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Snowden und die "Klamauk"-Macher

Der NSA-Ausschuss soll über die Vernehmung des US-Whistleblowers entscheiden – so oder so

Von René Heilig *

Die Koalitionsvertreter im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags haben ein Datum für die Befragung von Edward Snowden genannt. Sie wollen den Whistleblower am 3. Juli anhören.

Die Obleute von Union und SPD, Roderich Kiesewetter (CDU) und Christian Flisek, wollen in der Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses am Donnerstag (8. Mai) gemeinsam mit der Opposition beschließen, den einstigen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden zu laden. Die Meldung vom Dienstagabend bewirkte, dass sich LINKE und Grüne verwundert die Augen rieben. Der schwarz-rote Antrag hätte bis zum Freitag vergangener Woche im Ausschusssekretariat eintreffen müssen, um vorgelegt werden zu können. Eingegangen ist jedoch bislang nur der Antrag der Opposition, der Snowdens Vernehmung in Berlin verlangt.

Den hatte die Mehrheit von Union und SPD bei der vergangenen Sitzung von der Tagesordnung des Untersuchungsausschusses radiert. Statt dessen legte die Bundesregierung einen Akt vor, laut dem eine Vernehmung des aussagewilligen Enthüllers des weltweit größten Spionageskandals rundweg abgelehnt wird. Aus Gründen des »Staatswohls«, wie es heißt. Dazu hat die Regierung, die von Gesetzes wegen verpflichtet ist, dem Untersuchungsausschuss in jeder nur denkbaren Weise zu helfen, ungefragt und in Überschreitung ihrer Kompetenz auch noch ein Gefälligkeitsgutachten einer US-Rechtsanwaltskanzlei in Auftrag gegeben. In dem wird jeder, der Snowden vernehmen will, mit Strafe nach US-amerikanischem Recht bedroht.

So gesehen ist die Auslieferung des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele nah. Denn der hat sich ja bereits mit Snowden in dessen Asylland Russland getroffen. Danach brachte er die schriftliche Zusage des Whistleblowers mit, dass der nach Deutschland kommen würde – wenn man für seine Sicherheit garantiert. Freies Geleit und ein Aufenthaltstitel sind möglich, sagte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bereits im August vergangenen Jahres.

Kurzum, alles wäre bereit, damit der Untersuchungsausschuss endlich beginnen kann, seinem Auftrag nachzugehen. Fragt sich nur: Stellen sich die Ausschussmitglieder der Union und der SPD wirklich gegen die schwarz-rote Regierung? Hatte Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) das gemeint, als er am Dienstagmorgen erklärte: »Es wird Zeit, dass wir mit dem Snowden-Klamauk mal aufhören«? »Ich gehe davon aus, dass wir Edward Snowden am Donnerstag im Ausschuss einstimmig als Zeugen beschließen werden«, ließ sich SPD-Mann Flisek zitieren und blieb offenbar bewusst schwammig, als er fortfuhr: »Gemeinsam mit Herrn Snowden und seinem Anwalt in Deutschland müssen wir einen Weg finden, wie und wo er dem Ausschuss für eine förmliche Vernehmung zur Verfügung stehen kann.« CDU-Mann Kiesewetter dagegen schloss eine Befragung in Berlin aus. Er warb weiter für eine Videoschalte.

Diese Option lehnt die Opposition aber vehement ab. Martina Renner, Obfrau der Linksfraktion, pocht auf das Untersuchungsausschussgesetz. Darin ist der »Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung« festgeschrieben. »Frei und umfassend« müsse ein Zeuge aussagen können. Kein anderer könne aus eigener Anschauung so genau erzählen, wie der US-Geheimdienst NSA die Welt »verwanzt« hat und welche Rolle die deutschen Dienste dabei spielen. Auch Konstantin von Notz, Obmann der Grünen, hält eine Vernehmung in Moskau – ganz gleich ob durch eine Videoschaltung, durch Ausschussabgesandte oder einen beauftragten Sonderermittler – für nicht akzeptabel. Da könne man ja gleich Putins Geheimdienst in die Befragung einbeziehen.

Für Notz ist klar: Wer so etwas vorschlägt, »der hat keinerlei Interesse an Aufklärung«. Aber vielleicht noch ein paar Verfahrenstricks im Ärmel, argwöhnt man bei der Opposition. Man sei – so sagen LINKE wie Grüne – gewappnet. Und möglicherweise bekommen – je nach Barrikadenart – die Richter des Bundesgerichtshofes oder des Bundesverfassungsgerichts bald Arbeit in dieser Sache.

Im Vergleich zum kollegialen Miteinander im NSU-Untersuchungsausschuss ist die Arbeit im NSA-Ausschuss vorerst von Misstrauen und Machtkämpfen geprägt. Nicht zuletzt deshalb, weil von außen Zwist in den Ausschuss getragen wird. Unter anderem durch den Verfassungsschutzpräsidenten. Hans-Georg Maaßen erklärte öffentlich, dass sich die Abgeordneten nicht einbilden sollten, alle von ihnen angeforderten Akten zu bekommen. Für ihn ist Snowden ein »Täter«, der der befreundeten NSA »großen Schaden« zugefügt hat.

Dass ausgerechnet eine ob ihrer Zusammenarbeit mit der NSA zu untersuchende Behörde den parlamentarischen Ermittlern Regeln vorschreiben will, hält nicht nur Martina Renner für dreist. Konstantin von Notz hat noch weitere Indizien, dafür, dass Aufklärung nicht erwünscht ist. Er nennt das Stichwort »Löschmoratorium«. Es müsse – auch angesichts der Schredder-Erfahrungen in Sachen NSU – befürchtet werden, dass die deutschen Dienste vernichten, was zur Aufklärung betragen kann. So will der Grünen-Obmann wissen, ob und was geschreddert worden ist, nachdem Snowden sich an die Öffentlichkeit gewandt hat. Die Bundesregierung will Auskunft geben – freilich erst ab jenem Datum, an dem der Bundestag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt hat. Es bedarf nur wenig Fantasie, um sich die Gründe dafür vorzustellen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 8. Mai 2014


Streit um Snowden

Heute tritt der NSA-Untersuchungsausschuß zum dritten Mal zusammen. Beantragt wird die Vernehmung des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters aus den USA

Von Roland Zschächner **


Es hätte so schön sein können. Einstimmig beschloß der Bundestag im März die Einsetzung des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der massenhaften Spionage durch den US-Militärgeheimdienst NSA in der Bundesrepublik. Auch die Zusammenarbeit von deutschen und amerikanischen Behörden soll beleuchtet werden. Bekannt wurden die Überwachungsaktionen durch die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden im vergangenen Jahr.

Die anfängliche Harmonie ist verflogen. Vor der zweiten Sitzung trat der Ausschußvorsitzende Clemens Binninger (CDU) zurück. Sein Nachfolger wurde der CDU-Politiker Patrick Sensburg. Binningers Schritt kam überraschend, war aber wenig verwunderlich. Weder deutsche noch amerikanische Geheimdienste werden sich von deutschen Parlamentariern in die Karten schauen lassen. Am heutigen Donnerstag findet – nichtöffentlich – die dritte Sitzung des Untersuchungsausschusses statt. Themen werden unter anderem die Zeugenvernehmung Snowdens und ein »Aktenvernichtungsmemorandum« sein. Letzteres meint eine Offenlegung von gezielten Lösch- und Schredderaktionen in deutschen Geheimdienstzentralen.

Die Vernehmung Snowdens wollen heute beide Oppositionsparteien gemeinsam beantragen. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter im Moskauer Asyl wäre sowohl für Linkspartei wie Grüne ein wichtiger Zeuge. Als Praktiker könnte der Whistleblower laut Martina Renner, Obfrau der Linksfraktion im Untersuchungsausschuß, wertvolle Einblicke in die Tätigkeit des US-Geheimdienstes geben. In der vergangenen Sitzung wurde der gleiche Antrag noch durch die Mehrheit der Regierungsparteien von der Tagesordnung genommen. Ein weiteres Mal wäre das nicht möglich. Wenn der Antrag zu Abstimmung kommen würde, wäre er durch das gesetzlich festgelegte Minderheitenvotum – es reichen die beiden Stimmen der Opposition – angenommen. Martina Renner befürchtet aber, daß SPD und CDU/CSU einen eigenen Antrag stellen könnten. Die Befragung würde dann in Moskau statt Berlin bzw. per Videoschaltung erfolgen. Dagegen sprechen sich sowohl Linksfraktion wie Grüne vehement aus. Renner fordert, daß »eine Befragung von Herrn Snowden sowohl unmittelbar, frei und ausführlich sein muß«. Das sei weder über das Internet noch in Rußland gegeben.

Ein Winkelzug der Regierungsparteien würde laut der Linken-Obfrau noch bestehen: Der oppositionelle Antrag könnte als unzulässig erklärt werden. Renner würde dann vor den Bundesgerichtshof ziehen. Auch die Grünen können sich den juristischen Weg vorstellen. Vor allem wenn den Ausschußmitgliedern, wie Medienberichte unlängst meldeten, nicht alle Akten zugänglich gemacht werden sollten.

Außerdem sorgte Ende vergangener Woche ein durch den Ausschuß in Auftrag gegebener Regierungsbericht für Unmut. Eine Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuß würde »erhebliche negative Auswirkungen auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen« haben. Weiter heißt es in dem Dokument, daß »insbesondere eine Beeinträchtigung der Kooperation mit US-Sicherheitsbehörden« zu befürchten sei. Damit wäre das »Staatswohl« gefährdet.

Auch ein dem Regierungsbericht beigefügtes juristisches Gutachten einer Washingtoner Anwaltskanzlei sorgte für Aufregung. Darin wird Bundestagsabgeordneten, die von Snowden etwas erfahren würden, eine Strafverfolgung in den USA aufgrund von Geheimnisverrat angedroht. Für André Hahn, stellvertretendes Mitglied der Linksfraktion im Untersuchungsschuß, stellt das eine »offene Bedrohung« und einen »unerträglichen Versuch der Einschüchterung deutscher Volksvertreter« dar.

Bereits im vergangenen Jahr konnten sich Washington und Berlin nicht auf ein sogenanntes No-Spy-Abkommen einigen. Kanzlerin Angela Merkel, deren Mobiltelefon vom NSA abgehört wurde, gab sich damals mit dem Ehrenwort des US-Präsidenten Barack Obama zufrieden, das in Zukunft zu unterlassen. Auch bei Merkels USA-Besuch in der vergangenen Woche war die Spionage kein Thema mehr. Laut Hahn ist das »Feigheit vor dem Freund«.

Freuen können sich hingegen die deutschen Geheimdienste. Ihre Zusammenarbeit mit amerikanischen und anderen westlichen Spionagezentralen tritt bei dem Zank um Edward Snowden in den Hintergrund. Allein im Dezember 2012 soll der BND rund 400 Millionen Daten an den NSA weitergereicht haben – daß das im Moment weniger sein sollten, kann bezweifelt werden.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 8. Mai 2014


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