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"Wir müssen die Berichterstattung in den Medien stoppen"

NSA-Chef Keith Alexander will Enthüllungen über Überwachungspraktiken verbieten lassen / Vorstandsvorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler fordert Asyl für Whistleblower Snowden


Im Folgenden dokumentieren wir einen Offenen Brief von Prof. Dr. Ulrich Bartosch, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), an Bundeskanzlerin Merkel und SPD-Vorsitzenden gabriel. Im Anschluss daran zitieren wir aus dem jüngsten Beitrag von Glenn Greenwald, einem engen Vertrauten von Edward Snowdon, in der britischen Zeitung "The Guardian".

Zeit zu Handeln

Prof. Dr. Ulrich Bartosch, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), wandte sich am Sonntag in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin und den SPD-Vorsitzenden:

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel, sehr geehrter Herr Gabriel,

im August hat die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), gemeinsam mit der Juristenorganisation IALANA und Transparency International Deutschland, den Whistleblowerpreis 2013 an Edward Snowden verliehen. Die neuesten Erkenntnisse bestätigen uns in dieser Entscheidung nochmals und erschüttern uns, weil sie die Bodenlosigkeit der gegenwärtigen Verhältnisse schonungslos offenbaren.

Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt zum eindeutigen politischen und menschlichen Handeln gekommen!

Der Vorstand der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler fordert die amtierende geschäftsführende und die von der künftigen Koalition neu zu bildende Bundesregierung auf, Edward Snowden unverzüglich eine sichere Einreise und einen sicheren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen (…). Er ist ein wichtiger und unseres Erachtens unverzichtbarer sachverständiger Zeuge für die dringliche Aufklärung und Aufarbeitung der aktuell bekanntgewordenen Ausspähaktionen US-amerikanischer und anderer Nachrichtendienste gerade auch in Deutschland. (…)

Nach unserem Eindruck ist Edward Snowden interessiert, seinen Wohnsitz in Berlin zu nehmen. Wir sehen es auch als dringende humanitäre Verpflichtung Deutschlands an, seine Übersiedlung zu ermöglichen und Edward Snowden hier bei uns eine sichere Lebensperspektive zu gewährleisten. Diesen notwendigen Schutz findet er in seinem Heimatstaat gegenwärtig nicht. Dort drohen ihm schwere Strafen, obwohl er sich um den Schutz von Bürger- und Menschenrechten sehr verdient gemacht hat.

Die VDW bekräftigt hiermit ihre »Berliner Erklärung zu den Bedingungen der Demokratie in der Digital-Welt«, die von 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gezeichnet wurde. (…)

Darin stellen wir fest: 1. Deutschland braucht schnell einen »großen Diskurs« unter gleichberechtigter Beteiligung der Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft, um über die aktuelle Situation aus den Perspektiven unterschiedlichster Expertise zu beraten.

2. Nach der Bundestagswahl muß umgehend eine neue, mit Parlamentarierinnen, Parlamentariern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern paritätisch besetzte Enquetekommis­sion zum »Schutz der Privatsphäre und der bürgerlichen Freiheiten« eingerichtet werden.

3. Deutschland muß sich für europäische und für globale Regelungen einsetzen, die sich den aktuellen Herausforderungen politischer, technischer und ökonomischer Entwicklungen der Digital-Welt stellen und die darauf zielen, demokratische Strukturen zu verteidigen und zu erneuern. Dazu gehört auch, unabhängiger von monopolistischen, zumeist US-amerikanisch dominierten Datenverarbeitungsstrukturen zu werden. Hierfür könnte ebenfalls eine Enquetekommission des Europäischen Parlaments den geeigneten Rahmen für den notwendigen öffentlichen Diskurs und die Entwicklung von tragfähigen Konzepten schaffen.«

Wir drängen die Verantwortlichen heute nochmals nachdrücklich, in diesem Sinne zu handeln.

* Aus: junge Welt, Montag, 28. Oktober 2013


Lehren aus dem Geheimdienstskandal ziehen!

Glenn Greenwald, ein enger Vertrauter von Edward Snowdon, verurteilt in einem Beitrag für den britischen "Guardian" die weltweiten Spionagetätigkeit von NSA, von der nicht nur Regierungen, sondern ganze Bevölkerungen betriffen sind. Sein Artikel vom 25. Oktober wird einer der letzten Beiträge für den Guardian sein, den er Ende des Monats verlässt.
Für Greenwald sind dies die wichtigsten drei Erkenntnisse aus der NSA-Affäre:
  • Bemerkenswert sei, dass der deutschen Bundeskanzlerin die NSA-Spionagetätigkeit so lange gleichgültig war, als "nur" die Bürger der Bundesrepublik ausgehorcht waren. Diese Haltung wandelte sich erst, als sie selbst betroffen war.
  • Plötzlich äußern sich alle (belauschten) westeuropäischen Regierungen dahingehend, dass sie froh seien über die Enthüllung des NSA-Skandals und dass sie daraus lernen wollten. Keine aber zeigt sich auch nur im mindesten bereit, den Whistleblower Snowden - der das alles aufgedeckt hatte - vor den Nachstellungen der US-amerikanischen Bwehörden in Schutz zu nehmen - beispielsweise durch ein Asylangebot.
  • Schließlich gibt es keinen Zweifel mehr, dass die USA mit ihrer Anti-Terror-Kriegs-Propaganda die Welt in die Irre geführt haben. Wenn es ihnen nur um das Aushorchen von (vermeintlichen) Terroristen ginge, warum müssen dann Wirtschaftskonferenzen, Ölfirmen, Minen- und Rohstoffministerien oder Regierungspolitiker verbündeter Staaten bespitzelt werden?
Im Original:

There are three points worth making about these latest developments
  • First, note how leaders such as Chancellor Angela Merkel reacted with basic indifference when it was revealed months ago that the NSA was bulk-spying on all German citizens, but suddenly found her indignation only when it turned out that she personally was also targeted. That reaction gives potent insight into the true mindset of many western leaders.
  • Second, all of these governments keep saying how newsworthy these revelations are, how profound are the violations they expose, how happy they are to learn of all this, how devoted they are to reform. If that's true, why are they allowing the person who enabled all these disclosures – Edward Snowden – to be targeted for persecution by the US government for the "crime" of blowing the whistle on all of this?
    If the German and French governments – and the German and French people – are so pleased to learn of how their privacy is being systematically assaulted by a foreign power over which they exert no influence, shouldn't they be offering asylum to the person who exposed it all, rather than ignoring or rejecting his pleas to have his basic political rights protected, and thus leaving him vulnerable to being imprisoned for decades by the US government?
    Aside from the treaty obligations these nations have to protect the basic political rights of human beings from persecution, how can they simultaneously express outrage over these exposed invasions while turning their back on the person who risked his liberty and even life to bring them to light?
  • Third, is there any doubt at all that the US government repeatedly tried to mislead the world when insisting that this system of suspicionless surveillance was motivated by an attempt to protect Americans from The Terrorists™? Our reporting has revealed spying on conferences designed to negotiate economic agreements, the Organization of American States, oil companies, ministries that oversee mines and energy resources, the democratically elected leaders of allied states, and entire populations in those states.
Des Weiteren greift Greenwald in scharfen Worten den Chef des Geheimdienstes NSA an, dessen Reaktion auf die weltweite Empörung über die NSA-Schnüpffelpraxis in einem Generalangriff auf die Pressefreiheit mündet. Diese Zitate sprechen für sich (bzw. gegen General Keith Alexander):

The head of the embattled National Security Agency, Gen Keith Alexander, is accusing journalists of "selling" his agency's documents and is calling for an end to the steady stream of public disclosures of secrets snatched by former contractor Edward Snowden.
"I think it's wrong that that newspaper reporters have all these documents, the 50,000 – whatever they have and are selling them and giving them out as if these – you know it just doesn't make sense," Alexander said in an interview with the Defense Department's "Armed With Science" blog.
"We ought to come up with a way of stopping it. I don't know how to do that. That's more of the courts and the policy-makers but, from my perspective, it's wrong to allow this to go on," the NSA director declared.

Der Artikel im Guardian erschien am 25. Oktober 2013 unter dem Titel: As Europe Erupts Over US Spying, NSA Chief Says Government Must Stop Media




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