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Das Geheimnis der israelischen Bombe

Der "Whistleblower" Mordechai Vanunu soll für seine Zivilcourage geehrt werden, doch sein Land verweigert ihm die Ausreise

Von Roland Etzel *

Am Sonntag (12. Dez.) sollte dem israelischen Nukleartechniker Mordechai Vanunu in Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte überreicht werden. Dazu wird es nicht kommen, denn Vanunu wird nicht da sein. Das Land, dessen Bürger er ist, gestattet ihm die Ausreise nicht.

Auf dieser Zeitungsseite sollte ein Interview mit dem Ausgezeichneten stehen. Aber es hat keines stattgefunden. Der israelische Bürger Mordechai Vanunu darf nicht mit Ausländern reden, geschweige denn Journalisten. Er darf sich keiner ausländischen Botschaft nähern. Er darf nicht ins Ausland telefonieren und darf kein Internet benutzen. Seine persönliche Homepage ist nicht erreichbar. Praktisch ist das eine Kontaktsperre, eine doppelte.

Offiziell steht Vanunu unter Hausarrest. Es ist eine Art Administrativhaft, denn es gibt kein neues Urteil gegen ihn. Die 18 Jahre, zu denen ihn einst der Oberste Gerichtshof Israels verurteilte, hat er abgesessen, bis zum letzten Tag. Das war am 24. April 2004.

Auch wenn man von Vanunu noch nichts gehört hat, ahnt man spätestens jetzt, dass er kein gewöhnlicher Verbrecher sein kann. So sieht ihn übrigens in Israel fast niemand. Für die einen ist er kein Verbrecher, sondern ein Held, für die andere Seite, die Mehrheit, ist er viel schlimmer als ein Krimineller, nämlich ein Verräter.

Was also ist Vanunu? Auf jeden Fall ein sogenannter »Whistleblower«, ein »Verpfeifer« – so nennt man im Englischen/Amerikanischen jemanden, der als »Insider« in seinem Unternehmen, seiner Behörde oder sogar der Regierung von Missständen oder Gesetzesverstößen weiß und diese an die Öffentlichkeit bringt.

Das hat Vanunu getan, er hat als Erster die von Israel heimlich betriebene Produktion atomarer Waffen weltöffentlich gemacht. Dass Israel heimliche Kernwaffenprojekte betreibt, war zwar schon lange gemutmaßt worden. Aber erst als Vanunu, der neun Jahre lang in eben jenem israelischen Kernforschungszentrum Dimona gearbeitet hatte, 1986 in der Londoner Zeitung »Daily Mirror« detaillierte Dokumente dazu veröffentlichte, war dafür auch der Beweis erbracht. Seitdem ist sein Leben ein gänzlich anderes.

Wann begann dieses »zweite Leben« Mordechai Vanunus? Wann reifte die Erkenntnis, dass das, was er in Dimona als Techniker tat, eine Staatsdoktrin unterstützen half, die nach seiner Überzeugung weit über verbrieftes Selbstverteidigungsrecht eines Landes hinausgeht? Die internationales Vertragswerk zu Rüstungsbegrenzung und Abrüstung missachtet? Dass die Bombe des eigenen Landes letztlich den Weltfrieden gefährdet – so wie jede andere Atomrakete auf der Welt auch? Es war, so sagten Menschen, die ihn kennen, wohl ein längerer Prozess.

In die Wiege war ihm das gewiss nicht gelegt. Vanunu ist kein gebürtiger Israeli. Seine Heimatstadt war Marrakesch, doch noch als er Kind war, wanderten seine Eltern mit ihm von Marokko nach Israel aus. Sein Vater wurde Rabbi in Beerscheba, war alles andere als ein Dissident. Beerscheba liegt in der Negev-Wüste, nicht weit weg vom Kernforschungszentrum Dimona. Der junge Vanunu, weniger religiös, studierte Physik, solange sein Geld reichte, und begann dann in eben jenem Dimona zu arbeiten.

1986 wurde er dort entlassen. Vanunu ging auf Reisen, besuchte Australien und ostasiatische Länder, trat zum Christentum über. Irgendwann in dieser Zeit meldete er sich beim »Daily Mirror« und bot ihm Fotos von Dimona an.

War das ein »Revanche-Foul« gegen die Entlassung? Er hat dies später stets verneint, auch seine Widersacher haben diese These kaum strapaziert. Sie haben ihn weniger als kurzschlüssig handelnden, geldgierigen Menschen hingestellt, sondern ihm wenigstens das politische Motiv seines Handelns nicht abgesprochen.

Robert Maxwell, der Verleger des »Mirror«, war damals der Pressezar in Großbritannien. Der »Mirror« war zwar ein Boulevard-Blatt reinsten Wassers, aber nicht politikfern. In Abwägung zwischen Politik und Geschäft entschied sich Maxwell folgerichtig für beides. Er hielt Vanunu hin, leitete das von ihm erhaltene Material aber umgehend an den israelischen Geheimdienst Mossad weiter.

Der Mossad handelte wie gewohnt: effektiv, routiniert und skrupellos. Ein weiblicher Lockvogel verleitete Vanunu zu einem Trip von London nach Rom. Was ein Kurzabstecher werden sollte, endete in den Fängen israelischer Agenten. Seit dem 3. September 1986 ist Vanunu nicht mehr frei.

Wahrscheinlich hat er noch Glück gehabt. Wäre das Kidnapping in Rom nicht reibungslos verlaufen, die Agenten hätten ihn wohl liquidiert. Das wird nicht einmal verheimlicht. Man kann es nachlesen in Peter Hounams Buch »The Woman from Mossad: The Torment of Mordechai Vanunu«.

So aber packte man Vanunu in eine Kiste und verschiffte ihn nach Ashdod, einen Hafen auf halber Strecke zwischen Gaza und Tel Aviv. Italiens Regierung hat von allem nichts gewusst – sagte jedenfalls damals Ministerpräsident Bettino Craxi. Der kann heute nicht mehr befragt werden, zum Beispiel danach, warum er gegen den unverfrorenen Entführungscoup durch einen fremden Geheimdienst auf italienischem Boden anschließend nur sehr geräuscharm protestiert hat.

Vanunu war viel zu blauäugig, sagen seine Unterstützer heute. Wie konnte er glauben, dass Maxwell »nur« Verleger war? Und schlimmer noch: Seine Aktion war die größte Schlappe für den israelischen Geheimdienst seit dem Yom-Kippur-Krieg von 1973; denn Maxwell veröffentlichte das Material in seinem Blatt – fünf Tage nachdem er den Überbringer ans Messer geliefert hatte.

Mordechai Vanunu hat ungewöhnliche Zivilcourage bewiesen und beweist sie noch heute. Dafür ehrt ihn die Internationale Liga für Menschenrechte mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille. Bis zum Freitagnachmittag, so versicherte uns gestern die Präsidentin der Liga, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin, hat das offizielle Israel es nicht einmal für nötig befunden, den Eingang des untenstehenden Offenen Briefes zu bestätigen. Aus der geplanten Auszeichnungsfeier am Sonntag um 11 Uhr im Berliner Grips-Theater soll deshalb nun eine Protestveranstaltung werden.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Dezember 2010


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