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Friedensbewegung und Gewerkschaften - Teamwork gegen Kriegeinsätze

Gewerkschafter gegen Krieg. Von Anne Rieger*

Gewerkschaftshaus von Polizei umstellt

Am Samstag den 2. Februar 2002 wird in München das Gewerkschaftshaus mit Polizeiketten vollkommen abgeriegelt. "Die letzten, die sich so etwas ähnliches getraut haben, waren im Mai 1933 die SA und SS, als die Gewerkschaften endgültig zerschlagen wurden", protestierten Sprecher der GEW-Jugend Bayern und München gegen diesen skandalösen Angriff auf das Gewerkschaftshaus. Georg Wiesmaier, Landesvorsitzender der GEW-Bayern forderte: "Die Verantwortlichen müssen zu Rechenschaft gezogen werden."

Die Verantwortlichen, Bayerns Innenminister Beckstein (CSU) und Münchens Oberbürgermeister Ude (SPD), hatten zuvor 250 Militärexperten, darunter 38 Außen- und Kriegsminister der Nato- und EU-Staaten, im Bayerischen Hof zur NATO-"Sicherheits"konferenz empfangen und gleichzeitig ein totales Demonstrationsverbot über die Bayernmetropole verhängt. Trotz alledem waren 10.000 Menschen auf Münchens Straßen unterwegs, um ihren Widerstand gegen Anwesenheit und aggressive Interventionspolitik der Kriegsstrategen kund zu tun, unzählige GewerkschafterInnen darunter. Abends fand im Gewerkschaftshaus eine internationale Veranstaltung "Gegen das Treffen der Weltkriegselite" statt. Mit der Begründung, es gebe "gesicherte Erkenntnisse", dass diese Leute Straftaten planten, sollten die GewerkschafterInnen einzeln ihr Gewerkschaftshaus verlassen und sich der Polizei ergeben. Die Eingekesselten beschlossen, das Gewerkschaftshaus zu verteidigen und gegen 22.00 Uhr zogen die Polizeieinheiten unverrichteter Dinge wieder ab. Die gewerkschaftlich organisierten Friedensaktivisten verließen friedlich und ohne Behinderung das Haus. Ein achtbarer Erfolg in diesem aufgeheizten Klima.

Mit dem Motto "Eine andere Welt ist möglich", orientierten sich die VeranstalterInnen im Münchner Gewerkschaftshaus am Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes von 1996: "Die Gewerkschaftsbewegung setzt sich dafür ein, dass die Menschenrechte uni-verselle Geltung gewinnen. Soziale, ökonomische und ökologische Konflikte müssen auf zivi-lem Wege ohne militärische Gewalt gelöst werden."

Krieg ist nicht Mittel sondern völliges Versagen der Politik

Bereits im Oktober 2001 hatte die ver.di-Jugend gegen den Afghanistan-Krieg mobilisiert und zur Antikriegsdemonstration aufgerufen: "Kein Krieg! Aufstehen für den Frieden! Für Solidarität und soziale Gerechtigkeit!" Diesem Motto war Kai Lamperter von der ver.di-Jugend Stuttgart mit dem Plakat "NATO = North Atlantic Terroritic Organization" gefolgt. "Mir ist lange Zeit nichts richtiges eingefallen. ... Deshalb habe ich etwas geschrieben, was zum Ausdruck bringt, dass ich das Vorgehen der USA und der NATO für genauso aggressiv halte, wie das Vorgehen der Terroristen - beides hat mit roher Gewalt zu tun" , erklärt der 25jährige JAV-Vorsitzende des Stuttgarter Katharinenhospitals. 20 000 waren mit ihm in Stuttgart auf der Friedensdemo am 13. Oktober.

Sybille Stamm, Verdi Landesbezirksleiterin, erklärte, dass die Verdi-Jugend Baden-Württemberg "Krieg nicht als Mittel, sondern als völliges Versagen der Politik" sehe. "Sie wehre sich auch gegen den Versuch der Bundeswehr, Krankenpflegepersonal, Ärzte und medizinisch-technische Assistentinnen als Lückenbüßer für den Auslandseinsatz von Bundes-wehrsanitätskräften einzubeziehen" (28.11.2001).

Damit bleibt die Gewerkschaftsjugend in der Tradition der gewerkschaftlichen Antikriegsbe-wegung. "Jugend will friedliche Arbeit und keine Uniform" , mit diesem Transparent demonstrierten junge Gewerkschafter am 1. Mai 1954 in Bremen gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands. Gemeinsam mit anderen FriedenskämpferInnen konnten die GewerkschafterInnen der Adenauer-Regierung durchaus respektable Abwehrerfolge abringen: Die Atombe-waffnung der Bundeswehr wurde verhindert, nur die Hälfte der jungen Menschen wurden eingezogen, die andere Hälfte, die Frauen blieb noch 45 Jahre davon verschont, die Wehrdienstverweigerung wurde gesetzlich ermöglicht und der Einsatz der Bundeswehr auf reine Verteidigungsaufgaben innerhalb des Bündnisgebietes der NATO-Staaten wurde gesetzlich festgeschrieben. Auch dieser Tatbestand konnte 40 Jahre eingehalten werden.

Die Zerstörung des World Trade Centers in New York und des Pentagons in Washington am 11. September war ein großer Sprengsatz, der eine breite Bresche - und nicht mehr nur einen kleinen Spalt - in die mühsam gehaltene Widerstandsmauer gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes riss.

GewerkschafterInnen halfen beim Kitten der Mauer. Beschlüsse und Mobilisierung zu Demonstrationen gab es in verschiedenen Gliederungen. Der Hauptvorstand der GEW forderte am 9.11. "die Abgeordneten des Bundestages auf, gegen den Antrag der Bundesregierung auf den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zu stimmen". Gleichzeitig wurde die Bundesregierung aufgefordert, "sich für eine sofortige Einstellung der Bombardierung und der kriege-rischen Aktionen einzusetzen sowie eine Ausweitung von Militärschlägen auf andere Länder zu verhindern, weil sie politische Lösungen behindern und zunehmend mehr Opfer in der Zivilbevölkerung fordern."

Nein zum militärischen Einsatz der Bundeswehr

Nach dem mit der Vertrauensfrage erzwungenen Beschluss des Bundestages am 16. 11., die Bundeswehr im Rahmen der "Allianz gegen den Terrorismus" an Kriegeinsätzen in Afghanistan, Afrika und Asien zu beteiligen, sagten die DGB-Frauen auf ihrer 12. Bundesfrauenkonferenz am 24.11. "Nein zum militärischen Einsatz der Bundeswehr und der weiteren Aufrüstung im Namen der Antiterrorbekämpfung. (...) Krieg als Antwort auf Terrorakte ist keine Lösung. Den Militäreinsatz deutscher Soldaten lehnen wir ab. (...) Wir fordern die Bundesregierung auf, alles daran zu setzen, dass der Krieg in Afghanistan umgehend beendet wird."

Bereits vor dem Bundestags-Beschluss hatte es Proteste gegeben. Der Ver.di Landesbezirk Hessen nahm am 26.9. "mit besonderer Besorgnis (...) die Vorbereitungen zu militärischen Gegenschlägen in den letzten Tagen wahr. Militärische Gegenschläge gegen Staaten, Nationen oder gar Glaubensgemeinschaften, werden von den Gewerkschaftern konsequent abgelehnt." Der Ver.di Bezirksvorstand Stuttgart "lehnte jede Beteiligung Deutschlands an kriegerischen Handlungen gegen andere Staaten ab".

Die DGB-Region Stuttgart sagte am 15.11. "Nein zum Bundeswehr-Einsatz im Afghanistan-Krieg. (...) Wir wollen, dass die Berliner Politik Vorreiter bei zivilen Konfliktlösungen und beim Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten wird. Dem dienen die militärischen Einsätze nicht. Durch die Entsendung auch von Seestreitkräften würde die Bundeswehr nun direkt in die militärische Sicherung der Öltransporte eingebunden. Das entspreche nicht dem Nato-Vertrag."

Der IGM Vorstand hatte am 31.10. "die Bundesregierung aufgefordert, sich gemeinsam mit der Europäischen Union für eine sofortige Einstellung der Bombardierung Afghanistans ein-zusetzen, um politischen Lösungen für eine staatliche Neuordnung in Afghanistan eine Chance zu geben". Als Bundeskanzler Schröder getroffen reagierte, sich barsch jegliche politische Aussagen der Gewerkschaften zur Außenpolitik verbat, und den Gewerkschaftern vorwarf, sie verstünden angeblich von Außenpolitik nichts, gab es heftige Reaktionen.

Die Delegierten der DGB Regionalkonferenz Frankfurt-Rhein-Main bezeichneten "die Äußerungen von Bundeskanzler Schröder zu dem Beschluss des Vorstandes der IG Metall, die Bombardierung von Afghanistan einzustellen, als Entgleisung und politische Anmache. (...) Die Delegierten schließen sich der Forderung der IG Metall nach einem sofortigen Bombenstopp an".

Auf der ersten gemeinsamen Sitzung aller fünf Ortsvorstände der IG Metall Region Stuttgart am 9. 11. wurde mit überwältigender Mehrheit eine Resolution angenommen, in der es hieß: "Wir lehnen den Einsatz deutscher Soldaten ab. (...) Wenn unsere zukünftige stärkere Rolle in der Welt mit Waffeneinsatz erkauft werden soll, können wir IG Metaller in der Region Stuttgart auf solchen Einfluss verzichten. Im übrigen lassen wir uns von keinem Bundeskanzler das Wort verbieten, weder zu innen- noch zu außenpolitischen Themen."

Statt Krieg - Hunger, Armut, Analphabetentum und Verschuldung beseitigen Die Friedensinitiative von Arbeitern und Angestellten mit den Schwerpunkt VW in Wolfsburg stellte fest "mit dem Geld, welches jetzt kurzfristig für Krieg und Rüstung mobilisiert wurde, könnten wesentliche Menschheitsprobleme wie Hunger, Armut, Analphabetentum und Verschuldung beseitigt werden".

Auf den Zusammenhang zwischen Außen- und Innenpolitik wies am 6.11. die Konferenz zur Gesundheitsreform der IG Metall Waiblingen hin: "Wir stimmen mit Bundeskanzler Schröder überein, dass es unsere vorrangige Aufgabe ist, uns um die ‚Lebensbedingungen unserer Mitglieder zu kümmern' ... Deswegen lehnen wir eine Politik ab, die am 17.9. vier Mrd. DM Steuergelder für eine Entlastung der Krankenkassen verweigert, die die stellvertretende Vor-sitzende des DGB gefordert hat, zwei Tage später aber ein Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr und ein Antiterrorprogramm für 3 Mrd. DM beschließt, in dem unter anderem Kosten für die Anschaffung eines Transportschiffes und ‚Fähigkeitslücken' beim Kampfflugzeug Tornado finanziert werden sollen".

Die ablehnende Beschlusslage zum Krieg führte nicht automatisch zur aktiven Mobilisierung und massenhaften Beteiligung an den Antikriegskundgebungen. Zwar beteiligten sich am 13.10. in Berlin und Stuttgart viele GewerkschafterInnen an den Antikriegskundgebungen, rief auch der DGB Landesbezirk Baden-Württemberg nach Stuttgart auf, überbrachte der Bezirksfrauenausschuss der IG Metall Baden-Württemberg eine Grußadresse, sprach die Landesbezirksvorsitzende für den DGB in Stuttgart und in Berlin ein Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Aber nachdem Deutschland mit dem Bundestagsbeschluss vom 16.11.selber in den Krieg eingetreten war, trat merkliche Ruhe in der Mobilisierung der Ge-werkschaften ein.

Senkung des Rüstungshaushaltes

Keineswegs aber herrschte Stille im Land. GewerkschafterInnen geben nicht auf. Der Ostermarsch-Aufruf der DGB-Landeskonferenz Baden-Württemberg bleibt für sie Richtschnur ihres Handels: "Wir erwarten, dass sich die Bundeswehr an keiner Kriegshandlung beteiligt, die nicht vom alleinigen grundgesetzlichen Auftrag der Bundeswehr nämlich zur Verteidigung abgedeckt wird". Auch das schwierigen Thema Rüstungskonversion wird angepackt. In der kapitalistischen Gesellschaft, mit Massenarbeitslosigkeit von sechs Millionen Arbeitslosen, bei der die ständige Drohung der Rüstungskonzerne mit dem Verlust von Arbeitsplätzen wie Geiselnahme wirkt, wahrlich kein leichtes Thema. Trotzdem oder gerade deshalb gibt es in der IG Metall Konversionsarbeitskreise. "Geld, das bisher in die Rüstungsindustrie gestopft wurde, sollte man lieber für den Aufbau des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs, für ökologische Energieerzeugung, für Energieeinsparkonzepte aber auch für den Ausbau des Gesundheits- und des Pflegesystems sowie des Bildungsbereichs verwenden. Das heißt, Kolleginnen und Kollegen, so eine Umwidmung von Geld kostet keine Arbeitsplätze, sondern schafft Arbeitsplätze", rief Horst Schmitthenner, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall beim Ostermarsch den Kolleginnen und Kollegen in Bremen zu.

Nicht nur die Ostermärsche auch die Berliner und Bundesweiten Aktionen anlässlich der Bush-Visite in Deutschland beweisen, es gibt nach wie vor gewerkschaftliche Aktivistinnen, RednerInnen und ReferentInnen gegen den Krieg. DGB, ver.di, GEW, IG Metall-Gliederun- gen und verschiedene GewerkschaftsfunktionärInnen unterstützen den Aufruf "Wir wollen Ihre Kriege nicht Herr Präsident ... wir wollen überhaupt keine Kriege!" in dem es unter anderem hieß: "Wir leisten Widerstand, damit sich die Bundeswehr nicht weiter an dem Krieg der USA beteiligt, die Bundeswehrsoldaten aus den Kriegsaufmarschgebieten abgezogen wer-den." Vor den 80 000 DemonstrantInnen - darunter einem großer Anteil Jugendlicher - in Berlin forderte Horst Schmitthenner: "Beendet endlich den Krieg in Afghanistan! ... zur Finanzierung internationaler Militäreinsätze werden Gelder verpulvert, die uns für soziale Zwecke fehlen. Wir brauchen keine hochtechnisierte Armee, die in alle Teilen der Welt eingreift. Wir brauchen die drastische Senkung des Rüstungshaushalts."

Wenige Tage nach den Massendemonstrationen nahm sich der DGB-Kongress zehn Minuten vor Tagesschluss Zeit um über zwei Anträge zum Thema Frieden zu entscheiden. Der Ursprungsantrag des DGB-Vorstandes wurde von der Antragsberatungskommission angeändert, weil "wir Anregungen und Kritik, wie sie uns aus euren Delegiertenbesprechungen berichtet wurden, berücksichtigt und deshalb einen neu formulierten Text zur Beschlussfassung vorgelegt haben", so der Sprecher der Antragsberatungskommission Rudi Hepf. Der von vielen Delegierten erzwungene neue Text des Abänderungsantrags 6 fordert: "Die Europäische Union muss sich ihren Gründungsgedanken als Friedensobjekt nach dem Zweiten Weltkrieg wieder stärker vergegenwärtigen." Sie "muss heute mehr denn je ihr politisches Gewicht einbringen, um internationale Konfliktlagen auch ohne militärische Gewalt zu lösen. ... Jetzt die Forderung zu erheben, die Europäer müssten, um ihren Einfluss zu sichern, den USA vergleichbare militärische Fähigkeiten erwerben, ist abwegig." Im Initiativantrag "Krieg ist keine Lösung, auch nicht für den Irak" forderten die Delegierten die Bundesregierung auf "ihr Dogma der 'uneingeschränkten Solidarität' mit den USA aufzugeben, den Vorbereitungen eines Krieges gegen den Irak eine unmissverständliche Absage zu erteilen und sich für die genannten Maßnahmen zur Erzeugung politischen Drucks zu engagieren".

10.000 deutsche Soldaten außerhalb des Bündnisgebietes

Nicht entschließen konnten sich die Delegierten der Auf- und Umrüstung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee in eine Interventionsarmee eine klare Absage zu erteilen. Sie hielten "es für notwendig, die Reform der Bundeswehr und ihre Aufgabenstellungen, insbesondere auch im Rahmen der NATO in einer breiten Rahmen gesellschaftlichen Debatte zu thematisieren. Das außen- und sicherheitspolitische Konzept, in das die zukünftige Rolle der Bundeswehr zu integrieren ist, muss auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruhen."

Die Position zum Krieg bleibt also auf der Agenda der Gewerkschaften. Die Diskussion darum muss intensiviert werden. Denn Deutschland befindet sich im Krieg. Über 10.000 deutsche Soldaten befinden sich außerhalb des NATO-Bündnisgebietes. Das Verteidigungsministerium erwägt eine Erhöhung des deutschen ISAF-Kontingents in Afghanistan um 200 auf 1.400 Soldaten. Der Sicherheitsrat hat eine Verlängerung der ISAF-Truppe bis Ende November ausgesprochen. Gleichzeitig werden permanent über neue militärische Offensiven wie z.B. "Bussard" oder "Schnepfe" gegen Afghanische Menschen berichtet. Parallel dazu wird die ursprünglich von Unocal und Delta Oil geplante 1.460 km lange Gaspipeline durch Afghanistan von Turkmenistan nach Pakistan gebaut. Der Weltbankpräsident James Wolfensohn hat erst vor wenigen Tagen signalisiert, das Milliardenprojekt zu finanzieren. Sollen Gewerkschaften zustimmen, wenn der militärische Schutz von Gasgeschäften durch die Bundeswehr erfolgen soll? In der Tat ist eine breite Debatte darüber in Gewerkschaft und Gesellschaft notwendig. Zumal der Bundesvorstand des DGB dem Unternehmensberater Markus C. Kerber in seinen "Gewerkschaftlichen Monatsheften" 2-3/2002 ein Forum gegeben hat, in dem dieser die "Unterrüstung" der deutschen Nation beklagt und nach einem rüstungsindustriellen, rüstungstechnologischen und militärpolitischen Aufschwung ruft.

Nicht zu vergessen ist die Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr auch in anderen Bereichen: Der Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr "Amber Fox" wird um vier weitere Monate bis Ende Oktober verlängert. Und für das Kommando für den Marineverbund vor dem Horn von Afrika ist die Bundeswehr in der Diskussion.

Aktiver Motor der Friedensbewegung werden

Es ist Aufgabe der Gewerkschaften aktiver "Motor einer sehr breiten Friedensbewegung zu werden", fordert Sybille Stamm, Landesbezirksvorsitzende von Verdi Baden-Württemberg. Es gebe viele Gründe für die Gewerkschaften, sich an vorderstes Stelle mit den Herausforderungen, eines "langwierigen, umfassenden" Krieges auseinander zu setzen. Es geht um unmittelbare, direkte Interessenvertretung, denn es sind Kolleginnen und Kollegen, in den angegriffenen Ländern, die als erste sterben. Es sind die abhängig Beschäftigten, Arbeitslosen und RentnerInnen denen durch ständig steigende Rüstungskosten die in 150 Jahren Arbeiterbewegung erkämpften sozialen Errungenschaften wie gesetzliche Sozialversicherungen, steuerfinanzierte staatliche und kommunale Leistungen wie z.B. Kultureinrichtungen, Sporteinrichtungen, Bibliotheken, Universitäten, Infrastrukturleistungen wie Öffentlicher Verkehr und Straßen zuerst gekürzt und dann ganz zerschlagen werden sollen. Ergebnis ist die private Finanzierung aus dem Geldbeutel der kleinen Leute. So stehen für den geplanten Ausbau des Albaufstiegs der A8 in Baden-Württemberg angeblich keine Steuergelder von 350 Mio. Euro zur Verfügung. Er wird privat gebaut und demnächst werden wir ihn rückwirkend aus unserer privaten Tasche über Maut-Gebühren selber finanzieren. Aber für den Einsatz der so genannten Schutztruppe für den Afghanistan Einsatz wurden für 12 Monate 335 Mio Euro locker gemacht. Mit Geld wäre der Albaufstieg leicht bezahlt.

Gleichzeitig werden Zehntausende Arbeitsplätzen in den Kommunen, im Gesundheitsbereich, an Schulen abgebaut. So streicht beispielsweise der Berliner Senat bis zum Jahr 2006 16.000 Stellen im öffentlichen Dienst um 1,1 Mrd. DM zu sparen . Gleichzeitig aber werden für den Kriegswaffen- und Kriegstruppentransporter Airbus A 4000 M 5,1 Mrd. Euro von Sparminister Eichel zur Verfügung gestellt. Der Airbus ist das Rückgrat der deutschen und europäischen Interventionstruppen. Deutschland wird 73 der 196 Kriegsflugzeuge erhalten. Rüstungsarbeitsplätze sind teuer - und keinesfalls ist damit zu rechnen, dass für diesen fünffachen Betrag die fünffache Zahl von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie zur Verfügung gestellt werden können.

Ein anderes soziales Problem sind die mangelhaften Bildungsausgaben. Die reiche Bundesrepublik ist auf den hinteren Rängen der Industriestaaten zu finden. In keinem anderen Industrieland ist darüber hinaus die soziale Herkunft so entscheidend für den Schulerfolg wie in der Bundesrepublik. Mit Ausgaben in Höhe von fünfeinhalb Prozent des Bruttoinlandproduktes wird weniger investiert, als im Durchschnitt der OECD-Länder (5,7). Als Ausweg aus der Bildungskrise veranschlagt McKinsey-Chef Jürgen Kluge ca. 3 Mrd. Euro. Er schlägt vor, die Krippenplätze in den nächsten zwei Jahren zu verdreifachen und Ganztagsschulen für jeden dritten Schüler bereit zu stellen. Die Erkenntnisse über den Bildungsnotstand in der Bundesrepublik sind nicht neu. Bereits 1997 hatte die Timms-Studie auf deutliche Schwächen beim Unterricht in Naturwissenschaften und Mathematik hingewiesen. Trotz "Timms-Schock" sank der Bildungsetat des Bundes von 1998 auf 1999, während die Verteidigungsausgaben im gleichen Zeitraum stiegen.

Politisches Mandat Für die Gewerkschaften steht die Notwendigkeit als demokratische Kraft die innerstaatlichen Freiheitsrechte zu verteidigen. IG Metall und DGB sprechen sich dagegen aus, "im Namen der Terrorbekämpfung rechtsstaatliche Prinzipien der Gewaltenteilung auszuhöhlen, den Datenschutz aufzuweichen und die Diskriminierung im Ausländerrechts sowie im Umgang mit Ausländern zu verschärfen. Es darf nicht dazu kommen, dass polizeiliche Ermittlungen ohne jeden Anfangsverdacht und außerhalb staatsanwaltlicher Kontrolle aufgenommen werden können. Auch die Einschränkung des Datenschutzes durch Auskunftsanspruch gegenüber Banken und Internet-Betreibern ohne Information der Betroffenen ist abzulehnen. Das gilt auch für die Möglichkeit, Ausländer auszuweisen ohne einen konkreten Verdacht der Betätigung in oder der Unterstützung von terroristischen Vereinigungen." Auch gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern wie Beckstein und Stoiber es fordern, gegen Versetzungen von LehrerInnen, die sich aktiv gegen den Krieg gegen Terror ausgesprochen haben, ist das politische Mandat der Gewerkschaften notwendig.

Die Gewerkschaften müssen
  • als rechtsstaatliche Kraft auftreten, gegen die Ignorierung nationalen und internationalen Rechts und als Interessenvertretung der Soldaten, die unrechtmäßige Befehle verweigern
  • als zivilgesellschaftliche Kraft, gegen die Militarisierung der Außenpolitik und der Gesell-schaft
  • als solidarische, globalisierte Kraft, gegen die unerbittliche Polarisierung in Arm und Reich, die weltweite Jugendarbeitslosigkeit, gegen die unzumutbare weltweite Ungerechtigkeit an der die deutschen Gewerkschaften eine Mitverantwortung haben, beim Runterkonkurrieren der sozialen und Einkommensbedingungen im globalen Wettbewerb - durch Einbindung in die nationalistische Standortfalle der Unternehmer. Die Gewerkschaften müssen raus aus dem "Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit" und rein in die internationale Solidarität der Gewerkschaften, Globalisierungsgegner und Friedensbewegung gegen den Krieg.
Teamwork: Friedens- und Gewerkschaftsbewegung

Es bleibt ermutigend, das trotz des permanenten Drucks der Konzerne auf Reallohn und soziale Sicherung das Thema Frieden nach wie vor auf der Tagesordnung der Gewerkschaften steht. Aber niemand kann die Augen vor der besonderen Schwierigkeit verschließen, dass dabei viele GewerkschafterInnen häufig gegen ihre eigenen Partei Politik machen müssen. Ständige Unterstützung aus und durch die Friedensbewegung ist daher unabdingbar. Was ist zu tun?

Öffentlichkeitsarbeit:
Die vielen Gewerkschafts-Beschlüsse gegen Krieg und Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen bekannt gemacht werden in der Friedensbewegung, den Gewerkschaften, in örtlichen und regionalen Medien, auch in der alternativen Presse.
Kommunikationsarbeit:
Mit langem Atem muss das gemeinsame Gespräch aktiv durch die Friedensbewegung gesucht werden. Flugblätter der Friedensbewegung, Anti-Kriegsbeschlüsse der Gewerkschaften sollten vor und in Gewerkschaftsversammlungen verteilt werden. Antikriegsanträge müssen immer wieder in allen Gliederungen der Gewerkschaft gestellt, dort zu Friedensfragen gesprochen, zu Friedensaktionen mobilisiert werden. So wie an Abgeordnete sollte auch an GewerkschafterInnen herangetreten werden, mit der Bitte, auf Friedensveranstaltungen und Demos zu sprechen, zu referieren, gemeinsame Projektgruppen zum Thema Terror, Gewalt und Krieg initiiert, gemeinsame Flugblätter von Friedens- und Gewerkschaftsbewegung auf allen Ebenen vorschlagen werden. Zusammenhänge zwischen Rüstungsaufbau und Sozialabbau - an konkreten örtlichen Beispielen gemeinsam erarbeiten. Verbindung sollten hergestellt werden zwischen der unzumutbaren weltweiten Ungerechtigkeit, der Militarisierung und Aufrüstung, den zunehmende Kriegseinsätzen und -plänen und der gnadenlosen, globalen kapitalistischen Konkurrenz um Ressourcen und Märkte.
Netzwerke gegen den Krieg müssen wir bilden.

* Anne Rieger, Landessprecherin der VVN-Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg; 2. Bevollmächtigte IG Metall Waiblingen


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