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Bewegung gegen die Spirale nach unten

Am 1. Mai demonstrieren Gewerkschaften und Linke gegen die Sparpolitik - mehr oder weniger vereint

Von Ines Wallrodt *

In vielen Städten rufen Gewerkschaften und linke Gruppen für den 1. Mai zu Demonstrationen auf. Auch Neonazis mobilisieren und versuchen den »Tag der Arbeit« zu missbrauchen.

Gute Arbeit, sichere Rente, soziales Europa - das sind die Hauptthemen der Gewerkschaften an diesem 1. Mai. In seinem Aufruf kritisiert der DGB die Zunahme unsicherer, schlecht bezahlter Jobs, die ungleiche Reichtumsverteilung in Deutschland und warnt vor Altersarmut. Mit Veranstaltungen in der gesamten Bundesrepublik wendet er sich aber auch gegen die Krisenpolitik der europäischen Regierungen. Die »radikalen Kürzungsprogramme« in den Ländern Südeuropas sorgten für eine Spirale nach unten, heißt es im Aufruf. Sie treffen »nicht die Krisenverursacher an den Finanzmärkten, sondern die Krisenopfer«. Die Hauptkundgebung findet in München statt. Dort wird der DGB-Vorsitzende Michael Sommer reden. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist in Essen eingeladen. Interessant am diesjährigen 1. Mai dürfte denn auch werden, wie sich die Gewerkschaften vor der Bundestagswahl positionieren. Wer wird scharf angegangen, wer ausgespart?

Bei den Maikundgebungen werden sich viele Kollegen auch noch einmal der eigenen Stärke vergewissern. In zwei großen Branchen stehen die Zeichen auf Warnstreik. Am 30. April endet die Friedenspflicht in der Metall- und Elektroindustrie. Den 1. Mai will die IG Metall nutzen, um ihre Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen, danach soll nicht mehr geredet, sondern gehandelt werden: Ab 2. Mai hat sie flächendeckende Warnstreiks angekündigt. Auch die Beschäftigten im Einzelhandel werden den freien Tag nutzen und ihre Kräfte sammeln. Die Arbeitgeber haben überraschend das gesamte Tarifgefüge in Frage gestellt. Der Branche stehen harte Auseinandersetzungen bevor. Die Friedenspflicht endet in der Nacht zum ersten.

2013 schauen Gewerkschafter zudem zurück auf den 2. Mai 1933. Vor achtzig Jahren wurde die deutsche Gewerkschaftsbewegung von den Nationalsozialisten zerschlagen. »Unsere Geschichte verpflichtet uns zum Handeln gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz«, betont der DGB. Es ist mehr als ein allgemeiner Appell: Neonazis wollen den »Tag der Arbeit« für ihre Propaganda missbrauchen. Die NPD mobilisiert nach Berlin und Frankfurt am Main. In Würzburg, Erfurt und Dortmund wird hingegen eher das Spektrum der freien Kameradschaften zusammenkommen. Antifaschistische Bündnisse wollen die Demonstrationen blockieren.

In Dortmund will die neu gegründete Partei »Die Rechte« erstmals mit einem bundesweiten Aufmarsch in Erscheinung treten. Ob sie das tun darf, entscheidet das Oberverwaltungsgericht Münster voraussichtlich diesen Montag. Beobachter glauben, dass sich nach dem Verbot rechtsextremer Vereine in Nordrhein-Westfalen die Naziszene in dieser Partei reorganisiert. Die meisten Neonazis könnten sich dieses Jahr im bayerischen Würzburg versammeln. Antifagruppen gehen von 500 Rechtsextremen aus. Als Protest organisieren zivilgesellschaftliche Gruppen und Parteien ein »Fest der Demokratie« sowie eine Gegendemonstration in der 100 000-Einwohner-Stadt, die allerdings vom braunen Treffpunkt am Hauptbahnhof wegführen soll. Das Bündnis will die direkte Konfrontation mit den Nazis vermeiden - zum Ärger der regionalen Antifa. Sie ruft dazu auf, den Aufmarsch tatsächlich zu verhindern.

Wo am Vormittag nicht gegen Nazis demonstriert werden muss, hält die linke Szene bei den Gewerkschaftsdemonstrationen die Fahnen hoch. So wird es etwa in Hamburg und Stuttgart »antikapitalistische Blöcke« geben, bevor es abends zum eigenen »revolutionären 1. Mai« geht. Bunte Euromayday-Paraden von »Prekären mit und ohne Job« sind in Hamburg und Dortmund geplant, dort allerdings erst am 4. Mai. Die größte linksradikale Demonstration dürfte auch dieses Jahr in Berlin stattfinden. Sie will von Kreuzberg ins Regierungsviertel ziehen, zum Machtzentrum der Troika, die unter deutscher Führung »Massen ins Elend« stürze.

* Aus: neues deutschland, Montag, 29. April 2013


Kollaboration unerwünscht

Gewerkschafter protestieren gegen Annäherung des DGB an die Bundeswehr

Von Markus Bernhardt **


Wenn DGB-Chef Michael Sommer auf der zentralen 1.-Mai-Kundgebung auf dem Marienplatz in München zu seiner Rede ansetzen wird, dürfte dies nicht ohne Proteste vonstatten gehen. Immer mehr Gewerkschaftern stößt sauer auf, daß Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) Anfang Februar diesen Jahres auf Einladung Sommers das Berliner DGB-Haus besuchen – und im Anschluß an die Zusammenkunft und unwidersprochen von Sommer – zum besten geben durfte, daß sowohl die Bundeswehr als auch der DGB »Teile der Friedensbewegung« seien. Anstatt diese Provokation zurückzuweisen, betonte Sommer, daß das »Verhältnis zwischen bewaffneter Macht und Arbeiterbewegung« zwar »historisch belastet« sei, dies aber heute nicht mehr gelte.

Seitdem der ver.di-Landesbezirks-Fachbereichsvorstand Medien, Kunst und Industrie in Berlin-Brandenburg den DGB-Bundesvorstand aufforderte, die »Aussagen zurückzuziehen und dieses öffentlich zu machen«, nehmen antimilitaristische Proteste von Gewerkschaftsfunktionären und -mitgliedern stetig zu. Mehrere hundert Gewerkschafter haben mittlerweile den Aufruf »Wir widersprechen!« unterzeichnet und mobilisieren zu einem eigenen Block am 1. Mai in München. In ihrem Aufruf erinnern die Gewerkschaftsaktivisten Sommer unter anderem daran, daß die Bundeswehr von der deutschen Nazigeneralität aufgebaut wurde und eben »kein Teil der Friedensbewegung« sei. Außerdem sprechen sich darin gegen die weltweiten Kriegseinsätze aus, an denen die Bundeswehr sich seit dem Ende der DDR wieder federführend beteiligt.

»Hier geht es vor allen Dingen um den Schulterschluß zwischen der Kriegspolitik der Regierung und ihrer friedlichen und anderen Interessen verpflichteten Gegenkraft, der Gewerkschaft, die wieder einmal mit im Boot sitzen soll, wenn es darum geht, das Millionenheer von Arbeitskräften für die Raubzüge des Monopolkapitals kriegswillig zu machen«, kritisieren die Initiatoren des Aufrufes.

** Aus: junge Welt, Montag, 29. April 2013

DOKUMENTIERT:

Wir widersprechen!

Am 5. Februar 2013 folgte der offiziell Bundesverteidigungsminister genannte Thomas de Maizière (CDU) der Einladung des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer in das DGB-Haus, um dort gemeinsam vor die Medien zu treten.
„Die Bundeswehr versteht sich als ein Teil der Friedensbewegung“, erklärte de Maizière, und Michael Sommer widersprach nicht.

WIR WIDERSPRECHEN!

Die Bundeswehr, aufgebaut von der Nazigeneralität, entgegen dem Potsdamer Ab-kommen von 1945 und gegen den Widerstand der Arbeiter- und Friedensbewegung, war und ist kein Teil der Friedensbewegung, im Gegenteil. Sie war und ist ein Instru-ment der deutschen Banken und Konzerne, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten. Sie war und ist ein Instrument, um deren Interessen weltweit abzusichern – wie es in-zwischen jeder – auch Michael Sommer – in den „verteidigungspolitischen Richtlinien“ nachlesen kann.
„Das Verhältnis zwischen bewaffneter Macht und Arbeiterbewegung war historisch belastet, das ist es heute nicht mehr“, erklärte Michael Sommer.

WIR WIDERSPRECHEN!

Die Arbeiter- und Friedensbewegung hat zu Recht gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg gekämpft. Tausende Kolleginnen und Kollegen sind deswegen mit Verfolgung und Gefängnisstrafen belegt worden. Und heute zeigt jeder Tag erneut, wie belastet das Verhältnis zwischen bewaffneter Macht und Arbeiterbewegung ist. Um nur ein paar Schlaglichter zu nennen:
  • Weltweite Kriegseinsätze: Seit 1991 wird in immer offenerer Form die Aufgabe der „Bundeswehr“ als weltweit einzusetzendes Instrument zur Sicherung der deutschen Kapi-talinteressen festgeschrieben. Die deutsche Armee ist längst keine „Bundeswehr“ mehr, sondern entgegen ihrem grundgesetzlich niedergeschriebenen Auftrag eine weltweite Einsatzarmee, die in 12 Ländern mit fast 9000 Soldaten Krieg gegen andere Völker führt. Thomas de Maizière erklärt, prinzipiell gebe es keine Region mehr, in der Deutschland nichts zu suchen habe (MDR Info 1.7.2012). Es sind unsere Söhne und Töchter, die hier für die Interessen des deutschen Kapitals verheizt werden!
  • Einsatz in Klassenzimmern: Trotz aller Proteste werden vermehrt Bundeswehrangehörige eingesetzt, um bereits unsere Kinder für das Töten und Sterben zu werben, 2012 wurden an deutschen Schulen 334.000 Schüler dem Einfluss von Bundeswehrjugendoffizieren und Wehrdienstberatern ausgesetzt, mit 30.000 Vorträgen und Seminaren wurden Lehrer und andere Multiplikatoren herangezogen, Tendenz steigend – hinzu kommen öffentliche Rekrutengelöbnisse, Beförderungsappelle, Auftritte auf Messen, Volksfesten etc.!
  • Der Einsatz der Bundeswehr gegen das eigene Volk wird mit dem flächendeckenden Netz der Heimatschutzkommandos seit 2006 systematisch aufgebaut, durch de Maizières Konzeption der Reserve mit Masse gefüllt; seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Juli 2012 wird sogar dem bewaffneten Einsatz gegen das eigene Volk Tür und Tor geöffnet – der klarste Beweis, dass von einem „unbelasteten Verhältnis“ keine Rede sein kann!
Zu all dem schweigt Michael Sommer nicht nur, sondern behauptet entgegen allen Beschlusslagen des DGB, dass der DGB keine Position gegen die zunehmenden Auslands-einsätze der Bundeswehr, gegen den Afghanistan-Krieg hätte. Mehr noch, im klaren Wider-spruch zur Satzung des DGB erklärt Sommer, man müsse alles dafür tun, „die Soldaten anständig auszurüsten“, was einem Freibrief zur Aufrüstung gleichkommt.

WIR DAGEGEN ERKLÄREN:

Wir müssen alles dafür tun, um gegen diesen Schulterschluss des DGB mit der deutschen Kriegspolitik die alte und wieder hochaktuelle Erkenntnis zu setzen:

Bei der Masse der arbeitenden Männer und Frauen liegt die Entscheidung über Sein oder Nichtsein des heutigen Militarismus.
Rosa Luxemburg (1871–1919)

Wir werden deswegen nicht nachlassen, gerade in den Gewerkschaften um diese Erkennt-nis zu kämpfen. Und Dich, Michael, erinnern wir an das Schicksal Deines Amtskollegen Christian Fette, der auf dem 2. DGB-Bundeskongress 1952 abgewählt wurde, weil er sich entgegen den Beschlüssen des DGB für die Remilitarisierung verwenden ließ!

München, 16. Februar 2013
Arbeitstreffen der Initiative Frauenfriedenskonferenz





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