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Keine Ermittlungen gegen NSA?

Generalbundesanwalt kündigt "Erklärung" an / Opposition empört über Grundrechtsbruch

Von Vincent Körner *

Gegen die flächendeckende Überwachung der Bürger in Deutschland durch US-Geheimdienste soll es keine Ermittlungen geben. Wie Medien berichten, plant der Generalbundesanwalt eine Erklärung.

Die Opposition hat sich empört über Berichte gezeigt, denen zufolge die Bundesanwaltschaft keine Ermittlungen wegen der massenhaften Bespitzelung von Bürgern durch die Geheimdienste NSA und GCHQ einleiten will. Dies wäre ein »beispielloser Akt der Rechtsbeugung«, sagte Linksparteichef Bernd Riexinger. »Damit würde amtlich festgestellt, dass die größte Grundrechtsverletzung in der Geschichte der Bundesrepublik juristisch unaufgearbeitet bleibt.« Riexinger forderte die Bundesregierung auf offenzulegen, ob im Hintergrund Druck zur Einstellung der Ermittlungen ausgeübt wurde. Die Bundestagsvizepräsidentin und Linken-Abgeordnete Petra Pau sagte im Kurznachrichtendienst Twitter, würden sich die Berichte über das Nicht-Vorgehen des Generalbundesanwalts bestätigen, so verlasse dieser »den Boden des Grundgesetzes«. Ihr Fraktionskollege und Innenexperte Jan Korte sprach von einem »rechtsstaatlichen Offenbarungseid des Generalbundesanwalts«.

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele teilte am Mittwoch mit, er habe beantragt, den Generalbundesanwalt in den Rechtsausschuss des Bundestages zu laden. Dieser solle »dort sein Tun rechtfertigen«. Der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, stellte am Mittwoch im Gespräch mit »Spiegel Online« Ranges Anhörung vor dem Gremium in Aussicht.

Auch Netzaktivisten kritisierten den bisher nicht offiziell bestätigten Verzicht des Generalbundesanwalts auf ein Ermittlungsverfahren scharf und kündigten rechtliche Schritte an. Auf Empörung stieß vor allem die Begründung, es gebe keine Möglichkeit, an belastbares Material über die Aktivitäten der anglo-amerikanischen Geheimdienste in Deutschland zu kommen. »Wie will der Generalbundesanwalt denn das wissen, wenn es noch nicht einmal Ermittlungen gegeben hat«, sagte die Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Constanze Kurz. Der Club hatte wegen der Ausspähung Strafanzeige gestellt. Man warte die Zustellung der Entscheidung ab und werde dann Rechtsmittel einlegen, sagte Kurz.

Auch der Verein Digitalcourage, der ebenfalls Anzeige erstattet hatte, berät nach eigenen Angaben über Rechtsmittel. Der Referent des Vereins Digitale Gesellschaft, Volker Tripp, erklärte, mit dem Zeugen Edward Snowden und die durch ihn offengelegten Dokumente seien ergiebige Beweismittel greifbar. »Angesichts dessen einen Anfangsverdacht zu verneinen, ist entweder Realitätsverweigerung oder Rechtsbeugung.«

Zuvor hatten »Süddeutsche Zeitung« sowie WDR und NDR unter Berufung auf Behördenkreise berichtet, dass die Bundesanwaltschaft keine Möglichkeiten sehe, an belastbares Material über die Aktivitäten des US-Geheimdienstes NSA und des britischen Geheimdienstes GCHQ zu kommen. Die Anklagebehörde in Karlsruhe hatte zwei Vorwürfe geprüft: Einer betraf das massenhafte Ausspähen der Bürger in Deutschland, der andere den konkreten Vorwurf, dass jahrelang ein Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört wurde.

In einer Stellungnahme teilte der Generalbundesanwalt der dpa mit, es werde bald eine Entscheidung bekanntgegeben, in der auch die wesentlichen Gründe dafür dargelegt werden. Bislang hätten einer abschließenden Bewertung noch einige offene Anfragen und Abklärungen entgegengestanden. Dazu gehörte auch die Frage, ob die große Koalition einer Befragung von Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden in Berlin zustimmen werde. Die Regierung hatte das Anfang Mai abgelehnt.

Auch mehrere Bürgerrechtsgruppen hatten Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gegen die Bundesregierung und Geheimdienstmitarbeiter erstattet. Die Internationale Liga für Menschenrechte, der Chaos Computer Club und der Verein Digitalcourage werfen der Bundesregierung und den hiesigen Geheimdiensten vor, mit der NSA zusammengearbeitet und Daten weitergegeben zu haben.

* Aus: neues deutschland, Freitag 30. Mai 2014


NSA: Keine Ermittlungen, aus »Beweismangel«

Generalbundesanwalt gibt wohl auf, bevor es losgeht. Heftige Kritik an seiner Arbeit **

Generalbundesanwalt Range wird wegen der NSA-Affäre wohl keine Ermittlungen einleiten. Noch gibt es keine offizielle Entscheidung. Doch Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR berichteten, Range wolle auf ein Verfahren verzichten - aus Mangel an belastbarem Material. Aus Kreisen der Bundesanwaltschaft hieß es demnach, weder Zeugen noch Dokumente stünden zur Verfügung.

Diese Ankündigung stößt bei Netzaktivisten und Opposition auf heftige Kritik. Linke und Grüne forderten ein Eingreifen von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Range soll sich vor dem Rechtsausschuß des Bundestages erklären, möglicherweise auch vor dem NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestags. Netzaktivisten, die wegen der Geheimdienst-Spähaktionen Strafanzeige gestellt hatten, kündigten weitere rechtliche Schritte an.

Der US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) und andere ausländische Nachrichtendienste sollen massenhaft Daten deutscher Bürger ausgeforscht haben. Die NSA hörte wohl auch über Jahre das Handy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ab. Mehrere Bürgerrechtsgruppen hatten deshalb Strafanzeige erstattet. Die Anklagebehörde in Karlsruhe prüfte in den vergangenen Monaten beide Vorwürfe.

»Allein die Behauptung, es sei kein belastbares Material über die Aktivitäten von NSA und GCHQ zu bekommen, ist schier unglaublich«, sagte Linke-Fraktionsvize Jan Korte. Dies sei eine weitere »Arbeitsverweigerung« in Sachen NSA-Aufklärung. Linke-Chef Bernd Riexinger sprach von »Rechtsbeugung«. Es könne nicht sein, daß der schwere Grundrechtseingriff folgenlos bleibe, erklärte Martina Renner, Linke-Obfrau im NSA-Ausschuß.

Die Behauptung, es gebe »keine belastbaren Beweise«, sorgte auch bei den Netzaktivisten, die die Prüfung angestoßen hatten, für Empörung. »Wie will der Generalbundesanwalt denn das wissen, wenn es noch nicht einmal Ermittlungen gegeben hat?«, fragte die Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Constanze Kurz.

** Aus: junge Welt, Freitag 30. Mai 2014


NSA bleibt unbehelligt

Bundesanwalt will sich nicht mit Geheimdiensten anlegen / Opposition empört ***

Edward Snowden möchte gern nach Hause – in die USA. Der Whistleblower und frühere Geheimdienst-Mitarbeiter hat sich in der Nacht zum Donnerstag in einem Interview im US-Sender NBC ausführlich geäußert – darüber, dass er als »Patriot« die Machenschaften der Geheimdienste enthüllte, auch dazu, dass die US-amerikanische Öffentlichkeit entscheiden müsse, ob für ihn »Amnestie oder Gnade« in Frage komme. Snowden hält sich seit knapp einem Jahr an einem geheimen Ort in Moskau auf, sein Asylstatus endet Ende Juli zunächst. Ein Leben in Russland habe er eigentlich nicht vorgesehen, so Snowden gegenüber der NBC.

Die US-Regierung blieb indes bei ihrer bisherigen Linie. Außenminister John Kerry sagte, der inzwischen 30-Jährige habe »sein Land verraten«, er solle sich »wie ein Mann verhalten« und der Justiz stellen. Vor dieser droht ihm schwere Strafe.

Die Geheimdienste kommen dagegen günstiger weg – jedenfalls in Deutschland. Die haben zwar, so sagt es nicht nur Snowden, in den USA einen »massiven Bruch« der Verfassung begangen und auch »die verfassungsgemäßen Rechte jedes Bürgers in Deutschland verletzt«. Doch ermitteln will der deutsche Generalbundesanwalt Harald Range gegen die NSA und den britischen Partnerdienst GCHQ offenbar nicht. Mehrere netzpolitische Organisationen hatten Anzeige gegen die Geheimdienste wegen der massenhaften Ausspähung von Bürgerdaten in Deutschland gestellt – dass auch das Mobiltelefon der Bürgerin Angela Merkel dabei war, sorgte für zusätzliches Medienecho. Doch Range meint, so haben es am Mittwoch mehrere Medien berichtet, er sehe keine Möglichkeiten, an belastbares Material über die Aktivitäten von NSA und GCHQ zu kommen. Diese Begründung hat nicht nur bei Netzaktivisten Empörung hervorgerufen. Abgesehen davon, dass längst 150 aussagekräftige Dokumente über die Überwachungswut der Dienste aus dem Snowden-Fundus öffentlich zugänglich sind, hat sich der Generalbundesanwalt laut netzpolitik.org nicht einmal um eine Stellungnahme bei dem Whistleblower bemüht.

Die Linkspartei spricht von einem »rechtsstaatlichen Offenbarungseid« und einem »beispiellosen Akt der Rechtsbeugung«, der Grüne Hans-Christian Ströbele beantragte, den Generalbundesanwalt in den Rechtsausschuss des Bundestages zu laden. Dieser solle »dort sein Tun rechtfertigen«.

*** Aus: neues deutschland, Freitag 30. Mai 2014


Teilen, nicht Schenken

Uwe Kalbe über den Verzicht auf Ermittlungen gegen die NSA ****

Vor dem Bundesverwaltungsgericht blieb die Beweislast am Kläger selbst hängen. Ohne Nachweis der eigenen Bespitzelung könne der Rechtsstaat nichts unternehmen. Und nun die Kehrseite der Medaille: Beim Nachweis der Bespitzelung kann der Rechtsstaat auch nichts tun. Der Generalbundesanwalt nimmt trotz flächendeckender Bespitzelung durch NSA und britischen Geheimdienst keine Ermittlungen auf. Kann er angeblich nicht, weil er an keine beweiskräftigen Fakten herankommt. Dies ist eine hochamtliche Kapitulationserklärung, die Bespitzelung wird ja nicht bezweifelt. Das heißt dann wohl zugleich für beide obige Fälle, dass der Rechtsstaat erst dann Rechtsstaat werden kann, wenn ihm die Rechtsverletzungen mundgerecht zur wohlwollenden Verdauung serviert werden.

Vom System der Gewaltenteilung bliebe dann nicht viel – denn geteilte Macht heißt ja nicht »verschenkte« Macht. Angeblich ist die parlamentarische Macht über Geheimdienste gerade Bedingung und Unterschied zu Geheimdiensten in Diktaturen. Zugleich ist die Daseinsberechtigung von Ermittlungsbehörden in Frage gestellt, deren Aufgabe ja in der Ermittlung, nicht in der Verdauung von Fakten besteht. Vor allem ist die Daseinsberechtigung des Generalbundesanwalts in Frage gestellt, oder besser: die des Amtsinhabers.

Es sei denn, politischer Druck führt zu der Kapitulation. Damit wäre dann auch eine letzte Illusion zum Teufel – die nämlich von der Unabhängigkeit der Justiz.

**** Aus: neues deutschland, Freitag 30. Mai 2014 (Kommentar)


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