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NSA lobt BND-Eifer

Geheime Akten bestätigen: Deutsche Dienste tief in Skandal verstrickt

Von René Heilig *

Der Verfassungsschutz hat bestätigt, dass ihm der US-Geheimdienst NSA eine Spionagesoftware zur Verfügung gestellt hat. Auch der BND scheint tiefer in die NSA-Affäre verstrickt, als die Regierung es bislang zugab.

Scheibchenweise und nur durch Medienrecherchen gezwungen geben die Spitzen der deutschen Geheimdienste Einzelheiten über die Verstrickung ihrer Dienste in die globale Spitzelaffäre des US-Militärgeheimdienstes NSA zu. Zuvor leugneten sie diese sogar gegenüber den Zuständigen im Parlament.

Nun gestand der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, dass man von der NSA Software bekommen habe. Dabei handelt es sich vermutlich um das System XKeyscore. Doch die Software werde nur getestet, nicht eingesetzt, beschwichtigte Maaßen gegenüber der »Bild am Sonntag«. Auch dementierte er, dass seine Behörde damit »in Deutschland Daten erhebt und an die USA weiterleitet oder von dort Daten erhält«.

Solche Dienstleistungen kann der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, nicht länger leugnen. Zumindest in »Einzelfällen« seien Datensätze an die NSA übermittelt worden. Ende April war eine zwölfköpfige hochrangige BND-Delegation bei der NSA und traf auf diverse Spezialisten für Datenbeschaffung, berichtet der »Spiegel«.

Geheime NSA-Papiere besagen angeblich, dass mit XKeyscore ein großer Teil der Datensätze aus Deutschland erfasst wird, auf die die NSA Zugriff hat. Auf Basis von Verbindungsdaten kann erkannt werden, welche Stichworte Zielpersonen in Internet-Suchmaschinen eingegeben haben. Zudem könnten Kommunikationsinhalte eingesehen werden. Das System könne mehrere Tage einen »full take« aller ungefilterten Daten speichern.

Offenbar hat sich die Zusammenarbeit mit der NSA gerade seit dem Amtsantritt von BND-Chef Schindler Ende 2011 intensiviert. In US-Unterlagen sei vom »Eifer« des Präsidenten die Rede. »Der BND hat daran gearbeitet, die deutsche Regierung so zu beeinflussen, dass sie Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer auslegt, um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheimdienst-Informationen zu schaffen«, hätten NSA-Mitarbeiter im Januar notiert, so der »Spiegel«.

Trifft das zu, hätte der Skandal unweigerlich deutsche Regierungsspitzen, also die sich ahnungslos gebende Angela Merkel sowie ihr Kanzleramt erreicht, das direkt zuständig ist für den BND und die Koordinierung aller Dienste.

Nachdem der ehemalige NSA-Mann Edward Snowden vor sechs Wochen die Enthüllungen zum globalen Spitzelskandal angestoßen hatte, denken Oppositionspolitiker über einen möglichen Untersuchungsausschuss im kommenden Bundestag nach. Der scheint notwendig. Offenbar haben Regierungen das für Geheimdienstaktivitäten zuständige Paramentarische Kontrollgremium sowie die Vertrauensleute des Haushaltsausschusses systematisch belogen.

Als Beleg steht auch die Aussage von Ex-NSA-Chef Michael Hayden im ZDF: Man sei nach den Anschlägen vom 11.9.2001 »sehr offen« zu den Freunden gewesen. Vom Skandal betroffen sind demnach also auch die damals regierende SPD und die Grünen. Dass sie jetzt Aufklärung fordern, ist für die CDU »verantwortungslose Heuchelei«. Der Datenschutzexperte der Bundestagslinken Jan Korte warnt: »Wenn sich die Regierung weiter jeglicher Aufklärung verweigert, muss von einem Staatsnotstand gesprochen werden.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 22. Juli 2013


Deutsche Dienste nutzen NSA-Spähsoftware

Laut Spiegel reger Austausch von Daten zwischen Bundesrepublik und USA **

Die Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des Bundesnachrichtendienstes (BND) bestätigten am Wochenende, daß ihre Behörden die NSA-Spähsoftware »XKeyscore« verwenden. Sie kann laut aktuellem Spiegel neben Verbindungsdaten zumindest teilweise auch Kommunikationsinhalte darstellen. Das BfV teste das Programm, setze es aber »derzeit« nicht für seine Arbeit ein, sagte Präsident Hans-Georg Maaßen der Bild am Sonntag. BND-Präsident Gerhard Schindler räumte in dem Blatt ein, daß der Auslandsgeheimdienst 2012 in Einzelfällen auch Datensätze deutscher Staatsbürger an die USA übermittelt habe.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann behauptete: »Das erschüttert die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin bis ins Mark.« Als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für Geheimdienste kündigte er an, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) zu einer weiteren Sondersitzung des Gremiums einzuladen. Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, forderte, Maaßen und Schindler zu beurlauben.

Laut Spiegel wird mit »XKeyscore« ein großer Teil der Datensätze aus Deutschland erfaßt, auf die die NSA Zugriff hat. Das Programm könne etwa auf der Basis von Verbindungsdaten sichtbar machen, welche Stichworte Zielpersonen in Internet-Suchmaschinen eingegeben haben. Über die Dauer der Zusammenarbeit gab der frühere NSA-Chef Michael Hayden im ZDF Auskunft. Nach seiner Darstellung hatten die USA ihre Kooperation mit den Europäern nach den Anschlägen vom 11. September 2001 massiv ausgeweitet und keinen Zweifel an den Zielen gelassen: »Wir waren sehr klar darüber, was wir vorhatten.« Damals regierte in Berlin eine SPD-Grünen-Koalition. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warf der Opposition »Heuchelei« vor.

Das Bundesinnenministerium weiß laut Focus bereits seit über 20 Jahren, daß die NSA Deutschland großflächig ausspioniert. 1992 habe das Ministerium Akten des MfS dazu eingezogen.

** Aus: junge Welt, Montag, 22. Juli 2013


Mittäter

NSA-Spionage und Aufklärung

Von Arnold Schölzel ***


Wer den Krieg will, bekommt ihn. Die Deutschen hatten nach 1945 in ihren zerstörten Städten eine Ahnung davon. Wer wie die Bundeskanzlerin des öfteren in der DDR erwogen hat, »in den Westen zu gehen«, wußte, worauf er sich einläßt: Auf einen Staat, der seit seiner Gründung auf Krieg getrimmt war.

Die Bundeswehr wirbt heute offen als weltweit einsetzbare Interventionsarmee um Nachwuchs. Als der damalige US-Außenminister Colin Powell 2003 dem UN-Sicherheitsrat von irakischen Massenvernichtungswaffen vorlog, war seine Quelle der BND. Der half beim Krieg ohne UN-Resolution mit Residenten im bombardierten Bagdad als eine Art Funkleitfeuer. Die deutsche oder die Justiz eines anderen Landes hat dies oder Ähnliches in Zusammenhang mit den US-geführten Kriegen der vergangenen 23 Jahre nie verfolgt. Das galt für den Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 ebenso wie für den längst nach Begründung und wegen seiner Führung mit terroristischen Methoden völkerrechtlich illegalen Afghanistan-Krieg und für die anderen Feldzüge bis in die Sahara und an die syrische Grenze. Auf den Amtseid wird gepfiffen. Es steht fest: Sie wollten und sie wollen Krieg.

Merkel und ihresgleichen, die den Westen im Osten begrüßten und das Regime permanenten Kriegs unter wechselnden Vorwänden – Terroristen, »Hitler von Bagdad«, Diktator, »Schlächter«, gescheiterter Staat – und mit konstanten Interessen nach strategischen Stützpunkten, nach militärischer Einkreisung von China und Rußland, nach Rohstoffen etc. bejahen, kann angesichts der damit verbundenen Verfassungsbrüche, der billigenden Hinnahme von Kriegsverbrechen, der Verhinderung juristischer Verfolgung hier und international eine Angelegenheit wie das bißchen Datenspionage durch die »befreundeten« Dienste nicht besonders interessieren. Sie haben ungerührt die längste Friedensperiode in Europa beendet. Ihr Eifer gilt allein dem Nachweis, daß DDR und Faschismus dasselbe sind und die DDR auch ohne Auschwitz und Weltkrieg das schlimmere System war.

Am heutigen Montag läuft in der ARD die Dokumentation »Töten per Joystick«. Sie berichtet, war vorab zu erfahren, daß 4700 Menschen bisher von US-Drohnen weltweit getötet wurden, daß die Mitglieder der US-Regierung die Anweisung hatten, unter allen Umständen dazu zu schweigen, daß Drohneneinsätze in Afrika und Teilen Asiens über deutschen Boden abgewickelt werden. Die Bundesrepublik, Frau Merkel und Co, sind vermutlich völkerrechtlich, auf jeden Fall politisch Mittäter. Für Drohnen, die ab 2016 auch von der Bundeswehr eingesetzt werden sollen, werden natürlich Unmengen Daten benötigt. Der Drohnenkrieg entspringt einem Kriegsunrechtsregime. Ohne die Außerkraftsetzung von Grundrechten kein staatlich angeordneter Mord. Von Überzeugungsmittätern Aufklärung zu erwarten, ist vergeblich. Bis der Krieg zurückkommt.

*** Aus: junge Welt, Montag, 22. Juli 2013 (Kommentar)


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