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Geheimdienst macht dicht

Die dubiose "Hauptstelle für Befragungswesen" im Lager Friedland wird aufgelöst. Sie soll kriegsrelevante Informationen an US-Dienste weitergeleitet haben

Von Reimar Paul *

Der Geheimdienst residiert im Keller. Im Untergeschoß der Baracke Nummer 16 im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen hat die »Hauptstelle für Befragungswesen« (HBW) seit mehr als 60 Jahren ihr Büro. Und im Telefonbuch für Südniedersachsen findet sich dieser Eintrag auf Seite 181: »Hauptstelle für Befragungswesen Lager Friedland«. Jetzt soll die dubiose Dienststelle geschlossen, die HBW komplett aufgelöst werden.

Die Hauptstelle für Befragungswesen war 1958 zunächst als eigene Abteilung des Bundesnachrichtendienstes (BND) gegründet worden. Eine von rund einem halben Dutzend Dependancen entstand in Friedland. Das dortige Lager war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den britischen Militärbehörden errichtet worden – als Auffangstelle für Kriegsflüchtlinge, entlassene Gefangene und heimatlose Menschen. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende der DDR horchten die HBW-Mitarbeiter in Friedland vor allem Flüchtlinge aus Osteuropa und sogenannte Spätaussiedler aus. Es ging dabei vorrangig um militärische Informationen, die zum Beispiel Männer aus ihrer sowjetischen oder DDR-Militärdienstzeit mitbrachten.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden männliche Flüchtlinge aus arabischen Ländern als potentielle Informanten für die HBW interessant. Nach jW-Informationen hat die Hauptstelle für Befragungswesen in Friedland – und wohl auch in anderen Außenstellen – unter anderem irakische Asylbewerber ausgefragt und anschließend offenbar kriegsrelevante Informationen aus diesen Gesprächen an US-Dienste weitergegeben. Trotz der offiziellen Ablehnung des Irak-Kriegs durch die rot-grüne Bundesregierung sollen die Informationen an den Militärgeheimdienst DIA weitergeleitet und sogar zur Zielplanung benutzt worden sein.

Nach einem Bericht von Süddeutscher Zeitung (SZ) und Norddeutschem Rundfunk (NDR) vor einigen Monaten greifen die USA sogar für Drohnenangriffe auf Informationen zurück, die von Asylbewerbern in der Bundesrepublik stammen. Teilweise seien ausländische Partnerdienste wohl direkt an den Befragungen in Deutschland beteiligt, heißt es. Ihre Agenten würden Asylbewerbern als »Praktikanten« vorgestellt.

Ein Iraker erzählte 2009, er sei im Lager von einem HBW-Mitarbeiter angesprochen worden, ob er nicht Deutschland helfen und einige Fragen beantworten wolle. Er habe sich auf das Gespräch eingelassen. In der »Unterhaltung« sei es dann vor allem um die politische Lage in der Ninive-Ebene gegangen, einem Siedlungsgebiet der Christen im Norden von Irak, aus dem der Befragte stammte.

Nach Angaben von NDR und SZ interessiert sich die HBW auch für die Lebensumstände einzelner Personen, beispielsweise mutmaßlicher Extremisten. Die »Interviewpartner« würden nicht aufgeklärt, wozu ihre Informationen dienten. Anwälte haben nach Angaben der Medien über Versprechen der Interviewer berichtet, daß sich eine Teilnahme an der Befragung positiv auf die Bewertung des Asylverfahrens auswirken könne. Das Bundesinnenministerium läßt diese Darstellung nicht gelten. Die Befragungen fänden auf freiwilliger Basis statt, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Auch dem Vorwurf, die Gespräche hätten Einfluß auf das laufende Asylverfahren, widersprach er.

Nun griff Die Linke das Thema im Bundestag auf und stellte eine Anfrage. »Es ist beabsichtigt, die HBW zum 30. Juni aufzulösen«, heißt es in einer veröffentlichten Antwort der Bundesregierung. Neben der Dienststelle in Friedland sind demnach auch die weiteren Dienststellen der Behörde mit derzeit insgesamt rund 40 Beschäftigten von der Schließung betroffen. In ihrer Antwort bestätigt die Bundesregierung zudem, an den Befragungen durch die HBW seien auch »Nachrichtendienste alliierter Partner« beteiligt gewesen. Für den oft mit Flüchtlingsfragen betrauten Rechtsanwalt Victor Pfaff ist das Vorgehen der HBW ein »Mißbrauch des Asylverfahrens«. Die Informationssammlung verstoße gegen deutsches und europäisches Asylrecht sowie gegen die Genfer Flüchtlingskonvention.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 6. Mai 2014


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