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Freundschaftsdienste

Zur Geschichte der amerikanisch-deutschen Beziehungen im Bereich der Elektronischen Kriegführung

Von Klaus Eichner *

Seit Wochen beschäftigen die Aktivitäten der Geheimdienste wieder einmal die deutsche Öffentlichkeit. Medien und Politiker reagieren so, als ob diese Praktiken für sie absolut neu und einzigartig sind und als ob es sich nur um ein bißchen »Schnüffelei« handele.

Die Reaktionen weisen unter anderem auch auf einige Defizite im Politgeschehen Deutschlands hin. Zum einen sind das gravierende Mängel des so hochgelobten Systems der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste. Selbst die ausgesuchten und handverlesenen Parlamentarier in den entsprechenden Gremien sind nicht in der Lage, wesentliche Fragen zu stellen, die die Verantwortlichen in der Regierung zwingen könnten, Hintergründe der Geheimdienstzusammenarbeit zwischen den USA und der BRD zu offenbaren.

Zum anderen versagte bisher die vielgerühmte »vierte Macht« in ihrer Mehrheit bei der Informierung der Öffentlichkeit. Regierungspositionen werden meist nur nachgebetet, kaum einmal hinterfragt. Haben die investigativen Journalisten vergessen (oder darauf verzichtet), in ihre eigenen Archive zu sehen oder im Internet zu recherchieren?

Signal Intelligence

Aktionen der technischen Aufklärung waren seit Ende des Zweiten Weltkriegs Bestandteil der Aktivitäten der US-Geheimdienste in Deutschland. Während es zu Beginn vorwiegend die Erfassung von Funkverkehren und die Versuche ihrer Dechiffrierung sowie grenznahe Aufklärungsflüge waren, spielten später geheime Angriffe gegen die Nachrichtenverbindungen über Kabel, die Erfassung der Satellitenfunkverkehre sowie andere Methoden unter Einsatz von Hochleistungstechnik eine größere Rolle. Ausgehend von den ersten Erfahrungen der technischen Aufklärung im Zweiten Weltkrieg entwickelten alle Geheimdienste ganze Komplexe entsprechender Maßnahmen zur Aufklärung und Bekämpfung potentieller Gegner, die im deutschen Sprachgebrauch unter dem Begriff »Elektronische Kampfführung« (EloKa) zusammengefaßt wurden.

In den letzten Jahrzehnten wuchs die Bedeutung der »Elektronischen Kriegführung« (Electronic Warfare) ständig weiter an. Das entsprach der zum Teil sprunghaften Entwicklung der technischen Möglichkeiten für die Peilung, Erfassung, Auswertung sowie Analyse der dabei anfallenden Daten. Parallel dazu vervielfältigten sich die Schwierigkeiten eines effektiven Umgangs mit dem Informationsaufkommen in völlig neuen Größenordnungen.

Die EloKa wurde zu einem bestimmenden Faktor der modernen Kriegführung. Der Bereich der Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung, zusammengefaßt unter dem Begriff »Signal Intelligence« (SIGINT), gewann damit bei allen Aufklärungseinheiten der Teilstreitkräfte der westlichen und östlichen Militärbündnisse und bei ihren Nachrichtendiensten an Bedeutung und wurde entsprechend forciert.

In den heutigen Militärstrategien spielen komplexe Zusammenfassungen von Elementen der Elektronischen Kriegführung zu einem eigenständigen Waffensystem (Cyber Warfare) gemeinsam mit dem Einsatz von Aufklärungs- und Kriegsdrohnen und von nachrichtendienstlichen Spezialeinheiten eine eigenständige Rolle. Gegenwärtig sind alle Bereiche einer modernen Gesellschaft durch die Vernetzung von Informationstechnologien fast durchgängig von computergestützten Systemen abhängig, so daß eine Störung oder gar Ausschaltung dieser zum Zusammenbruch des jeweiligen Gegners führen würde.

Auch die Geheimdienste werden immer stärker von der Informationstechnologie abhängig. Experten gehen beispielsweise davon aus, daß nur circa 25 Prozent ihres Informationsaufkommens von geheimen Quellen erbracht werden. Davon wiederum stammen drei Viertel aus der Fernmelde- bzw. elektronischen Aufklärung. Die so entstehenden Datenmengen sind (wenn überhaupt) nur noch durch den Einsatz von Hochleistungscomputern beherrschbar. Mit den elektronischen Informationen wachsen aber auch die Möglichkeiten der Täuschung und Desinformation sowie die Anfälligkeiten für elektronische Störmaßnahmen.

Die UKUSA-Vereinbarung

Elemente der Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung wurden durch die britischen und amerikanischen Geheimdienste bereits im Zweiten Weltkrieg u.a. durch die Entschlüsselung einiger deutscher und japanischer Codes erfolgreich eingesetzt. Die britisch-amerikanischen Beziehungen auf diesem Gebiet beruhten auf dem »BRUSA Agreement« vom 17. Mai 1943. Darauf aufbauend schufen die amerikanischen Geheimdienste sehr frühzeitig einen Informationsverbund von Partnerdiensten. Bereits 1947 wurde das »United Kingdom – United States of America Agreement« zwischen den USA und Vertretern des britisch-dominierten Commonwealth abgeschlossen. Diese »­UKUSA-Vereinbarung« teilt die regionalen Zuständigkeiten für die SIGINT-Informationsbeschaffung zwischen der Partei ersten Ranges (First Party) – den Vereinigten Staaten – und den Parteien zweiten Ranges (Second Parties) – Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland – auf.

Später schlossen sich dieser Vereinbarung eine Vielzahl von Parteien dritten Ranges (Third Parties) an, die häufig eine größere Bedeutung in den Partnerdienstbeziehungen auf SIGINT-Gebiet erlangten als die Geheimdienste der »Second Parties«; so z.B. die NATO-Partner Deutschland, Dänemark, Norwegen, Länder wie Malaysia und Singapur; Japan, Südkorea, Israel, Taiwan, Südafrika; auch die Volksrepublik China wurde durch die Nutzung einer Großanlage im Pamirgebirge einbezogen. Dieses Vertragssystem ermöglichte den US-Geheimdiensten damit die Errichtung eigener beziehungsweise die Mitnutzung bestehender Peil-, Erfassungs- und Auswertungsstationen in allen bedeutsamen Regionen der Welt.

Die UKUSA-Vereinbarung enthält auch Regelungen zur Gestaltung des Informationsaustausches und zur innerstaatlichen Umsetzung der so erhaltenen Partnerdienstdaten. Damit sind die Grundsätze der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elektronischen Spionage allen beteiligten Regierungen seit Jahrzehnten bekannt.

Das UKUSA-System war Kind und Motor des Kalten Kriegs. Mit ihm sollte ein immer dichterer Aufklärungsring um die UdSSR und ihre Verbündeten gezogen werden. Sein ständiger Ausbau war Bestandteil des gigantischen Rüstungswettlaufes zwischen den Systemen; seine Ergebnisse wurden meist so verarbeitet, daß neue Impulse für den Rüstungswettlauf ausgelöst wurden. Das war insbesondere dann der Fall, wenn wieder einmal Entscheidungen über das Rüstungsbudget in den Parlamenten oder anderen Gremien der beteiligten Staaten anstanden.

Der zentrale Geheimdienst der USA für die ­SIGINT wird korrekt als »National Security Agency/Central Security Service« (NSA/CSS, umgangssprachlich nur als NSA abgekürzt) bezeichnet. Die NSA wurde aufgrund des Präsidenten-Memorandums »Communications Intelligence Activities« vom 24. Oktober 1952 als ein Geheimdienst des Verteidigungsministeriums gebildet. Mit einer Direktive aus dem Jahre 1972 wurde die zweite große Aufgabe der NSA – die zentrale Verantwortung für die Sicherheit der Kommunikationslinien der Regierung durch die Errichtung des Central Security Service (CSS) – festgelegt.

Das Hauptquartier der NSA befindet sich in Fort George Meade/Maryland. Der Personalbestand wird mit rund 40000 Mitarbeitern in der Zentrale und 150000 Mitarbeitern im weltweiten Einsatz angegeben. Das Jahresbudget beträgt rund zehn Milliarden US-Dollar.

Seit 2010 ist der Direktor der NSA außerdem für das das »Cyber Command« der US-Streitkräfte verantwortlich, in dem die elektronische Kriegführung des US-Militärs konzipiert und geleitet wird. Für die Zusammenfassung und Verarbeitung von massenhaft gesammelten Daten der US-Aufklärung soll noch im Jahr 2013 das sogenannte Utah Data Center (im Original: Comprehensive National Cybersecurity Initiative Data Center) im Camp Williams bei Bluffdale/Utah eingeweiht werden. Geschätzte Baukosten: 1,7 Milliarden Dollar.

Seit der Bildung der NSA wurde es zur Regel, daß alle Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung mit ihr abgestimmt und meist auch dort erstmalig erprobt wurden. Damit waren alle Hochleistungscomputer vorerst in der NSA-Zentrale eingesetzt. Zudem nahm dieser Geheimdienst auf die technische Entwicklung Einfluß, womit ihm jederzeit der Zugang zu allen Sicherheitssystemen der Hard- und Software gewährt wurde – entweder durch legale Vereinbarungen oder auf illegalem Wege.

Die NSA-Zentrale unterhält ein europäisches Hauptquartier (NSA/CSS Europe) mit seinem Stab im Europakommando der US-Streitkräfte (USEUCOM) in Stuttgart/Vaihingen. Außenstellen des Geheimdiensts operierten in den Großstationen Augsburg und in Berlin (Teufelsberg). Für die speziellen Kontakte zu Großbritannien im Rahmen der UKUSA-Vereinbarung existierte in London ein Büro für Sonderverbindungen (Special United States Liaison Office, kurz ­SUSLO).

Die weltweiten Informationsinteressen der NSA wurden bereits Anfang der 1980er Jahre durch ein umfangreiches Dokument mit der Bezeichnung »National SIGINT Requirements List« (NSRL) bekannt.[1] In ihm wurden akribisch die Interessen aller amerikanischen Geheimdienste sowie einzelner ihrer Strukturen, aber auch die Wünsche anderer Regierungsorgane, so des Weißen Hauses, des Außen- oder Energieministeriums nach spezifischen Informationen zu bestimmten Regionen und Ländern weltweit festgehalten. Im einzelnen betraf das die dortige Außen-, Innen-, Wirtschaftspolitik, die Vorkommen an strategischen Rohstoffen; die Situation bei den Streitkräften, den Besitz an Massenvernichtungswaffen, die Grundlagenforschung (vor allem jene Bereiche, aus denen auch für die Vereinigten Staaten Überraschungseffekte durch potentielle Gegner oder Partner entstehen konnten), die spezielle Rüstungsforschung, die Energiepolitik (besonders Kernenergieforschung u.ä.) und in der Regel auch die Tätigkeit der Geheimdienste der Länder.

Aus diesem Dokument war deutlich zu ersehen, wie stark die Interessen der USA an der Aufklärung und Bearbeitung der eigenen Verbündeten waren. Äußerst umfangreich wurden Informationswünsche zu Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Kanada oder der BRD fixiert, insbesondere deren Umfang und Detailliertheit in bezug auf Frankreich und die BRD waren hervorstechend.

Sondereinsätze

Am Anfang seiner Tätigkeit als Chef der zentralen Aufklärung (Director of Central Intelligence, kurz DCI) und Direktor der CIA (9. März 1977 bis 20. Januar 1981) verfaßte Admiral Stansfield Turner ein Memorandum der Geheimhaltungsstufe »DCI eyes only«, das nur den Spitzenkräften der US-Geheimdienste und der CIA zugänglich war. Darin sprach er von einem »größeren Bedarf an Informationen über Verbündete und Freunde«. Turner vertrat die Überzeugung, daß die unangenehmsten Überraschungen immer von den eigenen Freunden kommen.

Um diesem Anliegen konsequent nachzukommen, aktivierte Turner die Tätigkeit der »Division D«[2] der CIA, die sich – entweder durch legale Vereinbarungen oder auf illegalem Wege – mit der Umsetzung operativ-technischer Maßnahmen der SIGINT im Ausland befaßte. Dabei wurden die technischen Durchbrüche, die durch die NSA Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre erzielt wurden, mit den operativen Erfahrungen und Anforderungen der Tätigkeit der Stabsoffiziere der CIA vor Ort verbunden und somit in die unmittelbare Spionagetätigkeit integriert. Nach längeren Koordinierungsabsprachen kam es 1983 zur Bildung erster »Special Collection Elements« (SCE). Das waren Einsatzteams, die sich aus Kadern der »Division D« der CIA und den entsprechenden Partnern der NSA zusammensetzten.

Diese geheimen Einsatzgruppen waren zu jener Zeit in circa einem Drittel aller US-Auslandsvertretungen stationiert, nach verschiedenen Quellen in rund 45 der Botschaften und Konsulaten der USA. Schwerpunkt bildeten und bilden selbstverständlich die osteuropäischen Länder, aber nicht zuletzt gehörten und gehören auch akute und potentielle Krisenregionen zu den bevorzugten Einsatzzielen der SCE.

Die Leitung der US-Geheimdienste und der Nationale Sicherheitsrat definierten für die SCE zwei Richtungen von für deren Aktivitäten: erstens die Spionage gegen alle kommunistischen oder in sonstiger Weise nicht proamerikanischen Staaten; und zweitens die besonders sensibel auszuführenden Spionageoperationen gegen Freunde und Verbündete.

Sowohl Admiral Turner als auch der spätere CIA-Direktor William J. Casey haben betont, daß Operationen gegen Freunde und Verbündete als notwendig betrachtet und soweit wie möglich und notwendig ausgebaut werden sollten. Zu Turners Zeiten waren das angeblich einige wenige pro Jahr. Als Casey 1981 zu seiner Amtsübernahme entsprechende Untersuchungen anstellen ließ, war er überrascht, daß es sich um mehr als drei Dutzend laufender Maßnahmen handelte. Zu diesem Zeitpunkt lieferten SCE in Europa (besonders auch aus osteuropäischen Hauptstädten), im Nahen Osten und in Asien regelmäßig Mitschnitte von Beratungen hochrangiger Regierungsvertreter und von Telefongesprächen führender Politiker. Andere technische Anwendungen betrafen beispielsweise elektronische Raumüberwachungen ohne ein direktes Eindringen in die Räume, u.a. durch die Aufnahmen von Schwingungen der Fensterscheiben bei normalen Gesprächen mit Hilfe von Lasertechnik.

Selbstverständlich waren sich die Führungskräfte der US-Geheimdienste der Brisanz einer Tätigkeit gegen die eigenen Freunde und Verbündeten bewußt. Es konnten schwere Krisen in den zwischenstaatlichen und diplomatischen Beziehungen ausgelöst werden, wenn die globalen und tatsächlichen Ziele der Spionage festgestellt und dokumentiert worden wären. Die Risiken der Aufdeckung solcher Maßnahmen lagen jedoch nach Auffassung der Abwehrexperten fast ausschließlich in den eigenen Reihen. Sollten die eingesetzten technischen Hilfsmittel doch entdeckt werden, so würde jeder Verbündete oder Freund zuerst eine Spionageoperation des KGB oder von dessen Partnern vermuten.

Um 1987 wandte sich die CIA an den BND mit Bitte um Unterstützung. Die US-Geheimdienste wollten SCE auch in einigen Ländern einsetzen, in denen sie selbst nicht mit diplomatischen Vertretungen oder Auslandsresidenturen präsent waren, vorrangig in Libyen (und in drei weiteren Ländern). Daraufhin beantragte die Leitung des BND beim Auswärtigen Amt in Bonn die Genehmigung zur Einrichtung einer Auslandsresidentur vorerst in Libyen, um für die CIA diese Maßnahmen zu realisieren und natürlich an dem Informationsaufkommen zu partizipieren.

Ein weiterer Teil der internationalen Zusammenarbeit sind die vom SIGINT der amerikanischen Luftstreitkräfte in regelmäßigen Abständen organisierten sogenannten »Regenbogenkonferenzen«. Unter US-Federführung stellten dort Vertreter der entsprechenden Geheimdienststrukturen bzw. der Luftwaffe der einzelnen ­NATO-Länder neueste Entwicklungen in der Technik und in der Methodik und aktuelle Strukturveränderungenvor, berieten Möglichkeiten des Informationsaustausches.

Bei den »Regenbogenkonferenzen« gab es die politisch und völkerrechtlich so brisante Tatsache, daß auch Vertreter »neutraler« Staaten, beispielsweise des schwedischen Geheimdienstes, an Tagungen von NATO-Einrichtungen teilnahmen. Die Organisatoren waren angehalten, diese Tatsache selbst unter den Teilnehmern möglichst nicht publik zu machen.

Reaktion der UdSSR

All diese Entwicklungen blieben der östlichen Aufklärung nicht verborgen, der Informationsfluß aus den wesentlichen Komponenten der westlichen Spionagetätigkeit war fast durchgehend gewährleistet. Dazu einige Beispiele aus dem Bereich der technischen Spionage: Während des Koreakrieges kam der sowjetische Nachrichtendienst in Kontakt mit dem Mitarbeiter des britischen »Secret Intelligence Service« (SIS), George Blake. Dieser entwickelte sich zu einem Spezialisten für technische Aufklärungsoperationen gegen die Sowjetunion. In dieser Funktion war er u.a. an der Planung einer anglo-amerikanischen Operation gegen Kabelverbindungen des sowjetischen Oberkommandos in Berlin beteiligt – bekannt als »Spionagetunnel Altglienicke«. Während CIA und SIS diese Aktion als einen großen Erfolg feierten, hatte die sowjetische Seite durch George Blake von Anfang an Kenntnis über diese Aktion und bestimmte, welche Informationen der westlichen Seite gezielt zur Kenntnis gegeben wurden, und wann und wie die öffentlich wirksame Enttarnung des Spionagetunnels erfolgen sollte.

Von 1980 bis 1985 war der NSA-Kommunika­tionsspezialist und US-Bürger Ronald W. Pelton als Quelle der sowjetischen Aufklärung tätig. Pelton berichtete beispielsweise über das streng geheime Projekt »Ivy Bells«. Im Rahmen von Sonderoperationen der US-Marine hatte die NSA technische Möglichkeiten zur berührungsfreien Erfassung von Informationen aus besonders gesicherten Kabelverbindungen entwickelt, die u.a. bei illegalen U-Boot-Einsätzen gegen Unterseekabel der Sowjetunion im Ochotskischen Meer erprobt worden waren. Die Weiterentwicklung dieser Technik ermöglichte auch Einsätze gegen unterirdische und andere verkabelte Sonderverbindungen in verschiedenen Ländern.

Die Informationen von Ronald Pelton ermöglichten der sowjetischen Abwehr, rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten. 1986 wurde Pelton von einem US-Gericht zu dreimal lebenslänglicher Gefängnisstrafe wegen Spionage verurteilt.

Auf der Grundlage von Quelleninformationen und im Ergebnis der systematischen Überwachung der SCE-Aktivitäten in der UdSSR konnte die sow­jetische Abwehr einige überraschende Ergebnisse vorweisen. 1986/87 wurde durch die sowjetische Abwehr eine Operation der US-Geheimdienste zum Abhören einer unterirdischen Kabelstrecke im Raum Moskau aufgedeckt. Das Telefonkabel verband ein bedeutsames Objekt der Verteidigungsindustrie mit zentralen Stellen in Moskau. Die technischen Einzelheiten wurden durch die sowjetische Abwehr im Detail dokumentiert und die beteiligten Spezialisten der in der US-Botschaft stationierten CIA-Residentur zugeordnet. Zu diesem Zeitpunkt erinnerte die technische Ausrüstung der Botschaft der USA in Moskau mit den dort eingebauten technischen Mitteln und Möglichkeiten mehr an die eines Spionagesatelliten denn an die einer diplomatische Auslandsvertretung.

Die Möglichkeiten zum Abhören des Telefons- und des Funkverkehrs beispielsweise des Außenministeriums bestanden jedoch schon längere Zeit vor Bildung der SCE. Bekannt ist das Projekt »Gamma Guppy« der CIA zum Abhören der Gespräche führender sowjetischer Politiker über ihre Autotelefone.

Spionage in Berlin

Westberlin war für die westlichen Geheimdienste insgesamt, besonders auch für die elektronische Spionage, ein Eldorado. Die amerikanischen Dienste hatten mit der »Field Station Berlin« auf dem Teufelsberg im Grunewald und mit der Luftwaffenstation in Berlin-Marienfelde, Diedersdorfer Weg, zwei hocheffektive Einrichtungen zur Ausspähung des Ostens aufgebaut. Die britischen und französischen Geheimdienste wollten dem nicht nachstehen und bauten ihre Anlagen in Berlin-Gatow und -Reinickendorf auf. Insbesondere auf die amerikanischen Objekte konzentrierten sich die Abwehrmaßnamen der östlichen Seite, nicht zuletzt der Hauptverwaltung Auklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.

Der US-Unteroffizier James W. Hall berichtete der HVA ab 1984 aus dem Objekt »Teufelsberg« und Einrichtungen der elektronischen Spionage der USA-Geheimdienste in der BRD und weltweit. Er hatte Zugang zu allen Grundsatzdokumenten der NSA und nachgeordneter Geheimdienststrukturen. Damit hatte die östliche Aufklärung einen tiefen Einblick in Arbeitsprinzipien, Aufbau und technische Ausrüstungen der bedeutendsten Elemente der elektronischen Spionage der USA. Das betraf auch alle Dienstanweisungen zur Arbeit des Berliner Objektes, bis hin zur Modernisierungsplanung einschließlich des Jahrs 1995.

Ähnliche Ergebnisse erzielte die HVA zwischen 1983 und 1989 mit der Quelle Jeffrey Carney, der im Aufklärungsobjekt der US-Luftwaffe in Berlin-Marienfelde stationiert war. Carney lebte nach 1990 in Berlin-Friedrichshain. Am 22. April 1991 kidnappte ihn ein Einsatzkommando des Abwehrdienstes der US-Luftwaffe auf offener Straße und flog ihn illegal in die USA aus. Dort wurde er vor einem Militärgericht angeklagt und zu 38 Jahren Haft verurteilt. Nach zwölf Jahren Gefängnisaufenthalt wurde Jeffrey Carney begnadigt.

Nach der Enttarnung der Quelle James W. Hall im Jahre 1988 erfolgten Überprüfungen des gesamten Personals der US-Geheimdienste in Westberlin. Dabei wurde der Captain der US-Luftwaffe im Geheimdienst der elektronischen Aufklärung (Electronic Security Command) in Berlin-Tempelhof, John Vladimir Hirsch, verdächtigt, als Quelle der sowjetischen Aufklärung tätig gewesen zu sein.

In der Bundesrepublik Deutschland war der Bundesnachrichtendienst (BND) – insbesondere seine Abteilung II – Technik – der Hauptpartner der UKUSA-Vereinbarung [3]. Über Jahre hin waren aber auch spezielle Einheiten aller Teilstreitkräfte der Bundeswehr in das System eingebunden. Bereits nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen auf dem Territorium Deutschlands sehr früh abgestimmte Maßnahmen der elektronischen Ausforschung der potentiellen Gegner.

Der amerikanische militärische Nachrichtendienst Counter Intelligence Corps (CIC) hatte 1946 Experten des Geheimdiensts der faschistischen Wehrmacht in Bad Vilbel zusammengezogen, um über den Aufbau von Aufklärungsstationen zu beraten. Bereits 1948 – im Zusammenhang mit der Berlin-Blockade – unterhielt die Organisation Gehlen, der Vorläufer des BND, auf dem hessischen Schloß Kransberg eine Station zur Erfassung der Sprechfunkverbindungen sowjetischer Truppen und lieferte die Rohinformationen an US-General Curtis E. LeMay in Wiesbaden und US-Stellen in Berlin. Die Auswertung dieser Berichte trug nicht wenig dazu bei, die falsche Annahme über einen angeblich bevorstehenden sowjetischen Angriff beim amerikanischen Hochkommissar, General ­Lucius D. Clay, hervor zu rufen.[4]

1950 erarbeitete der ehemalige Wehrmachtsgeneral Adolf Heusinger, zu diesem Zeitpunkt Leiter der Auswertung bei der Organisation Gehlen, ein Dokument unter dem Titel »Gedanken über eine zukünftige deutsche Funkaufklärung«. Die Frontstellung der BRD an der Ostgrenze des westlichen Paktsystems ermöglichte sowohl eine intensive Nahaufklärung der militärischen Komponenten des Warschauer Vertrages als auch die strategische tief im Hinterland des potentiellen Gegners. Das nutzten neben dem BND auch Geheimdienste der westlichen Alliierten auf dem Territorium der BRD und Westberlins. In den 1980er Jahren gaben die US-Geheimdienste für den Betrieb ihrer SIGINT-Stationen [5] in Westberlin und entlang der Grenze zur DDR und Tschechoslowakei jährlich rund eine Milliarde US-Dollar aus. Ein Teil der Anlagen wurde erst nach 1990 Stück für Stück abgebaut.

SIGINT-Aktivitäten dienten ursprünglich dazu, militärische Informationen zu beschaffen, etwa zu Stärken und Gliederungen der Streitkräfte oder zum Einsatz neuer Waffensysteme, und hatten als zweiten Schwerpunkt die verschlüsselten diplomatischen Funkverkehre. Später verschoben sich die Prioritäten deutlich in Richtung der politischen und wissenschaftlich-technischen Aufklärung. Mit Beginn der Entspannungsprozesse, insbesondere der Abrüstungsverhandlungen und der vertrauensbildenden Maßnahmen, erhielt der Bereich SIGINT eine Doppelfunktion: Diese Arbeit blieb zum einen aktive Spionage, wurde aber auch zu einem unverzichtbaren Bestandteil der gegenseitigen Vertrauensbildung durch die Möglichkeiten der Verifizierung der beschlossenen Abrüstungsvereinbarungen.

Die Rolle der BRD

Unter den sozialdemokratischen Regierungen von Willy Brandt und Helmut Schmidt nahm die nationale und internationale Kooperation des BND auf dem Gebiet der elektronischen Aufklärung, insbesondere unter BND-Präsident Gerhard Wessel (1968 bis 1979), einen großen Aufschwung. Am 18. Oktober 1969 wurden die »Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst auf dem Gebiet der Fernmeldeaufklärung und Elektronischen Aufklärung« (intern als Zugvogel-Vereinbarung bezeichnet) in Kraft gesetzt. Demnach war der BND-Präsident im nationalen Maßstab für die Gesamtplanung, die Aufgabenverteilung und die Koordinierung der ­SIGINT zuständig. Damit hatte dieser Geheimdienst alle entscheidenden Fäden in der Hand. Das wurde in einer Vereinbarung vom August 1992 noch einmal bestätigt. Neben der Koordinierung aller Aktivitäten war dem BND die alleinige Verantwortung für die strategische Aufklärung zugeschrieben worden, die Bundeswehr mußte sich auf den operativen und taktischen Bereich beschränken.

Am 23. September 1993 kam es zu einer erneuten Vereinbarung, diesmal unter offizieller Beteiligung des Bundeskanzleramtes. Danach erhielt der BND das ausschließliche Recht zum Informationsaustausch mit den Partnerdiensten. Als eine Kombination zwischen den Erfordernissen der UKUSA-Vereinbarung für NATO-Staaten und der Tätigkeit des Verbindungsstabes der CIA zum BND operierte in der McGraw-Kaserne in München über Jahre eine spezielle Verbindungsgruppe unter der Bezeichnung »Combined Group Germany« (CGG). Dort waren Vertreter der amerikanischen und britischen Partnerdienste des BND auf dem Gebiet der ­SIGINT tätig. Die CGG residierte bis in die 1980er Jahre in einer Villa in Krailling nahe München und nahm später im obersten Stockwerk des Stabsgebäudes der McGraw-Kaserne eine ganze Etage in Anspruch. Über diese Gruppe erfolgte der ständige Informationsaustausch zwischen dem BND und den Geheimdiensten der USA und Großbritanniens. Die CGG war durch Standleitungen mit der BND-Zentrale in Pullach verbunden und unterhielt entsprechende Kommunikationskanäle mit den Zentralen der NSA und des britischen Geheimdienstes »Government Communications Headquarters« (GCHQ).

In den 1980er Jahren war die CGG in den Komplex der NSA-Field-Station Augsburg verlegt worden. Ihr Pendant auf seiten des BND erhielt die nicht sonderlich originelle Tarnbezeichnung »Bundeswehr-Austauschgruppe«.

Bad Aibling

Im Frühsommer 1973 richtete der BND eine Anfrage an den CIA-Residenten in München, Arthur Stimson. Der BRD-Geheimdienst äußerte den Wunsch, in der Field-Station Augsburg-Gablingen der NSA mehr als 70 Empfangsplätze und mehrere Peilplätze mitnutzen zu können. Die Abhörstation hatte im BND den Decknamen »Drehpunkt«. Im Februar 1974 erfolgte im Hauptquartier der NSA die feierliche Unterzeichnung des »Drehpunkt-Vertrags«. Der beinhaltete mehrere Bauvorhaben der »Fernmeldestelle Süd« der Bundeswehr und des BND im Objekt.

In Mietraching bei Bad Aibling, südlich von München, war bis 2004 eines der größten europäischen Zentren des SIGINT-Systems, das Regional SIGINT Operation Center (RSOC) oder auch Field Station F-81, angesiedelt. Das Gelände eines früheren faschistischen Fliegerhorstes war seit 1952 in amerikanischer Nutzung. 1988 baute der BND in der wenige hundert Meter entfernten Mangfall-Kaserne eine als »Fernmeldeweitverkehrsstelle der Bundeswehr« getarnte SIGINT-Station (der BND-interne Deckname des Objekts lautete »Seeland«) auf. Diese diente bis zu deren endgültiger Auflösung im September 2004 neben der Realisierung eigener Aufgaben (z.B. der Satellitenaufklärung) dem ständigen Informationsaustausch mit der US-Station. Anschließend erfolgte der Rückbau der SIGINT-Anlagen und ihre Verlagerung – teilweise in die größte europäische Anlage im britischen Menwith Hill nahe Leeds und vor allem in das neue NSA-Abhörzentrum bei Wiesbaden (mit Zwischenstation in Griesheim bei Darmstadt). Der Personalbestand betrug zwischen 750 und 1000 Mitarbeiter.

Der ständige Einsatz modernster Technik und der verstärkte Ausbau der größten Abhöranlagen Europas im britischen Menwith Hill ermöglichte den Rückbau der Anlagen in Bad Aibling. Seit dem Umzug werden von Großbritannien aus alle deutschen Fernmeldeverbindungen überwacht und ausgewertet. Bestandteil der Field Station in Bad Aibling war u.a. das im Jahr 2001 eingerichtete automatische Auswertungssystem (Document Exploitation System, kurz DOCEX), mit dem Texte aus 31 Sprachen übersetzt und ausgewertet werden können.

Aufschlußreich, aber auch etwas makaber, mutet angesichts der gegenwärtigen Schlagzeilen die Antwort der Bundesregierung vom 25. April 2000 auf eine kleine Anfrage [6] der FDP bezüglich der US-Station in Bad Aibling an: Ob durch die ­SIGINT Souveränitätsrechte verletzt wurden? Die Bundesregierung antwortete wie folgt darauf: »Mit dieser Frage ist offenbar die amerikanische ­Station Bad Aibling angesprochen. Diese Station wird zur Erfassung militärischer Hochfrequenz- und Satellitenverkehre betrieben, die für die außen- und sicherheitspolitische Lage der Vereinigten Staaten von Amerika sowie ihrer europäischen Partner von Relevanz sind. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden im übrigen auch dem Bundesnachrichtendienst zu Verfügung gestellt. Die von Bad Aibling ausgehende Aufklärung ist demnach grundsätzlich nicht auf private Telekommunikationsverkehre ausgerichtet. Die Arbeit der Station erfolgt auf der Grundlage des NATO-Truppenstatuts. Darin ist berücksichtigt, daß ein mißbräuchliches Vorgehen gegen die Bundesrepublik Deutschland nicht stattfindet. Ein solcher Einsatz wäre daher unzulässig. Von amerikanischer Seite ist mehrfach versichert worden, daß von Bad Aibling keine gegen die Interessen der BRD gerichteten Aktivitäten ausgehen. Die Bundesregierung hat keinen Anlaß, an diesen Versicherungen zu zweifeln.«

Wiesbaden

In den letzten Jahren kam es mehrfach zu Veränderungen in der Struktur und bei den Standorten des Geheimdienstes der US-Landstreitkräfte (­INSCOM) im Einsatzraum Europa. ­Der war am 1. Januar 1977 aus dem Zusammenschluß der bisherigen Strukturen der Militäraufklärung, der elektronischen Spionage und der Spionageabwehr des Heeres der USA gebildet worden.

1999 konzentrierte der ­INSCOM rund 50 Einheiten und Dienststellen im Raum Griesheim bei Darmstadt (im »Dagger Complex«). Mit einem Aufwand von 18 Millionen US-Dollar wurde dort dessen deutsches Hauptquartier aufgebaut. Auf den benachbarten August-Euler-Flugplatz verlegte ­INSCOM im Jahr 2003 unter der Projektbezeichnung »Icebox« Antennenanlagen aus Bad Aibling. Diese wurden zwischen 2006 und 2008 von Wiesbaden aus fernbedient betrieben und anschließend wieder zurückgebaut. Gegenwärtig soll im »Dagger Complex« noch das »European Cryptologic Center« mit rund 1100 Mitarbeitern tätig sein.

Im Augenblick bereitet INSCOM eine erneute Verlegung vor. Im Bereich des Europa-Hauptquartiers der US-Landstreitkräfte in der Lucius-D.-Clay-Kaserne in Wiesbaden-Erbenheim baut der Geheimdienst bis 2015 für 124 Millionen Euro ein sogenanntes »Consolidated Intelligence Center« (CIC) auf. Nach den bisher bekannten Dimensionen entsteht hier ein neues Abhörzentrum für Europa, ausgerüstet mit den modernsten Anlagen für die Erfassung von elektronischen Abstrahlungen aller Art und entsprechenden Kommunikationsanlagen.

Vordergründig soll das CIC Aufklärungsdaten für die Einsätze der dem Europakommando der US-Army unterstellten Einheiten beschaffen und auswerten – das betrifft Spionageinformationen aus über 50 Ländern – von Rußland bis Israel.

Die Bundesregierung ist über dieses Projekt ausreichend informiert, wie der BND-Präsident in einer Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages jetzt im Juli bestätigte. Im CIC wird die jahrzehntelange enge Zusammenarbeit der deutschen und amerikanischen Geheimdienste fortgesetzt.

Deutsche Wege

Für den BND gab aber auch viele Anzeichen, daß die Partnerdienstbeziehungen oft eine Einbahnstraße waren. Das führte wiederum zu typischen geheimdienstlichen Reaktionen. In mehreren hochrangigen Delegationsgesprächen hatten beispielsweise die Deutschen immer wieder gefordert, an dem Datenaufkommen der US-Geheimdienste aus deren Stationen in Westberlin, speziell zur DDR, im direkten Zugriff auf die Rohinformationen beteiligt zu werden. Freundlich, aber bestimmt lehnten die Amerikaner immer wieder ab und bestanden darauf, nur Ausgewähltes und Aufbereitets zu übergeben. Daraufhin hatte sich die Leitung des BND entschieden, ein eigenes, streng geheimes Aufklärungsobjekt mit Hilfe des französischen Geheimdienstes im Bereich der französischen Garnison »Cité Foch« in Berlin-Reinickendorf zu errichten. Höchste Geheimhaltung galt in erster Linie gegenüber dem amerikanischen Partner, der es nicht gern sah, wenn seine »Juniorpartner« eigene Wege gingen.

Und der BND war nicht zögerlich bei der Suche nach solchen Möglichkeiten. So nutzte der BND seit 1975 in Zusammenarbeit mit dem spanischen Geheimdienst »Oberste Zentrale für Verteidigungsinformationen« (CESID) ein Objekt im Ort Conil de la Frontera an der spanischen Mittelmeerküste zur elektronischen Spionage. Dort befindet sich der Knotenpunkt mehrerer Unterseekabel, die Europa mit Afrika und mit dem amerikanischen Kontinent verbinden. Gleichzeitig unterhält der spanische Kommunikationskonzern Telefónica ebenda eine Satellitenbodenstation.

Der Standort Conil war zugleich als ein Ausweichquartier des BND im Spannungs- bzw. Kriegsfall vorgesehen. Jedoch bestand die Hauptfunktion der Station »Eismeer«, so die Tarnbezeichnung im BND, in der massenhaften illegalen Erfassung von Informationen, die über die transatlantischen Unterseekabel in beide Richtungen flossen. Pikanterweise hatte das Projekt die Deckbezeichnung »Delikatesse«. Offiziell hat der BND die Verfügung über das Objekt 1992 an den spanischen Geheimdienst übergeben, dürfte sich aber die Rechte am weiteren Informationsaufkommen nachhaltig gesichert haben. In den fast zwanzig Jahren der direkten Nutzung der Station »Eismeer« dürften Milliarden von Daten über die europäischen und atlantischen Kommunikationspartner und über den Inhalt ihrer Informationen beim BND gespeichert worden sein.

Übrigens war und ist die Iberische Halbinsel ein begehrter Ausgangspunkt für weltweite Spionageaktivitäten. Seit 1953 besteht ein spanisch-amerikanisches Abkommen, das den USA die Errichtung eigener Stützpunkte auf dem Territorium Spaniens gestattet. In der US-amerikanischen Luftwaffenbasis Rota bei Cadiz und unweit der BND-Station »Eismeer« unterhält der Spionagedienst der US-Marine seit 1960 einen eigenen Stützpunkt mit einer Antennenanlage, die funkelektronische Abstrahlungen im Umkreis von 5000 Kilometer erfaßt. Eine weitere US-Anlage arbeitet in Moron de la Frontera. Die Geheimdienste Großbritanniens nutzen ihre Zugangsrechte in Gibraltar für zwei Stationen an den Endpunkten der gleichnamigen Wasserstraße.

Das »Echelon«-System

Bereits 1998 entstand im Auftrag des Ausschusses für Bürgerrechte des Europaparlaments ein erster Bericht über »Echelon«. Darin wurde es als weltweites Spionagesystem im Dienste der amerikanischen NSA vorgestellt, mit dem alle über Satelliten laufenden Telefongespräche, Faxe und E-Mails aufgefangen und ausgewertet werden können. Obwohl der damalige EU-Kommissar für Telekommunikation, Martin Bangemann, sagte, wenn es so etwas gäbe, wäre es »ein Skandal«[7], erregte dieser Bericht kaum Aufsehen. Einige Zeit später erschien dann eine weitere Studie des Amtes zur Bewertung von Technologiefolgen bei der EU (STOA) aus der Feder des britischen Sicherheitsexperten Duncan Campbell. Er konzentrierte die Aussagen zu »Echelon« insbesondere auf die Funktion in der Wirtschaftsspionage – nun ging es an und um das Geld, und die Politik und die Medien reagierten.

Das System »Echelon« erfaßt Informationen auf mehreren Ebenen: Es werden die internationalen und regionalen Telekommunikationssatelliten (z.B. Intelsat) angezapft. Daneben stehen die Überseekabel unter Kontrolle, entweder bei den Knoten an ihren landseitigen Schnittstellen oder durch elektronische Erfassungssysteme direkt an den Kabeln. Zudem werden alle Richtfunkstrecken, über die immer mehr Fernmeldeverkehre abgewickelt werden, überwacht. Hochleistungsfähige Antennen- und Peilsysteme erfassen außerdem die Funkverkehre, insbesondere Funkfernverbindungen.

Weitgehend verschwiegen wird in der Diskus­sion, daß »Echelon« ein Spionagesystem der NATO-Staaten unter strenger Führung durch die Vereinigten Staaten darstellt. Die beteiligten Partner werden von den USA relativ willkürlich und unter Beachtung ihres Nutzens und ihrer »Zuverlässigkeit« an den Ergebnissen der weltumspannenden elektronischen Spionage beteiligt.

Die öffentliche Diskussion um »Echelon« war aufgrund des bereits erwähnten STOA-Berichts sehr stark auf das Problem der Wirtschaftsspionage fokussiert. Man nutzt dafür auch gern Beispiele, wo Konkurrenten sich mit Hilfe der Geheimdienste gegenseitig lukrative Aufträge abgejagt haben. Dazu ist anzumerken, daß die Orientierung auf die Geheimnisse von Firmen und Konzernen zu kurz gedacht ist. Denn Wirtschaftsspionage umfaßt auch die Überwachung finanzieller Transaktionen (nicht nur zur Bekämpfung der Geldwäsche), die wissenschaftlich-technischer Entwicklungen, die der Lage auf den Rohstoffmärkten (einschließlich Wasser und Getreide) und die der Entwicklung der Ressourcen weltweit. Aber diese Art der Geheimdienstarbeit ist nicht erst durch »Echelon« zum Problem geworden. Bereits 1994 haben Erich Schmidt-Eenboom und Jo Angerer in ihrem Buch »Die schmutzigen Geschäfte der Wirtschaftsspionage« dazu umfangreiche Rechercheergebnisse veröffentlicht. 1999 hat Udo Ulfkotte mit »Marktplatz der Diebe« deutsche Unternehmen als Opfer der internationalen Wirtschaftsspionage beschrieben, ohne aber die deutschen Täter zu benennen.

Politische Schnüffelei

Auch und nicht zuletzt gegen die politische Opposition oder andere politisch mißliebige Personen oder Organisationen richtet sich die flächendeckende Spionage der Geheimdienste. So konnten sich vor einiger Zeit die Engländer darüber aufregen, daß ihre Prinzessin Diana ebenfalls Objekt der »Echelon«-Überwachung war und in den Speichern der NSA erfaßt wurde. Das geschah vor dem Hintergrund der Überwachung von Organisationen wie Amnesty International, Christian Aid oder Greenpeace. Nach Aussagen von Wayne Madsen, eines ehemaligen Mitarbeiters der NSA, wird »jeder, der politisch aktiv ist, früher oder später vom Radarschirm der NSA erfaßt werden«.[8]

Nun stehen dem Einsatz des Geheimdienstes gegen die politische Opposition in einigen Staaten rechtliche Regelungen entgegen, die solche Aktivitäten verbieten oder bestimmten Einschränkungen unterwerfen. Selbst wenn man annähme, daß die Geheimdienste ihr innerstaatliches Recht achten und sich angeblich auch daran halten, bietet ihnen der Datenverbund in »Echelon« immer noch die Möglichkeit, dieses Recht scheinbar legal zu brechen. So können beispielsweise Stationen in Kanada Daten über US-Bürger erheben, die US-Amerikaner in Bad Aibling hören Gespräche britischer Bürger ab, und australische Geheimdienste überwachen den Funkverkehr von kanadischen Organisationen – und letztendlich landen diese Daten im Informationsaustausch dort, wo sie von den jeweiligen Geheimdiensten gebraucht werden. Das erinnert sehr an die aktuellen Diskussionen in der hiesigen Politik, die auf die strikte Einhaltung der deutschen Datenschutzrichtlinien bei den Aufklärungsoperationen der USA pochen.

Gravierender erscheinen jedoch die immens gewachsenen Gefahren, daß Privatpersonen in den Strudel dieser Überwachung gezogen werden. Sie blieben dann mit all ihren Verbindungen und persönlichen Eigenheiten in den Datenbanken der Geheimdienste. Man denke nur an die technischen Möglichkeiten, die es schon gibt oder die in naher Zukunft existieren werden, um an Informationen über Kaufverhalten, Bankkonten, unternommene oder geplante Reisen, Interessen, Neigungen oder den Gesundheitszustand zu kommen. Dazu bestehen zahllose Daten durch den Gebrauch von Kundenkarten, von Geld- und Krankenversicherungskarten – und durch die Nutzung des Internets.

Zu den vielen Vorschlägen, wie einem solchen Überwachungssystem zu begegnen sei, gehört auch, mehr Verschlüsselungstechnologien einzusetzen, um die Telekommunikation abhörsicher zu machen. Dazu ist anzumerken, daß in den USA seit den 1980er Jahren die technischen und rechtlichen Möglichkeiten geschaffen wurden, um durch eine eingebaute »Hintertür« die Verschlüsselungssoftware für den Inhaber eines »Generalschlüssels« – und das ist die NSA – zugänglich zu machen. Die großen Softwareanbieter wie Microsoft, Lotus oder Netscape haben sich den Forderungen der NSA gebeugt.

Das 1995 verabschiedete EU-Memorandum über »die rechtmäßige Überwachung des Fernmeldeverkehrs« verlangt von jedem Kommunikationsanbieter die feste Einrichtung einer Abhörschnittstelle, die nach dieser Regelung natürlich nur für gesetzlich vorgesehene Abhörmaßnahmen genutzt werden soll.

Anmerkungen
  1. Klaus Eichner/Andreas Dobbert: Headquarters Germany. Die US-Geheimdienste in Deutschland, Edition Ost, Berlin 1997, S. 240ff.
  2. Der Stab D im CIA-Hauptquartier war mit den technischen und personellen Voraussetzungen zum Einsatz spezieller Technik der Fernmelde und Elektronischen Aufklärung der CIA befaßt. Der britische Autor Peter Wright äußerte die Vermutung, daß er den amerikanischen Geheimdiensten auch dazu dienen sollte, die vertraglichen Pflichten aus dem UKUSA-Vereinbarung zum Informationsaustausch zu umgehen. Vergl. Peter Wright/Paul Greengrass: Spy Catcher. Enthüllungen aus dem Secret Service, Ullstein, Berlin/Frankfurt a. Main 1989, S. 154f.f.
  3. Kurzform für »United Kingdom – United States of America Agreement«: 1947 geschlossene Abkommen zwischen den USA und Vertretern der britisch dominierten Commonwealth-Staaten. Die »UKUSA-Vereinbarung« teilt die regionalen Zuständigkeiten für geheimdienstliche Informationsbeschaffung zwischen der Partei ersten Ranges (USA) und Parteien zweiten Ranges (Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland) auf. Später kamen Vereinbarungen mit einer Vielzahl von Parteien dritten Ranges (Deutschland, Japan, Israel, usw.) hinzu, die häufig eine größere Bedeutung in den Partnerdienstbeziehungen haben. Dieses Vertragssystem ermöglichte den US-Geheimdiensten die Errichtung eigener beziehungsweise die Mitnutzung bestehender Peil-, Erfassungs- und Auswertungsstationen in allen bedeutenden Regionen der Welt. (d.Red.)
  4. Aus einem Vortrag des ersten CIA-Verbindungsoffiziers zur Organisation Gehlen, James H. Critchfield, auf der Jahrestagung des Arbeitskreises Geschichte der Nachrichtendienste e.V., vom 2. bis 4. Mai 1997 in Strausberg
  5. SIGINT (»Signal Intelligence«) bezeichnet den Bereich der Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung. Die ­SIGINT gewann seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bei allen Aufklärungseinheiten der Geheimdienste und Streitkräfte der westlichen und östlichen Militärbündnisse zunehmend an Bedeutung und wurde entsprechend ausgebaut. Siehe dazu jW-Themaseite vom 7. August (d.Red.)
  6. Bundestagsdrucksache 14/3224, online unter dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/032/1403224.pdf (d. Red.)
  7. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 6.7.2000, »Die Big-Brother-Hotline«
  8. Vgl. Sunday Times vom 27.2.2000, zitiert in jW vom 4./5. März 2000, Rainer Rupp: »Echelon – Ein riesiger Staubsauger im Äther«
* Klaus Eichner war als langjähriger leitender Analytiker in der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zuständig für das Gebiet der US-Geheimdienste.

Dieser Beitrag erschien in zwei Teilen ("Spitzelei unter Freunden" und Freundschaftsdienste" am 7. und 8. August 2013 in der jungen Welt



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