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NSA ist vorübergehend ein Stecker gezogen, 03.06.2015

Keine Einigung im Senat: Geheimdienst muss Sammeln von Telefon-Metadaten in USA vorerst einstellen / Republikaner Paul: "Patriot Act" läuft heute Nacht aus« / Reformgesetz "Freedom Act" soll kommen *

Berlin. Der republikanische Präsidentschaftsbewerber Rand Paul hat im US-Senat eine Neuregelung für die massenhafte Sammlung von Telefondaten durch die US-Geheimdienste aufgehalten und damit auch seine eigenen Parteikollegen verärgert. Es gebe keine Einigung in der Kongresskammer, die bisher geltenden Bestimmungen liefen daher ersatzlos um Mitternacht (06.00 Uhr MESZ) aus, erklärte Paul am Sonntag in Washington. Die NSA muss die Telefondatensammlung im Inland nun vorerst einstellen.

»Der Patriot Act läuft heute Nacht aus«, sagte Paul nach einer Senatssitzung. Im sogenannten Patriot Act war den US-Geheimdiensten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der massenhafte Zugriff auf die Telefon-Metadaten von US-Bürgern erlaubt worden. Die Regelung wurde immer wieder verlängert. Weil der Senat sich aber nicht rechtzeitig auf eine Verlängerung der Regelung oder ein alternatives Gesetz verständigen konnte, läuft sie vorerst ersatzlos aus. Die Ausspähaktivitäten des US-Geheimdiensts im Ausland sind davon nicht betroffen.

»Es gibt keine Möglichkeit, heute Nacht irgendeine Vereinbarung zu erzielen - weder eine Verlängerung noch die Verabschiedung eines Gesetzes«, sagte der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, Richard Burr, der Nachrichtenagentur AFP sichtbar verärgert über den rechtskonservativen Senator aus Kentucky. Die NSA könne daher nicht mehr auf die Telefondaten zugreifen und »das alles wegen Senator Rand Paul«.

Der republikanische Senator Mike Lee sagte, es sei »sehr, sehr bedauerlich, dass wir in dieser Lage sind«. Obwohl das Fristende dem Senat seit vier Jahren bekannt sei, habe er sich vergangene Woche eine Auszeit in den Beratungen genommen, kritisierte Lee.

Um ein ersatzloses Auslaufen der Regelung zu verhindern, hatte der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, für Sonntag eine Sondersitzung der Kongresskammer einberufen. Dabei stimmten 77 Senatoren dafür, die Beratungen über ein Reformgesetz, den sogenannten Freedom Act, voranzutreiben, 17 dagegen.

Paul konnte aber einen abschließenden Beschluss im Senat aufgrund komplizierter Verfahrensregeln vorerst abwenden. Mehrere Senatoren sagten, dass wahrscheinlich kommende Woche, womöglich schon am Dienstag oder Mittwoch, abschließend über das Reformgesetz abgestimmt werden könne.

Das Repräsentantenhaus hatte den Freedom Act bereits Mitte Mai beschlossen. Die NSA dürfte demnach nicht mehr massenhaft Telefon-Metadaten in den USA sammeln, diese würden stattdessen ausschließlich von den Telefongesellschaften gespeichert. Um darauf zugreifen zu können, bräuchte es einen Gerichtsbeschluss.

Einige Republikaner sehen in der debattierten Neuregelung eine zu starke Beschneidung der Kompetenzen der NSA. Sie wollen die alte Regelung als Grundlage für eine wirksame Terrorismus-Bekämpfung verlängern. Dafür hatte sich auch McConnell ausgesprochen, angesichts der Gegebenheiten erklärte er aber schließlich, der Freedom Act sei »jetzt der einizige realistische Weg voran«.

Das Weiße Haus kritisierte die vorerst gescheiterten Beratungen im Senat als »unverantwortlich«. Die Kongresskammer müsse dafür sorgen, dass dieser Zustand »so kurzlebig wie möglich« sei, erklärte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Joshua Earnest. Am Samstag hatte Obama davor gewarnt, den Streit für politische Zwecke zu instrumentalisieren. »Leider versuchen einige Leute, diese Debatte zu nutzen, um politisch zu punkten«, erklärte er und warnte: »Terroristen wie Al-Kaida oder (die Dschihadistenorganisation) IS hören nicht plötzlich morgen um Mitternacht auf, gegen uns vorzugehen.«

CIA-Chef John Brennan warnte am Sonntag vor der Senatssitzung eindringlich vor einer erhöhten Terrorgefahr, wenn wichtige Überwachungsprogramme nicht mehr fortgesetzt werden könnten. »Das können wir uns gerade jetzt einfach nicht erlauben«, sagte er in der CBS-Talkshow »Face the Nation«.

* Aus: neues deutschland (online), Montag, 01. Juni 2015


Weg frei für Mogelpackung

USA: Überwachungsgesetz ausgelaufen, doch neues geplant

Von Roland Zschächner **


Der Geheimdienst NSA darf vorerst keine Metadaten von Telefonaten von US-Bürgern mehr speichern. In der Nacht zum Montag konnten sich die Senatoren des Kongresses in Washington nicht auf die Verlängerung von Teilen des Gesetzespakets »Patriot Act« einigen. Dass die NSA und die anderen Dienste ihre Spionage zum Wochenbeginn eingestellt haben, ist indes zu bezweifeln.

Der »Patriot Act« wurde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA eingeführt und muss immer wieder verlängert werden. Das Gesetzespaket gibt den Geheimdiensten weitreichende Rechte, unter Umgehung von Gerichten die Internet- und Telefonkommunikation zu überwachen. Wie umfassend die Spionage vor allem der NSA ist, hatte 2013 der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden enthüllt.

Als Reaktion auf die Veröffentlichungen des Whistleblowers will US-Präsident Barack Obama den »Patriot Act« durch ein anderes Gesetzespaket, den »Freedom Act«, ersetzen. Das Regelwerk war von der Mehrheit der Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses bereits Mitte Mai genehmigt worden. Im Senat fehlte bisher die nötige Mehrheit.

Verantwortlich für das Auslaufen des »Patriot Act« ist der republikanische Senator Rand Paul. Er hatte die Abstimmung am Sonntag soweit blockiert, dass die Abstimmung obsolet wurde. Paul spricht sich gegen jede Einmischung des Staats in die Belange der Bürger aus. Nun sieht es so aus, dass der »Freedom Act« von Obama als Kompromiss zwischen beiden Fraktionen noch in dieser Woche beschlossen werden könnte.

Der »Freedom Act« ist eine Mogelpackung. Abseits davon, dass das Treiben der NSA keiner Kontrolle unterliegt, gelten die Regelungen nur bei der Überwachung von Bürger der Vereinigten Staaten. Und auch dies nur mit Einschränkung. So darf die Kommunikation weiterhin mitgeschnitten werden, wenn sie über das Ausland läuft – beispielsweise wenn E-Mails über einen Server in Kanada oder einen anderen Staat geleitet werden. Die weltweite Spionage bleibt somit weiter fester Bestandteil der US-Geheimdienste.

Außerdem werden die Verantwortlichkeiten für die Überwachung verschoben: Nun müssen die Telefonunternehmen die Verbindungsdaten speichern. Die Geheimdienste brauchen, wenn sie darauf zugreifen wollen, eine richterliche Genehmigung. Dies gilt jedoch als reine Formsache.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 02. Juni 2015


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