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"Regierung handelt grob rechtswidrig"

NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestags bekommt weitgehend geschwärzte Dokumente. Ein Gespräch mit Hans-Christian Ströbele *


Hans-Christian Ströbele ist Rechtsanwalt, Bundestagsabgeordneter der Grünen und dienstältestes Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste.


Von den Akten, die dem NSA-Untersuchungsausschuß von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden, wurden viele zu großen Teilen geschwärzt. Mit welcher Begründung?

Die Begründungen sind unterschiedlich und sehr pauschal. Zu Beginn eines Aktenordners gibt es immer den gleichen, mehrseitigen Text, in dem dann steht, daß die geschwärzten Teile den »Kernbereich der Bundesregierung« oder »andere Dienste« betreffen oder »Gefahr für Mitarbeiter« bestehe. Insgesamt gibt es fünf solcher Kategorien. Die jeweiligen Schwärzungen werden dann einfach mit einem Buchstaben bezeichnet, als Abkürzung für einen der Gründe.

Das ist grob rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum BND-Untersuchungsausschuß 2009 ausdrücklich festgelegt, daß, wenn es schon Schwärzungen gibt, diese jeweils individuell auf den konkreten Text bezogen begründet werden müssen. Es muß auch eine Auseinandersetzung über diese Gründe stattfinden können.

Gibt es Gründe, die Sie nachvollziehen können?

Konkret kann ich das nicht sagen, weil ich ja nicht weiß, was geschwärzt wurde. Völlig absurd wird es, wenn in einer Geheimakte, die nur in der Geheimschutzstelle eingesehen werden kann, nach der absendenden Stelle steht: »Sehr geehrte Damen und Herren« und dann kommen vier komplett geschwärzte Seiten. Darunter steht nur noch »MfG«. Da fühlt man sich natürlich auf den Arm genommen und total frustriert.

Es gibt durchaus verständliche Gründe wie die Gefährdung von noch tätigen Leuten oder wirklich interne Regierungsbelange. Aber gar nicht nachvollziehen kann ich, daß alles geschwärzt ist, was ausländische Dienste betrifft. Denn darunter können ja nicht nur Schriftstücke fallen, sondern auch Gesprächsinhalte zwischen Deutschen und Amerikanern oder Briten, die aufgeschrieben wurden. Und genau das interessiert den Ausschuß nach seinem Auftrag: Was ist eigentlich mit der NSA oder anderen Diensten besprochen worden, und was wußte der BND, an wen hat er was weitergetragen? Hier steht insbesondere die Bundesregierung im Fokus.

Will die Bundesregierung etwas vertuschen?

Auch das kann ich nicht sagen, weil ich es nicht lesen kann. Da ist jedenfalls nicht mal der Anschein einer Informationswiedergabe: Nach langem Lesen der Ordner frage ich mich: Was habe ich da eigentlich gesehen, und warum sind diese Akten geheim? Und kann nur mit dem Kopf schütteln. Deshalb haben wir fraktionsübergreifend zunächst eine ganze Liste an die Regierung geschickt, damit sie nochmals prüft und die Schwärzungen nachvollziehbar begründet.

Und wenn sie das nicht tut?

Wir hoffen immer noch, daß die Bundesregierung auch unter dem Druck der Öffentlichkeit in Teilen die geschwärzten Stellen offenlegt. Wenn das nicht geschieht, bleibt uns nur der Gang vor das Bundesverfassungsgericht, was wir auch tun werden. Problematisch hierbei ist, daß man das nicht heute beantragt und morgen die Entscheidung da ist. Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir in der Sache Recht bekommen. Die Frage ist wann. Im besagten BND-Ausschuß haben wir die Entscheidung bekommen, als der Abschlußbericht schon fertig war. Es kann aber sein, daß es diesmal viel schneller geht, weil das Gericht die Grundsätze bereits festgelegt hat.

Nach jüngsten Medienberichten scheint der CIA-Spion im Bundesnachrichtendienst nicht der kleine Fisch zu sein, als den ihn die Bundesregierung anfangs darstellte…

Da haben Sie recht. Ich habe der Bundesregierung dieselbe Frage gestellt, nachdem ich die 218 Dokumente gelesen hatte, die Markus R. an die CIA weitergegeben hat. Ursprünglich hatte die Regierung verkündet, das sei ein kleiner Postzusteller ohne große Kenntnisse gewesen. Doch statt auf meine Anfrage hin ihre Auffassung zu korrigieren, hat sie wie so häufig leider nur drumherum geredet und erklärt, sie müsse erst das Ergebnis der Ermittlungen abwarten. Uns ging es aber um den jetzigen Stand – was wir wissen, weiß auch die Bundesregierung und natürlich der BND.

Meine Beurteilung ist jetzt, daß es sich zum Teil um sehr gravierende, wichtige Dinge handelt, die weitergegeben wurden.

Wissen Sie das nicht konkreter?

Doch, ich habe das ja gelesen und weiß dazu viel. Aber ich darf es Ihnen nicht sagen.

Interview: Ben Mendelson

* Aus: junge Welt, Montag 15. September 2014


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