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Moskau statt Berlin

Bundesregierung gegen Aussage von Snowden vor Ausschuß. Seit einem Jahr hat US-Whistleblower Asyl in Rußland. Deutsche Geheimdienste wollen weiter aufrüsten

Von Roland Zschächner *

Die Bundesregierung will Edward Snowden nicht in Deutschland haben: Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter soll, wenn es nach Äußerungen von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag geht, in die USA zurückkehren und sich dort einem Gerichtsverfahren stellen. Am morgigen Donnerstag läuft das erste Jahr des gewährten Asyls für Snowden in Rußland aus. Er hat bereits eine Verlängerung beantragt – die Genehmigung ist wahrscheinlich.

Snowden hatte vor über einem Jahr vormals streng geheime Dokumente seines früheren Auftraggebers, des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA), publik gemacht. Die Unterlagen belegen, was bereits zuvor angenommen wurde: Die USA überwachen weltweit und massenhaft mitunter in enger Kooperation mit Konzernen und anderen westlichen Geheimdiensten die Internet- und Telekommunikation. Mit verschiedenen Programmen sammeln und speichern die Dienste Informationen und werten sie aus, um die Hegemonie des US-Imperialismus aufrechtzuerhalten.

Auch bei den deutschen »Freunden« schlugen die Snowden-Dokumente Wellen. Mitte März beschloß der Bundestag einstimmig die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, um die Überwachung durch US-Dienste hierzulande aufzuklären. Es ist zu bezweifeln, daß dies gelingt. Von Anfang an war der Streit, ob Snowden in Berlin vor dem Ausschuß aussagen kann, entbrannt. SPD und CDU/CSU sprachen sich dagegen aus. Sie wollten den Whistleblower in Moskau oder per Video befragen. Linksfraktion und Grüne dagegen forderten Snowdens Anhörung in der BRD. Sie drohten in der aktuellen Ausgabe des Magazins Spiegel, falls bei der nächsten Sitzung im September keine Ladung von Snowden nach Berlin beschlossen werde, vor dem Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen.

Die deutschen Geheimdienste erfreuen sich an dem politischen Geplänkel: Sie können nach einer Zeit der verordneten Defensive infolge des Auffliegens des neofaschistischen Terrornetzwerks NSU wieder selbstbewußt auftreten.

So hatte der Bundesnachrichtendienst Mitte Mai 300 Millionen Euro für die technische Aufrüstung bis 2020 gefordert. Nur knapp eine Woche später sprachen drei Juraprofessoren, darunter der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, vor dem NSA-Untersuchungsausschuß. Sie wiesen darauf hin, daß das Abfangen der Telekommunikation im Ausland – eine Hauptaktivität des BND – keine Grundlage in der Verfassung hat. Die Linksfraktion stellte daraufhin eine kleine Anfrage zur rechtlichen Stellung des Auslandsgeheimdienstes an die Bundesregierung. Die Antwort fiel knapp aus: »Der BND handelt bei seiner Aufgabenerfüllung im Einklang mit den bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften.«

Die deutschen Geheimdienste wollen sich gegenüber ihren US-»Partnern« emanzipieren. Zwar kooperieren sie auf der einen Seite eng mit ihnen – beispielsweise im Rahmen von geheimen Abkommen, wie von dem ehemaligen technischen Direktor der NSA, William Binney, vor dem Ausschuß angedeutet wurde. Auf der anderen Seite nutzen sie die medialen Enthüllungen der Aktivitäten von NSA und Co., um ihren eigenen Überwachungsapparat auszubauen und sich so unabhängig von ihnen zu machen. Die verlangten 300 Millionen Euro sollen unter anderem dazu genutzt werden, sogenannte In-Memory-Datenbanken vom deutschen SAP-Konzern anzuschaffen. Das berichtete die Süddeutsche Zeitung in der vergangenen Woche. Die Technologie würde die Überwachung und Auswertung der Internetkommunikation von ganzen Ländern in Echtzeit erlauben.

Für die Notwendigkeit der technischen Aufrüstung wird nicht zuletzt mit der Enttarnung zweier vermeintlicher US-Spione argumentiert. Fast zeitgleich zur letzten Sitzung des Bundestagsgremiums vor der Sommerpause wurde bekannt, daß die USA beim BND einen Informanten geführt hätten. Dieser habe unter anderem den NSA-Untersuchungsausschuß ausgespäht. Kaum eine Woche später wurde ein weiterer angeblicher Agent der CIA im Verteidigungsministerium enttarnt. Der Repräsentant der US-Geheimdienste wurde gebeten, die BRD zu verlassen. Doch die Argumente für die Ausweitung der Spionage waren geliefert. Die Bundesregierung zog nach. Sie will laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung von vergangener Woche nun auch »befreundete Geheimdienste« in der Bundesrepublik observieren.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 30. Juli 2014


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