Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

No woman no spy

Nicht einmal zur Ausnahme für die deutsche Regierung will sich Washington verpflichten

Von Uwe Kalbe *

Es wird allem Anschein nach nicht zum Abkommen Deutschlands mit den USA kommen, das ein gegenseitiges Spionageverbot regeln sollte. »No spy« scheitert am guten Willen des Weißen Hauses.

»No woman no cry« – Nein, Frau, weine nicht ... In dem bekannten Song von Bob Marley geht es nicht um Angela Merkel, es könnte aber. Die Bundeskanzlerin hätte allen Grund, bittere Tränen zu vergießen, wenn es stimmt, was jetzt an die Öffentlichkeit dringt. Die USA-Regierung beharrt auf ihrem Recht, die Welt auszuspionieren und keinen Unterschied zu machen, ob es sich um Freund, Feind oder sonst wen handelt. Doch was heißt schon Freund, bei Bob Marley, der die laut über die Straße hallenden Schmerzensschreie einer misshandelten Frau zum Thema machte, handelte es sich immerhin um den Ehemann, der Auslöser war. Warum sollte der Chef im Weißen Haus nett zur deutschen Bundeskanzlerin sein, wenn seine Bedeutung in der Welt doch nicht zuletzt aus genau der machtpolitischen Einstellung zu dieser Welt rührt, zur Schau getragene Freiheitsliebe nicht mit Skrupeln zu verwechseln und den eigenen Vorteil zu nutzen, wenn er sich bietet.

In Medienberichten war offenbart geworden, dass die mit der Aushandlung eines »No-spy-Abkommens« mit den USA beauftragten Beamten des Bundesnachrichtendienstes ziemlich frustriert sind. »Wir bekommen nichts«, hatte die »Süddeutsche Zeitung« einen von ihnen zitiert. Regierungsvertreter des Weißen Hauses hätten durchblicken lassen, dass die US-Geheimdienste ein gegenseitiges Überwachungsverbot nicht ernsthaft in Erwägung zögen. Sie wollten keinen Präzedenzfall schaffen und Begehrlichkeiten anderer Länder wecken.

Washington verweigere auch nach wie vor jede Auskunft darüber, welche deutschen Spitzenpolitiker weiterhin abgehört würden und in welchem Zeitraum die Kanzlerin selbst Opfer der Telefonüberwachung war. Es dürfte Angela Merkel kaum trösten, wenn Präsident Barack Obama ihr zugesichert hatte, sie selbst sei nicht länger Gegenstand der geheimdienstlichen Neugier seiner Behörden. Denn wenn dies nur für sie gälte, nicht aber für die Bundesregierung insgesamt, wäre dies nichts weniger als ein Affront und wohl dann nicht einmal glaubwürdig. Abgesehen von der Frage, auf welcher Ebene, bei welchem Personen- oder Behördenkreis die Spionageerlaubnis denn unbedenklich wäre.

Doch obwohl es dank moderner Kommunikationsmittel durchaus möglich wäre, Empörungsrufe hörbar nicht nur über die nächste Straße, sondern auch über den Großen Teich zu schicken, verbirgt Angela Merkel ihren mutmaßlichen Schmerz tief im Kanzleramt. Und trotz offenbar parteiübergreifenden Unbehagens klingen die Kommentare aus den Reihen der Regierungskoalition merkwürdig unbeholfen. Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer: »Wir müssen schon davon ausgehen, dass es sich nicht gehört, wenn Freunde ausgespäht und abgehört werden, wenn es nicht darum geht, gegen mögliche terroristische Angriffe vorzugehen.«

Der Bundesnachrichtendienst selbst wahrt öffentlich einen Rest Ehrgefühl und weist hölzern darauf hin, dass er sich zu Details der Gespräche mit den USA-Stellen ausschließlich gegenüber der Regierung und den zuständigen Bundestagsgremien äußern werde. Ein Sprecher der Bundesregierung hatte zuvor erklärt, die Verhandlungen dauerten an. Offenbar denkt man in längeren Zeiträumen, denn wie die »Süddeutsche« und der NDR berichteten, hofft man, »in den nächsten drei Monaten noch etwas hinzubekommen«. Kurzum: Die Zeichen verdichten sich, dass es entweder zu keinem Vertrag kommt oder dieser nur als Alibi, nicht aber als ernsthafte Einschränkung der amerikanischen Spionage taugt.

Die Zaghaftigkeit der Bundesregierung bleibt weder in der Öffentlichkeit noch in der Opposition verborgen; die LINKE hat eine Aktuelle Stunde beantragt, in der sich am heutigen Mittwoch der Bundestag mit dem offenbar gescheiterten No-Spy-Abkommen beschäftigen wird. LINKE und Grüne haben bereits angekündigt, der NSA-Affäre in einem Untersuchungsausschuss auf den Grund gehen zu wollen. Doch auch wenn die Regierungskoalition Entgegenkommen signalisiert hat, zeigt ihr jetziges Agieren, mit welcher Entschlossenheit sie sich an einem solchen Gremium beteiligen wird – zumal dann auch die Aktivitäten deutscher Geheimdienste sowie ihre Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten Thema werden müssten.

»Wir kommen keinen Schritt weiter, weil die Bundesregierung in den USA viel zu zaghaft Antworten einfordert«, beklagt der Grünen-Politiker Christian Ströbele. Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion, klingt deutlich genervt. Bereits ein halbes Jahr sei vergangen, seit »wir von einem praktisch grundgesetzwidrigen Zustand in der Bundesrepublik« wissen. Mit Verweis auf das in Arbeit befindliche Abkommen habe die Bundesregierung jede eigene Initiative verweigert, »fröhlich weiter Daten geliefert und dazu auch gleich noch die PR-Arbeit der US-Regierung erledigt«. Er sei gespannt auf die nächsten Nebelkerzen der Kanzlerin in Sachen Grundrechtsschutz. Nebelkerzen im Kanzleramt? Die wären, wenn der Wind ungünstig steht, womöglich der letzte profane Grund für Merkels Tränen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 15. Januar 2014


Berlin gehört nicht zu den "Fünf Augen"

Die USA führen einen exklusiven Spionagebund

Von Olaf Standke **


Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy zeigte sich am Montag nach seinem Treffen mit US-Präsident Barak Obama zufrieden mit den Erläuterungen zu den NSA-Spionageprogrammen, die er bekommen hatte. Ende Oktober noch wurde Washingtons Botschafter in Madrid einbestellt, nachdem die spanische Zeitung »El Mundo« unter Berufung auf Snowden-Dokumente gemeldet hatte, dass der US-Geheimdienst in dem südeuropäischen Land allein in einem Monat Daten von 60 Millionen Telefongesprächen gesammelt habe.

Falsch, heißt es in Washington, in diesem Fall handele es sich um Informationen, die vom spanischen Geheimdienst vor allem außerhalb Europas abgeschöpft und dann zur Verfügung gestellt worden seien. Es ist auch solcherart Kooperation, die es allen nach den NSA-Enthüllungen so empörten EU-Staaten schwer macht, eine wirksame gemeinsame Position gegen die beispiellose Ausspähung zu finden. Auf dem jüngsten Gipfel in Brüssel verlor sich ein deutsch-französischer Vorstoß für einen Verhaltenskodex unter Geheimdiensten in letztlich harmlosen Erklärungen und vagen Ankündigungen. Auch die von Berlin mitinitiierte und Ende November von der UN-Vollversammlung verabschiedete Resolution gegen internationale Abhör- und Spähaktionen besitzt lediglich Symbolwert, weil sie nicht rechtsverbindlich ist. Ohnehin wurden wichtige Passagen aus Rücksicht auf die USA verwässert.

Bilateral hat Washington bisher außerhalb des »Five Eyes« (Fünf Augen) genannten Geheimdienstbundes mit Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland noch mit keinem anderen Land ein sogenanntes No-Spy-Abkommen abgeschlossen. Das exklusive Spionagenetzwerk ist ein Kind des Kalten Krieges und ging aus der 1946 gegründeten britisch-amerikanischen UKUSA hervor. Mitglieder sind die NSA, der britische GCHQ, der DSD (Australien), der CSEC (Kanada) und der GCSB (Neuseeland). Sie tauschen nach Expertenaussagen selbst sensibelste Erkenntnisse aus und teilen sich Aufgaben, wenn es um das Abfangen und Speichern elektronischer Daten geht. Aber auch andere Länder, darunter Deutschland, profitieren im abgestuften Maße von diesen Geheimdienstinformationen – und liefern. Der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald, der eng mit dem NSA-Whistleblower Edward Snowden zusammenarbeitet, hat keinen Zweifel: Die »Five Eyes« wollen weltweit Privatsphäre abschaffen.

Und es gibt einen wichtigen Nebeneffekt für die »Fünf Augen«: Die Partner haben vereinbart, nicht gegeneinander zu spionieren. Jedenfalls im Prinzip. Snowden-Dokumente belegen nämlich, dass die NSA spätestens seit 2007 zum Beispiel auch Telefongespräche, Mails und andere Internetdaten unverdächtiger britischer Bürger abschöpft, speichert und auswertet. Es gebe dazu sogar eine unter Premierminister Tony Blair erteilte Genehmigung, so der Londoner »Guardian«. Ein Geheimmemo aus dem Jahr 2005 legt zudem nahe, dass die NSA wohl auch Bürger der anderen »Five-Staaten« ausspionieren wollte – ohne die jeweilige Regierung zu informieren. Nicht nur in Berlin wird man nun gespannt auf den Freitag warten, wenn US-Präsident Obama zur angekündigten Reform der NSA Stellung nehmen will.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 15. Januar 2014


Bürgerfreundlichkeit

NSA-Affäre und Google-Expansion

Von Thomas Wagner ***


Keine Einigung über ein Geheimdienstabkommen mit den USA, und Google kauft sich ins Geschäft mit vernetzter Haustechnik ein. Zwei Meldungen, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Doch die erste Gemeinsamkeit wird rasch klar: Die grenzüberschreitende Totalüberwachung aller Bürger betrachten Washington und das Suchmaschinenunternehmen als ihr angestammtes und unveräußerliches Recht. Was den Internetkonzern betrifft: Die Daten der digitalen Thermostate und Rauchmelder, die Google durch die Übernahme der Firma Nest aus den Privatwohnungen der Nutzer bekommt, werden ausgewertet. Selbstverständlich nur, um die Geräte kundenfreundlicher zu machen, heißt es. Und hier kommt es zur zweiten Gemeinsamkeit: Auch den Geheimdiensten geht es erklärtermaßen um das Wohl der Bürger, sprich: ihren Schutz vor Terroranschlägen. Die NSA forscht an einem Quantenrechner, der jedes Verschlüsselungssystem zu knacken in der Lage ist. Google erprobt dieselbe Technologie, um Algorithmen zu entwickeln, mit denen große Datenbanken noch schneller durchsucht werden können. Außerdem, und das ist die dritte Gemeinsamkeit, ist der Konzern mit dem US-Verteidigungsministerium und den Geheimdiensten geschäftlich und auch personell eng verbunden. Er entwickelte Software für In-Q-Tel, eine Firma der CIA, und für die NSA. Gemeinsam mit In-Q-Tel investiert er in Recorded Future, ein Unternehmen, das sich das Internet für geopolitische Zukunftsprognosen nutzbar macht. Jared Cohen, Direktor des konzerneigenen Think-Tanks Google Ideas, hat im Planungsstab des US-Außenministeriums zunächst Condoleezza Rice, dann Hillary Clinton beraten. Eric Schmidt wiederum, derzeit Vorstandsvorsitzender des Konzerns, tut heute das gleiche sowohl für die britische als auch die US-Regierung. Darüber hinaus nimmt er regelmäßig an den geheimen Bilderberg-Konferenzen teil. Eine besondere Bewandtnis hat es mit der Personalie Regina Dugan, einer Maschinenbauingenieurin, die seit März 2012 Googles Motorola-Abteilung für Forschung im Mobilfunk leitet. Hier werden Programme entwickelt, die Personen anhand ihrer Stimmen identifizieren können. Zuvor saß sie im Pentagon-Arbeitskreis zur Terrorismusbekämpfung, war als wissenschaftlicher Beirat im US-Generalstab tätig und leitete das Rüstungsunternehmen RedXDefence LLC sowie die Forschungsabteilung des Pentagon DARPA. Hier hat die Entwicklung von autonomen Kampf- und Spähsystemen höchste Priorität. Google wiederum eröffnete erst neulich eine eigene Abteilung für Robotertechnik, kaufte innerhalb eines halben Jahres acht darauf spezialisierte Unternehmen und erfüllt seitdem in dieser Sparte auch Rüstungsaufträge. Der bürgerfreundliche Brief an Präsident Barack Obama, in dem der Konzern vor wenigen Wochen gemeinsam mit anderen Internet­unternehmen ein Ende der flächendeckenden Überwachung forderte, war ein Täuschungsmanöver.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. Januar 2014 (Kommentar)


Freundlich feindlich

Uwe Kalbe wundert sich über nostalgische Amerikaverehrung ****

Es kostet die Bundesregierung Überwindung, der Düpierung durch Washington mit der gebotenen Souveränität gegenüberzutreten. Und Düpierung ist es, auf Spionage in Deutschland auch nach ihrer Entdeckung zu beharren. Souveränes Auftreten wäre angezeigt. Und sei es allein deshalb, um den Verdacht zu zerstreuen, es handele sich beim Verhältnis der Bundesregierung zu Washington um ein ähnlich devotes wie einst zwischen Ostberlin und Moskau. Dass die im Osten sozialisierte Bundeskanzlerin hier keinen Handlungsbedarf sieht, ist entweder ein lange verborgener Spätschaden oder Einsicht in Realitäten, wie sie auch damals galten und jetzt so gern Anlass für arrogante und hämische Geschichtsurteile sind.

Das mag weit hergeholt scheinen, aber immerhin hat die Neuordnung der Welt nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus erst jene Lage geschaffen, in der auch für die westliche Allianz Koordinaten sich verschoben und alte Verabredungen neu zu bewerten waren. Hierzu zählt auch der Nimbus von Freund und Feind; in die nach dem Zweiten Weltkrieg gesäte Amerikaverehrung mischen sich doch längst Hinweise auf Konkurrenz und Unverträglichkeiten. Allianzen formieren sich neu. Freundlich im Ton, feindlich in der Haltung – so stellt sich Washingtons Hinhaltepolitik beim Thema Geheimdienstabkommen dar. Doch Berlin ahnt ganz offenbar, einen politischen Konflikt nicht unbeschadet überstehen zu können. Und fügt sich. Wie einst Ostberlin.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 15. Januar 2014 (Kommentar)


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