Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Koalition will am No-Spy-Abkommen festhalten

Bundestag debattierte über Abhöraffäre / Neue Enthüllungen *

Die stockenden Verhandlungen für ein Geheimdienstabkommen mit den USA beschäftigten am Mittwoch auch den Bundestag. Die Linksfraktion hatte dazu eine Aktuelle Stunde beantragt. Sieben Monate nach Beginn des NSA-Skandals stehe »die Bundesregierung völlig nackt da«, hatte Jan Korte, Vizevorsitzender der Linksfraktion, den Diskussionsbedarf begründet. »Absolut nichts von dem Bisschen, was die Regierung überhaupt unternommen und von den USA erbeten hat, war erfolgreich«, sagte Korte.

Im Plenum machte die Opposition die Bundesregierung für das drohende Scheitern des Abkommens verantwortlich. Stefan Liebich von der LINKEN beklagte: »Wer ein Anti-Spionage-Abkommen von Spionen verhandeln lässt, der muss sich über so ein Ergebnis nicht wundern.« Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele forderte erneut eine Befragung des Ex-US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden im Bundestag. Snowden könne jene Informationen geben, die die NSA bis heute verweigere.

Die Bundesregierung will trotz der Kritik am Geheimdienstabkommen festhalten. Die Gespräche würden weitergeführt, versicherte Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU). »Der Maßstab, dass auch für unsere Partner und ihre Sicherheitsbehörden auf deutschem Boden uneingeschränkt deutsches Recht zu gelten hat« sei dabei verhandelbar. Eine Aufkündigung jeglicher Zusammenarbeit wäre jedoch unverantwortlich.

Derweil gab es im NSA-Skandal neue Enthüllungen. Wie die »New York Times« am Mittwoch berichtete, greift der Geheimdienst weltweit auch auf Rechner zu, die nicht ans Internet angeschlossen sind. Voraussetzung sei, dass spezielle Funkwanzen installiert werden. Eine von US-Präsident Barack Obama eingesetzte Expertengruppe verteidigte bei einer Anhörung im Washingtoner Senat die umfangreiche Sammlung von Telefondaten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 16. Januar 2014


Schwarz-Rot: Wir brauchen die NSA

Regierungsparteien halten sich mit Kritik zurück

Von Aert van Riel **


Union und SPD haben bei einer Bundestagsdebatte verkündet, die Verhandlungen über das No-Spy-Abkommen fortzusetzen. Die Opposition forderte, mehr Druck auf die USA auszuüben.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte nach einer Fragestunde den Plenarsaal des Bundestags bereits verlassen, als die Abgeordneten in einer von der Linksfraktion beantragten Aktuellen Stunde über die Konsequenzen aus der NSA-Spähaffäre diskutierten. De Maizières Verhalten erinnerte an seinen Vorgänger Hans-Peter Friedrich (CSU), der vor kurzem eingeräumt hatte, er habe in seiner Amtszeit »wichtigere Themen als die NSA-Affäre« gehabt.

De Maizière ließ sich von seinem Parteikollegen und Parlamentarischen Staatssekretär Günter Krings vertreten. Dieser erklärte bezüglich des in einer Sackgasse befindlichen No-Spy-Abkommens mit den USA trotzig, dass die Verhandlungen darüber weiter geführt werden sollten. Was in diesem Abkommen überhaupt stehen sollte, wurde aber bisher nie öffentlich gemacht. Nach dem Bekanntwerden der Überwachung des Mobiltelefons von Bundeskanzlerin Angela Merkel durch die NSA war nur sicher, dass in dem geheimen Abkommen festgehalten werden sollte, dass die Geheimdienste Spitzenpolitiker des Partnerlandes nicht mehr ausspionieren. Aber selbst dazu sind die US-Amerikaner offensichtlich nicht bereit.

»Der Maßstab, dass auch für unsere Partner und ihre Sicherheitsbehörden auf deutschem Boden deutsches Recht zu gelten hat, ist für uns nicht verhandelbar«, sagte Krings. Allerdings betonte er auch, dass eine Aufkündigung der Partnerschaft mit dem US-Geheimdienst unverantwortlich wäre. Denn das würde Deutschland unsicherer machen. Als Reaktion auf die Massenspionage der NSA sprach sich Krings unter anderem für »eine bessere Verschlüsselung« von Daten durch die Nutzer von Telekommunikationsmedien aus.

Auch der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann war der Meinung, dass deutsche und US-amerikanische Geheimdienste aufeinander angewiesen seien und es deswegen kein »eingefrorenes Verhältnis« geben dürfe. »Aber Massenausspähung hat nichts mit dem Kampf gegen den Terror zu tun«, fügte der Sozialdemokrat hinzu. Dabei ist Hartmann selber ein Befürworter der Vorratsdatenspeicherung. Der Einführung einer Regelung zur Speicherung personenbezogener Daten steht laut Hartmann nichts mehr im Wege, wenn der Europäische Gerichtshof hierzu seine Entscheidung getroffen und die Bundesregierung auf eine Reform der einschlägigen EU-Richtlinie hingewirkt hat.

Linksfraktionsvize Jan Korte meinte, dass sich die SPD nicht entscheiden könne, ob sie sich für Bürgerrechte einsetzen oder eine enthemmte Law-and-Order-Politik machen wolle. Ersteres sei nur möglich, wenn die Regierung auf die Vorratsdatenspeicherung verzichte. Korte forderte die Bundesregierung zudem dazu auf, das transatlantische Freihandelsabkommen aufzukündigen, um Druck auf die USA auszuüben. Auch sollten alle Verträge und Abkommen zum Datenaustausch zwischen den Diensten offen gelegt werden. Zudem sprach sich Korte dafür aus, das Fluggastdatenabkommen und den Bankdatenaustausch auf EU-Ebene mit den USA auf Eis zu legen.

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele forderte die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Spähaffäre: »Wir brauchen im Februar einen entsprechenden Beschluss.« Als Zeuge müsse der in Russland lebende Whistleblower und Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden befragt werden. Der US-Amerikaner solle nach Deutschland gebracht werden, verlangte Ströbele.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 16. Januar 2014


Ein Quantum Druck

NSA-Affäre und Antispionageabkommen: Deutsche Politiker verlieren Zurückhaltung gegenüber den USA. Aktuelle Stunde im Bundestag auf Antrag der Linken

Von Michael Merz ***


Immer neue Enthüllungen demaskieren die Spionageaktivitäten des US-Geheimdienstes NSA. In der Nacht zu Mittwoch schrieb die New York Times auf ihrer Website, daß die NSA in knapp 100000 Computern weltweit ihre Software eingespeist habe. Damit sei es einerseits möglich, Geräte und private Netzwerke auch ohne Internetverbindung zu überwachen. Außerdem könne die NSA Cyberattacken veranlassen. Der Dienst selbst beschrieb das Programm mit dem Codenamen »Quantum«.

Angesichts des drohenden Scheiterns des Antispionageabkommens mit den USA (jW berichtete) wird der Ton deutscher Politiker zunehmend rauher. Selbst konservative Politiker üben sich nicht mehr in diplomatischer Zurückhaltung und drohen mit Konsequenzen, sollten sich die US-Amerikaner weiter stur stellen. »Selbst wenn man ein No-Spy-Abkommen aufschreiben könnte, es muß auch mehr sein als das Papier, auf dem es steht«, sagte Philipp Mißfelder (CDU), Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin. In den Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen sollten verstärkt deutsche und europäische Interessen eine Rolle spielen. Der EU-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff (FDP) forderte ein Eingreifen der Bundesanwaltschaft. Außerdem nannte er im Deutschlandfunk weitere Druckmittel: das Swift-Abkommen über die Weitergabe von Bankdaten und das Abkommen über den Austausch von Fluggastdaten.

Deutlichere Worte fanden Abgeordnete der Linken. Man solle gegenüber den USA klarmachen, »das sind Spielregeln unter Freunden, und entweder ihr macht das mit oder wir müssen andere Seiten aufziehen«, so der Geheimdienstexperte Steffen Bockhahn. Bockhahn wies im RBB auf ein mögliches Nichtzustandekommen des Freihandelsabkommens hin. Auf Antrag der Linksfraktion fand am Mittwoch nachmittag eine Aktuelle Stunde im Parlament statt. Jan Korte sagte am Rednerpult, die Abhöraffäre sei ein fundamentaler Angriff auf die Grundfesten der Demokratie und die Haltung der Bundesregierung eine »bodenlose Frechheit«. Sie solle auch vor der eigenen Haustür kehren – »die Datensammelwütigen sitzen im eigenen Land«. Korte forderte: »Kündigen Sie umgehend die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen auf.« Denn die Sprache der Wirtschaft würde in den USA verstanden. Außerdem solle der ehemalige Datenschutzbeauftragte Peter Schaar als Sonderermittler mit allen Kompetenzen eingesetzt werden. Mit Blick auf die Spionage aus Botschaften heraus sollen auch Diplomaten Konsequenzen zu spüren bekommen: »Wer spioniert, der fliegt«, so Korte in freier Interpretation eines CSU-Slogans. Und an die Regierungsbank gerichtet rief er: »Es wird Zeit, daß das Gepenne ein Ende hat.«

Daran, daß die Spionage der NSA in langjähriger Tradition steht, erinnerte in der letzten Woche ein Beitrag im 3sat-Magazin »Kulturzeit«. Es ging um die US-Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg, die US-Agenten lauschten nicht nur im Osten mit. In den 80er Jahren hatten Mitarbeiter des DDR-Auslandsgeheimdienstes herausgefunden, daß die BRD vom Bündnispartner ausspioniert wurde. »Damals hatten wir den Spruch: In Gott vertrauen wir, alle anderen hören wir ab«, sagte der ehemalige Abhörspezialist Christopher McLaren in dem Fernsehbeitrag. Auch das Wissen des Chefs der ehemaligen Gauck-Behörde und jetzigen Bundespräsidenten über diese Tatsache und der Umgang mit den entsprechenden Akten wurden thematisiert.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. Januar 2014


Obamas Experten für Lauschangriffe

Neue Enthüllung im NSA-Skandal: Geheimdienst zapft Computer auch ohne Internet an

Von Olaf Standke ****


Selbst Computer, die gar nicht online sind, werden von der NSA angegriffen. Von US-Präsident Obama berufene Experten verteidigen derweil die massive Datensammlung, fordern aber Grenzen.

Am Freitag will Barack Obama erklären, wie er sich Geheimdienstarbeit vorstellt. Darf die National Security Agency (NSA) mit ihrer grenzenlosen Spionage weitermachen? Oder bringt der Präsident den Mut auf, die zügellose weltweite Ausspähung zu stoppen, um nicht zuletzt auch die Empörung im Ausland zu dämpfen? »Ich werde dazu eine ganze Menge zu sagen haben«, erklärte er am Dienstag (Ortszeit) kryptisch.

»Im Grunde besitzen wir die technischen Möglichkeiten, einen Überwachungsstaat zu schaffen«, sagte Richard Clarke dieser Tage. Er gehört zu jener von Obama berufenen Expertengruppe für die nach den Snowden-Enthüllungen angekündigte Reform, die jetzt im Justizausschuss des Senats Rede und Antwort stehen musste. Geht man davon aus, dass sie die Richtung vorgibt, selbst wenn Obama nicht an die 46 Einzelempfehlungen gebunden ist, sieht es kaum nach radikalen Korrekturen aus. Der Präsident sprach bisher von »einigen Selbstbeschränkungen«, die er der NSA auferlegen wolle.

So soll nach den Vorschlägen der Fachleute künftig in den USA nicht mehr der Geheimdienst Kommunikationsdaten sammeln, sondern die Telefongesellschaften und Netzbetreiber ihre zur Verfügung stellen, wenn ein Gericht einem entsprechenden Antrag zugestimmt hat. Damit will man flächendeckenden Datenmissbrauch verhindern. Noch darf die NSA sogenannte Metadaten fünf Jahre lang speichern. Allerdings wehrt sich ein Verbund von Branchenriesen wie Verizon Wireless, T-Mobile USA und Sprint schon prophylaktisch gegen das Vorhaben, das laut »New York Times« auch Obama skeptisch sehen soll.

Am Geheimgericht, das NSA-Operationen genehmigt (Foreign Intelligence Surveillance Court), sollen künftig nicht nur Regierungsvertreter gehört werden, sondern auch ein Anwalt im Auftrag von Datenschutz und Bürgerrechten (Public Interest Advocate). Und wenn es um die Ausspähung ausländischer Staats- und Regierungschefs geht, müssten die Entscheidungen »mit großer Sorgfalt getroffen« werden, unter Abwägung diplomatischer und wirtschaftlicher Folgen. Wirtschaftsspionage sollte tabu sein. Informationen über USA-Bürger, die ungeplant bei der Überwachung im Ausland anfallen, dürften nicht mehr vor Gericht verwendet werden.

Der NSA soll zudem untersagt werden, von Unternehmen den Einbau von »Hintertüren« in ihrer Software zu verlangen, weil so auch Online-Kriminellen Tür und Tor geöffnet werden könnte. Wie die »New York Times« am Mittwoch enthüllte, könne die NSA auch Computer anzapfen, die gar nicht online sind. Voraussetzung sei, dass spezielle Funkwanzen von Agenten oder nichts ahnenden Nutzern installiert werden. Diese Sender würden entweder in die Computer eingebaut oder in USB-Sticks oder Steckern versteckt. Die NSA-Software werde auch über Netzwerke installiert. Rund 100 000 Computer habe der Geheimdienst auf diese Weise weltweit schon verwanzt. Diese Technologie diene dazu, gerade auf Rechner solcher Zielpersonen zuzugreifen, die sich einer digitalen Überwachung entziehen wollten.

Bei aller Mahnung zur Balance haben Obamas Experten die international kritisierten massiven Überwachungsprogramme letztlich verteidigt, denn sie seien geeignet, »eine katastrophale Attacke gegen die USA abzuwenden«, so Michael Morell, der frühere Vizechef des Auslandsgeheimdienstes CIA. Die Metadatenspeicherung müsse nur ein Mal zur Abwehr eines Anschlags führen, damit sich der Aufwand gelohnt habe. Bisher hat die massenhafte Telefonüberwachung durch die NSA nach Analyse der New America Foundation nur sehr wenig dazu beigetragen, Terrorattacken zu vereiteln. Die Denkfabrik hat 225 Fälle seit den Anschlägen vom 11. September 2001 untersucht. Das Problem der Anti-Terrorspezialisten sei, dass sie schon »die Informationen, die sie mit herkömmlichen Techniken gewonnen haben, nicht ausreichend verstehen oder weitreichend teilen«, heißt es in der Studie.

**** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 16. Januar 2014


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