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Sorgt Snowden für neue Eiszeit?

USA und Russland streiten um Asylgewährung / Weitere Enthüllungen zu Überwachungsprogrammen

Von Olaf Standke *

Der Whistleblower Edward Snowden ist im russischen Asyl untergetaucht. Zurück bleibt ein handfester Konflikt zwischen Moskau und Washington.

Dass die wartenden Journalisten in Washington nach dem Gespräch des US-Präsidenten mit seinem jemenitischen Amtskollegen weniger am Stand der bilateralen Beziehungen interessiert waren, überraschte nicht. Doch mehr als ein »Ich danke allen« und das berühmte Obama-Lächeln bekamen sie nicht als Antwort auf ihre Fragen nach Edward Snowden. Da wurde Jay Carney, Sprecher des Weißen Hauses, schon deutlicher: Zutiefst enttäuscht sei man über die Asylgewährung Russlands. Und wenn sich auch die Pläne für eine Teilnahme am G 20-Gipfel Anfang September in St. Petersburg nicht verändert hätten, die Zweckmäßigkeit des unmittelbar danach geplanten amerikanisch-russischen Gipfels in Moskau müsse man nun prüfen.

Eine Sprecherin des US-Außenministeriums stellte zudem ein Treffen der Verteidigungs- und Außenminister beider Länder am 9. August in Washington infrage. Das zeitweilige Asyl für den ehemaligen Geheimdienstler und Whistleblower unterhöhle auch die Zusammenarbeit der Rechtsschutzorgane beider Länder, die sich nach dem Terroranschlag auf den Boston-Marathon verstärkt habe. Botschafter Michael McFaul hat sich am Freitag erst einmal mit Juri Uschakow getroffen, dem ranghöchsten diplomatischen Berater Präsident Wladimir Putins, der bisher keine größeren Schäden befürchtet.

Das alles ist für einen alten Haudegen wie den Republikaner John McCain, einen der einflussreichsten Senatoren, eine viel zu zahme Reaktion. Er forderte gestern einen ganzen Maßnahmenkatalog als Antwort auf die »Ohrfeige für alle Amerikaner« – von der umfassenden Installierung des Raketenschilds in Europa und aktiveren Bemühungen um einen schnellen NATO-Beitritt Georgiens bis zur Unterstützung der russischen Opposition und der massiven Erweiterung der sogenannten Magnitski-Liste, die bislang die Namen von 18 russischen Bürger umfasst, denen die Einreise in die USA verboten ist. »Russlands Entscheidung ist ein feindlicher Akt gegen die USA«, empört sich das »Wall Street Journal«. Nur braucht man diesen Feind eben auch für die Lösung diverser internationaler Krisen und Konflikte.

Russland hat jegliche Kritik zurück- und Washington die Schuld zugewiesen: »Indem sie die Fluchtwege verschlossen haben, ließen die USA Moskau keine Wahl«, twitterte der Chef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Alexej Puschkow am Freitag.

Wo sich Snowden zur Zeit aufhält, ist nicht bekannt. Doch könne er sich frei bewegen und habe auch schon entschieden, wo er leben wolle, sagt sein Anwalt Anatoli Kutscherena. Der IT-Experte, der auch schon Arbeitsangebote erhalten habe, etwa vom größten russischsprachigen sozialen Netzwerk VKontakte, brauche aber erst einmal einen »Anpassungskurs« und werde sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder an die Öffentlichkeit wenden.

Derweil sorgt Snowden weiter für Enthüllungen. Wie der Londoner »Guardian« mit Berufung auf seine Dokumente berichtet, hat die US-Regierung in den vergangenen drei Jahren mindestens 100 Millionen Pfund (etwa 115 Millionen Euro) an den britischen Geheimdienst GCHQ gezahlt, um sich Zugriff auf dessen Überwachungsprogramme zu erkaufen. Das hatte die Londoner Regierung bisher zurückgewiesen. Andere Dokumente sollen belegen, dass private Telekommunikationsanbieter eng mit dem US-amerikanischen Geheimdienst NSA zusammenarbeiten. Vodafone Deutschland und die Deutsche Telekom haben inzwischen jede Beteiligung an Abhöraktionen ausländischer Geheimdienste strikt zurückgewiesen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 3. August 2013


Dokumentiert: Erklärung von Wikileaks

Die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte am Donnerstag ein Statement zum erfolgreichen Asylantrag des Whistleblowers Edward Snowden in Rußland:

"Das Recht wird siegen"

1. August 2013, 16 Uhr GMT

Heute, Donnerstag, den 1. August, um 15.50 Uhr Moskauer Zeit wurde Edward Snowden befristetes Asyl in Rußland gewährt. Er verließ den Moskauer Flughafen Scheremetjewo gemeinsam mit Sarah Harrison, Mitarbeiterin und Rechtsberaterin von WikiLeaks, die ihn während seines 39tägigen Aufenthalts in der Transitzone begleitet hatte und dies weiterhin tut. Frau Harrison war während der gesamten Zeit bei ihm geblieben, um seinen Schutz und seine Sicherheit zu garantieren, auch während seiner Ausreise aus Hongkong. Sie verließen den Flughafen gemeinsam in einem Taxi und steuern nun einen sicheren, geheimen Ort an.

Am 16. Juli bat Herr Snowden um zeitweises Asyl in Rußland. Trotz des fortgesetzten Drucks aus den Vereinigten Staaten von Amerika, die seither versuchen, sich unter Verletzung des UN-Protokolls über die Rechte von Flüchtlingen in diesen souveränen Prozeß einzumischen, hat Rußland das Richtige getan und Herrn Snowden vorübergehend Asyl gewährt. Die von der Russischen Föderation ausgestellte Urkunde über zeitweises Asyl gilt für ein Jahr und gibt Herrn Snowden das Recht, in Rußland zu leben und zu reisen. Dort kann er nun in Sicherheit seine nächsten Schritte planen. Bei der Entgegennahme seiner Asylurkunde sagte Herr Snowden: »Während der vergangenen acht Wochen wurden wir Zeugen, wie die Regierung Obama internationalen oder heimischen Gesetzen den Respekt verweigerte. Aber am Ende wird das Recht siegen. Ich danke der Russischen Föderation, daß sie mir in Übereinstimmung mit ihren Gesetzen und internationalen Verpflichtungen Asyl gewährt.«

WikiLeaks, obwohl eine auf Veröffentlichungen spezialisierte Organisation, kämpft auch für die Rechte und den Schutz journalistischer Quellen und hat daher eine führende Rolle dabei übernommen, Herrn Snowden dabei zu helfen, seine Sicherheit zu garantieren. Herr Snowden, ein amerikanischer Bürger, wurde gezwungen, aus seinem Land zu fliehen, um, geschützt, der Öffentlichkeit die Verbrechen seiner Regierung vor Augen zu führen. Präsident Barack Obama, der mit einem Programm gewählt wurde, das den Schutz von Whistleblowern versprach, hat inzwischen mehr Whistleblower, die sich zu Aspekten der nationalen Sicherheit geäußert haben, verurteilt als alle anderen Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten zusammen. Diese äußerst aggressive Reaktion der US-Regierung verdeutlicht, daß Snowden kein faires Verfahren erwarten kann. [WikiLeaks-Gründer Julian] Assange sagte: »Dies ist ein weiterer Sieg im Kampf gegen Obamas Krieg gegen Whistleblower. Diese Schlacht wurde gewonnen, aber der Krieg geht weiter. Die Vereinigten Staaten können ihre Überwachung der Weltbevölkerung und die digitale Kolonisierung souveräner Staaten nicht fortsetzen. Die Öffentlichkeit wird das nicht länger hinnehmen. Whistleblower wird es weiter geben, solange, bis die Regierung ihren eigenen Gesetzen und ihrer eigenen Rhetorik folgt.«

WikiLeaks spricht Rußland seine Anerkennung dafür aus, daß es Snowdens Bitte erfüllt hat und ihn unterstützt. Und das, obwohl so viele andere Länder sich durch die Drohungen aus den USA derart gefährdet sahen, daß ihnen das unmöglich war. Während des gesamten Aufenthalts von Snowden [auf dem Moskauer Airport] war es ermutigend zu sehen, wie Bürger aus den Vereinigten Staaten, aus Rußland und der ganzen Welt Herrn Snowden unterstützt haben. Die Dankbarkeit von WikiLeaks gilt auch dem Flughafenpersonal, das trotz der widrigen Bedingungen geholfen hat, den ausgedehnten Verbleib von Herrn Snowden und Frau Harrison so angenehm und sicher wie möglich zu gestalten.

Herr Snowden und Frau Harrison, am 23. Juni mit einem Aeroflot-Flug aus Hongkong gelandet, hielten sich beinahe sechs Wochen im Airportgebäude auf. Sie waren für den kommenden Tag auf einen Anschlußflug gebucht. Herr Snowden beabsichtigte, in Lateinamerika um Asyl zu bitten.

Nachdem die Abreise [aus Hongkong] von Herrn Snowden bekannt geworden war, erklärte die Regierung der Vereinigten Staaten allerdings seinen Paß für ungültig, was eine Weiterreise unmöglich machte. Einige Wochen vor dem Asylantrag in Rußland verbrachten Herr Snowden und Frau Harrison damit, aus dem Bereich der Transitzone heraus mögliche Optionen für seine künftige Sicherheit auszuloten. Ohne Paß und ohne unmittelbare Angebote für den erforderlichen sicheren Transit war die Reise unmöglich. Es wurden mehr als 20 Asylgesuche an verschiedene Länder gestellt, um seine sichere Weiterreise zu garantieren. Während dieser gesamten Zeit unternahmen die Vereinigten Staaten regelwidrige und unverhältnismäßige Schritte, um Herrn Snowden davon abzuhalten, sein Recht auf Asylsuche wahrzunehmen: Das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten wurde zur Landung gezwungen, und politische und ökonomische Drohungen gegen Länder wurden ausgesprochen, die Herr Snowden um Hilfe gebeten hatte. Dies stellt eine Verletzung der UN-Resolution 2312 [verabschiedet am 14. Dezember 1967] dar, in der es heißt, »daß die Gewährung von Asyl (…) eine friedliche und humanitäre Handlung darstellt, die als solche von einem anderen Staat nicht als unfreundlicher Akt betrachtet werden kann«.

Trotz dieser Maßnahmen blieben Venezuela, Bolivien und Nicaragua standhaft und gewährten Herrn Snowden Asyl. Bei einem Treffen mit Anwälten und Menschenrechtsorganisationen am 12. Juli erklärte Herr Snowden, daß er Venezuelas Asylangebot annehme, obwohl die Einmischung der USA, zumindest vorläufig, dessen praktische Akzeptanz letztlich verhindere.

Die Regierung Obama hat durch ihren Umgang mit Bradley Manning, Thomas Drake, James Risen, James Rosen und anderen gezeigt, daß es für Whistleblower und Journalisten, die sich mit Fragen der nationalen Sicherheit beschäftigen, in den Vereinigten Staaten keinen sicheren Platz mehr gibt. WikiLeaks bittet die US-Regierung dringend, daß sie ihren Kurs korrigiert, diesen Trend umkehrt und ihre moralische Autorität wiederherstellt. Wir werden darin fortfahren, Herrn Snowden zu verteidigen und die Regierung der Vereinigten Staaten zu drängen, ihre Verfassung und internationales Recht zu respektieren.

[Zusätze in eckigen Klammern von Redaktion junge Welt]

* Aus: junge Welt, Samstag, 3. August 2013




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