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Friedrich will Spionageaffäre aufklären

Innenminister reist in die USA / Opposition kritisiert Merkels Haltung bei Spähvorwürfen *

Antworten der USA auf drängende Fragen zu den Spähvorwürfen lassen auf sich warten. Nun reist Innenminister Friedrich nach Washington, um mehr zu erfahren. Er wirbt für Fairness gegenüber dem Verbündeten. Die Opposition indes schlägt andere Töne an: Sie kritisiert das Krisenmanagement von Kanzlerin Merkel.

Mit einem Kurzbesuch in Washington will Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den Spähvorwürfen auf den Grund gehen – und dabei auch deutlich werden. »Unter Freunden muss man Klartext reden können«, sagte er »Spiegel online« vor seiner Abreise am Donnerstag. Im großen Stil soll der US-Geheimdienst NSA deutsche Bürger und Einrichtungen ausgespäht haben. Heute wird Friedrich mit dem US-Justizminister Eric Holder und mit der für Terrorabwehr zuständigen Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, Lisa Monaco, darüber reden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach von einer »schwierigen Aufgabe« für ihren Kabinettskollegen. »Ich glaube nicht, dass mit dieser Reise die Aufklärung beendet ist«, sagte sie der Deutschen Presseagentur.

Friedrich erklärte vor seiner Abreise, flächendeckende Überwachung sei nicht verhältnismäßig. Zugleich beklagte er aber auch mangelnde Fairness gegenüber den USA in der Debatte. »Es ärgert mich, dass man sofort und ohne genaue Kenntnis jede Verdächtigung gegen unseren amerikanischen Verbündeten in die Welt setzen kann.« Das sei nicht fair. »Ohne die Hinweise der USA und die gute Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten hätten wir höchstwahrscheinlich Terroranschläge in Deutschland nicht verhindern können.«

Heftige Kritik äußerte gestern der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel an Kanzlerin Angela Merkel (CDU). »Ich finde es unerhört, dass die Kanzlerin achselzuckend hinnimmt, dass offenbar die Grundrechte von Millionen Deutschen durch amerikanische und britische Geheimdienste verletzt wurden«, sagte er »Spiegel online«. Merkel hatte zuvor in einem Interview mit der »Zeit« Verständnis für das Abhören von Telekommunikation durch Geheimdienste zum Zweck der Terrorbekämpfung gezeigt. Zudem verwies sie auf die Zuständigkeit ihres Kanzleramtschefs Ronald Pofalla für geheimdienstliche Belange. »Anscheinend versucht Frau Merkel jetzt, die politische Verantwortung auf ihren Kanzleramtschef abzuschieben«, sagte Gabriel dazu. »Die Dimension dieses Skandals ist so groß, dass niemand anders als die Kanzlerin persönlich dafür sorgen muss, dass die Grundrechte in Deutschland verteidigt werden.«

Die Linkenpolitikerin Petra Pau hat sich für eine Enquete-Kommission zur Demokratisierung der Demokratie ausgesprochen. Diese solle nach der Bundestagswahl eingesetzt werden und sich auch der »zwielichtigen Rolle aller Geheimdienste« zuwenden. »Ob Bankenmacht, EU-Krise oder Geheimdienstpraxis, sie alle haben einen gemeinsamen Nenner: Die viel gepriesene westliche Demokratie verkommt rasant zur wertlosen Fata Morgana«, sagte Pau.

Die Bundestagsvizepräsidentin nannte die Empörung deutscher Politiker anlässlich der Spionagevorwürfe gegen US-Nachrichtendienste »platt« und den Besuch von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in den USA, der zur Aufklärung beitragen soll, »matt« – Pau verwies dazu darauf, dass Bundesregierungen in der Europäischen Union erwirkt haben, »dass Passagiergastdaten (PNR), Bankendaten (SWIFT), Telekommunikationsdaten (Vorratsdatenspeicherung) erfasst und an alle ›befreundeten‹ Geheimdienste weitergeleitet« würden.

Von den Ergebnissen seiner Gespräche in den USA soll Friedrich dem Innenausschuss des Bundestages berichten. Am kommenden Mittwoch kommt der Ausschuss zu einer Sondersitzung zusammen. Der Ressortchef will in der nächsten Woche auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium Rede und Antwort stehen, teilte der Innenausschuss gestern auf Anfrage mit. Der Termin dafür steht noch nicht endgültig fest.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 12. Juli 2013


Liebreiz der Pandora

Hohe Erwartungen an den USA-Besuch Friedrichs

Von Uwe Kalbe **


Mit der liebreizenden Pandora ist Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich schwerlich zu verwechseln. Und doch scheint ihn jetzt eine seltsame Hoffnung zu begleiten, dass er bei seinem Besuch in den USA die Büchse der Pandora wieder schließen möge, die sich mit dem Internet und seiner Versuchung für die Geheimdienste geöffnet hat.

Begleitet von drängenden Mahnungen aus Deutschland erreichte Hans-Peter Friedrich (CDU) am Freitag das Weiße Haus in Washington, wo er zu Gesprächen über die Spähaffäre des US-Geheimdienstes zunächst mit der für Terrorabwehr zuständigen Sicherheitsberaterin Lisa Monaco zusammentraf. Anschließend wollte er mit Justizminister Eric Holder sprechen. Friedrich gehe es vor allem darum, »verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen«, sagte sein Sprecher Jens Teschke der dpa.

Vertrauen wiederherzustellen, das ist eigentlich nicht Sache des deutschen Innenministers, sollte man meinen. Dass aber die amerikanischen Gesprächspartner sonderliches Entgegenkommen zeigen würden, dafür gab es zunächst keine Hinweise. Bescheiden kündigte Friedrich in einem »Siegel-Online«-Interview kurz vor seiner Abreise an, es gehe ihm darum, »deutlich zu machen, dass wir die Angelegenheit in Deutschland ernst nehmen«. Zweitens wolle er »sehr deutlich machen, was wir unter Partnern und Freunden voneinander erwarten dürfen und müssen«.

Dass unter Freunden auch »Klartext« geredet werden solle, war eine Ergänzung Friedrichs, die SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht genügen dürfte. In einem Interview hatte dieser am selben Tag in scharfen Worten verlangt, mit den Amerikanern klar zu regeln, »unter welchen Bedingungen der Terrorbekämpfung wir nachrichtendienstliche Mittel einsetzen wollen und wo die Grenzen dafür sind, damit das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland weiter Gültigkeit hat«. Auf keinen Fall dürfe der Bundesinnenminister die Angelegenheit verharmlosen, insistierte Gabriel in seinem kämpferischen Interview.

Die markigen Sprüche von SPD-Politikern in diesen Tagen harmonieren nicht recht mit der Rolle von Sozialdemokraten wie Otto Schily, der einen von Bürgerrechtlern unverzeihlichen Beitrag zur Einschränkung der Bürgerrechte in Deutschland geleistet hat. Im Abwägen politischer Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und bürgerlichen Freiheitsrechten hat auch in Zeiten der rot-grünen Bundesregierung eine klare Verschiebung der Grenzen stattgefunden – auf Kosten der Freiheit. Nichtsdestotrotz referierte auch der damalige Kanzleramtschef und jetzige Fraktionschef der SPD im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, am Freitag darüber, dass jene Grenze »zwischen dem, was zur Sicherheit der Bürger erforderlich und was zur Gewährleistung von Freiheit notwendig« sei, stets beachtet werden müsse. Er habe die Vermutung, dass diese Grenzziehung in den USA in den vergangenen Jahren »nicht mehr stattgefunden« habe, sagte Steinmeier im WDR.

Immerhin werden in der deutschen Bundespolitik erste Vorschläge laut, wie dem Erfassungswahn beizukommen sein könnte. Gabriel äußerte in dem Interview erneut den Gedanken, dass der Datenschutzbeauftragte nicht länger dem Innenministerium zugeordnet bleiben dürfe – denn dies ergibt zweifellos einen Interessens- und Kompetenzkonflikt. Der Innenexperte der Linksfraktion im Bundestag Jan Korte legte mittlerweile einen 16-Punkteplan »für Transparenz und Datenschutz« vor, an dessen Spitze die Offenlegung der Kooperationen zwischen deutschen und US-Geheimdiensten, des Datentransfers über Europol und etwaiger Einflussnahme der USA auf die Arbeiten an der EU-Datenschutzgrundverordnung steht.

Als Pandora all die Übel aus ihrer Büchse entließ, schlug sie sie wieder zu, bevor auch die Hoffnung entwichen war. Erst als sie sie ein zweites Mal öffnete, kam auch diese in die Welt. Mag sein, dass die Risiken des Internets dereinst zu den beherrschbaren Übeln gezählt werden können – gegenüber seinen grenzenlosen Chancen. Die Hoffnung, dass Hans-Peter Friedrich oder gar irgendwelche Geheimdienste daran einen Anteil haben könnten, sind allerdings eng begrenzt.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 13. Juli 2013


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