstände der großen Gewerkschaften in der Irakkriegsfrage im Hintergrund gehalten. Im Wahlkampf hielt es der DGB für ratsam, in seinen Prüfsteinen zur Bundestagswahl außen- und sicherheitspolitische Themen überhaupt nicht anzusprechen. Dies rief eine gewerkschaftliche Initiative auf den Plan, die vor allem von haupt- und ehrenamtlichen Funktionären der unteren und mittleren Ebene getragen wurde und vom DGB verlangte, dass er das Thema Krieg und Frieden als zusätzlichen Punkt in sein Positionspapier aufnimmt. Mittlerweile haben etwa 2.000 Gewerkschaftsmitglieder diesen Antrag unterschrieben und aus der Initiative ist ein "Gewerkschaftliches Netzwerk gegen den Krieg" geworden, das weiter daran arbeiten will, dass sich die Gewerkschaften noch wesentlich stärker gegen den drohenden Irakkrieg engagieren. Beim Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel Anfang Dezember 2002 konnten einige Vertreter/innen der Initiative (z.B. Anne Rieger, Sabine Leidig, Stefan Körzell) davon berichten, dass inzwischen zahlreiche Gewerkschaftsvertreterversammlungen und Vorstände von Landesbezirken Beschlüsse gegen den Krieg gefasst haben.

In dieser Situation kommt die Stellungnahme von Klaus Zwickel, dem Vorsitzenden der IG Metall und des Internationalen Metallarbeiterverbands wie gerufen. Sie gewinnt besondere Bedeutung dadurch, dass sie anlässlich eines Treffens in den USA, im Zentrum der Kriegsvorbereitung sozusagen, abgegeben wurde. Dennoch kann die Erklärung nicht ganz befriedigen. Zu sehr betont Zwickel den Aspekt eines "Alleingangs" der USA. Was aber, wenn die NATO noch offiziell ins angloamerikanische Kriegsboot springen. Dann haben wir es nicht mehr mit einem Alleingang zu tun, sondern - wie im Fall des Dauerkriegs "Enduring Freedom" um eine Kriegsallianz sehr honoriger Partner. Würde der Krieg dann besser? Würde dann angenehmer gestorben? Und wäre dem Völkerrecht dann Genüge getan?

Der Geist, in dem die Erklärung abgefasst wurde, ist getragen vom Vertrauen in die guten Absichten der USA, den Terrorismus wirklich zu Leibe rücken zu wollen. In Wirklichkeit pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass wir es hier mit einem Kriegsfeldzug zu tun haben, der den USA sowohl die ökonomische Kontrolle über das Nahost-Öl als auch die politische Hegemonie in dieser hochsensiblen Weltregion sichern soll. Klaus Zwickel sollte sich einmal in den Betrieben umhören, wie die Kolleginnen und Kollegen darüber sprechen. Den meisten von ihnen ist sehr wohl bewusst, dass es den USA im Fall des Irak nicht um Massenvernichtungswaffen und auch nicht um Menschenrechte und Demokratie geht. Historisch gesehen gab es vielleicht nur zwei Situationen, wo diese Gesichtspunkte zumindest vorübergehend die Außenpolitik amerikanischer Präsidenten bestimmte: 1917 beim Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg, als Wilson seine berühmten Prinzipien von Demokratie und Selbstbestimmung verkündete, und 1945, als die USA bestrebt waren, den Deutschen demokratische Strukturen und Verhaltensweisen zu verabreichen - in wohl dosierter Form, versteht sich. Fragt man den Bandarbeiter bei VW oder den Facharbeiter bei Daimler Chrysler nach den wirklichen Motiven der US-Administration, dann kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: Ums Öl geht es, was denn sonst? Nun muss es sich der Vorsitzende des größten internationalen Gewerkschaftsbundes der Welt nicht ganz so einfach machen und alles nur aufs Öl reduzieren. Geht es doch im Nahen Osten um mehr: um geostrategische Interessen beispielsweise oder um die langfristige Umgestaltung der Region in eine Landschaft von Staaten und Regimen, die verlässlichere Verbündete für die USA abgeben als die unsicheren feudalen und islamistisch geprägten Regime Saudi-Arabiens, Irans oder der Vereinigten Emirate. Der geplante Krieg gegen Irak ist demnach nur der erste in einer Kette weiterer "Umgestaltungen", welche die USA mit Krieg oder - in Ausnahmefällen - auch mit freiwilliger Unterwerfung der bedrohten Regime erreichen will.

Das alles weiß Zwickel natürlich auch. Und er kennt mit Sicherheit die Erklärung des IG Metall-Jugendausschusses, in der die Dinge ziemlich genau beim Namen genannt werden. Wenn er es jetzt nicht öffentlich sagt, dann wohl deshalb, weil seine politische Rücksichtnahme mehr der Bundesregierung (die so etwas auch nicht sagt) gilt und weniger den Kolleginnen und Kollegen. Haben doch seine Genossen ganz oben in Berlin alle Hände voll zu tun, sich der Angriffe von weiter rechts zu erwehren. Da muss die linke Kritik eben zurückstehen. Fragt sich nur, wie lange und ob das auch eine angemessene Strategie gegen Rechts ist. Vor allem aber, und man kreide mir das bitte nicht nur als "moralisches" Argument an, wird hier das Schicksal, ja, das Leben vieler Menschen im Nahen Osten parteitaktischen Spielchen hier zu Lande untergeordnet.

Peter Strutynski


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