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"Aktive Opposition gegen Atomwaffen"

Mohammed El-Baradei und die Internationale Atomenergiebehörde erhalten den Friedensnobelpreis 2005

Zunächst die Meldung des Tages vom 7. Oktober 2005:
Die Internationale Atomenergiebehörde und ihr Chef Mohammed El-Baradei bekommen den Friedensnobelpreis. Sie würden ausgezeichnet für ihre "Bemühungen, die Nutzung der Atomenergie für militärische Zwecke zu verhindern", teilte das Nobelkomitee in Oslo mit.
Der 63-jährige Ägypter und die in Wien ansässige Behörde IAEA wurden für ihren Einsatz gegen die Ausbreitung von Atomwaffen ausgezeichnet - "in einer Zeit, in der die Bedrohung durch Nuklearwaffen wieder zunimmt", teilte das Nobelkomitee in Oslo mit. Die Bemühungen um Abrüstung befänden sich zurzeit offenbar in einer Sackgasse, kritisierte das Gremium.
Der Bedrohung durch Nuklearwaffen müsse mit einer umfassenden internationalen Zusammenarbeit begegnet werden. "Dieser Grundsatz findet heute seinen klarsten Ausdruck in der Arbeit der IAEA und ihres Generaldirektors", erklärte das Preiskomitee (siehe den Wortlaut der Erklärung weiter unten). "Wir wollen mit diesem Preis dem Kampf gegen Atomwaffen wirklich neuen Auftrieb geben", sagte Komiteechef Ole Danboldt Mjøs.
"Dies ist der stolzeste Tag für die IAEA", sagte die Behördensprecherin Melissa Fleming. "Wir sind stolz, überrascht und voller Hochgefühle." Der ehemalige Uno-Chefinspektor im Irak, Hans Blix, sagte, er freue sich sehr für die Auszeichnung seines Freundes und Kollegen El-Baradei.
Die in Wien ansässige IAEA engagiert sich derzeit vor allem bei den Bemühungen um einen Stopp der Atomprogramme in Nordkorea und in Iran. Vor dem Irakkrieg 2003 kam die Behörde unter massiven Druck der US-Regierung von George W. Bush. Washington drängt auf Beweise für das angebliche Massenvernichtungswaffen-Programm Saddams. Doch die "Smoking Gun" zur Rechtferigung des Feldzugs konnte den Amerikanern nicht geliefert werden.

Der Friedensnobelpreis ist mit rund 1,1 Millionen Euro dotiert und wird traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters und Erfinders des Dynamits, Alfred Nobel, in Oslo übergeben.


Friedenspreis für Atomkontrolleure

Von Dr. Wolfgang Kötter

Den diesjährigen Friedensnobelpreis erhält die Internationale Atomenergiebehörde und ihr Generaldirektor El-Baradei. Mit der Auszeichnung würden die Bemühungen gewürdigt, "die militärische Nutzung von Atomenergie zu verhindern", sagte Ole Danbolt Mjoes, der Präsident des Nobelkomitees.

Unter Leitung des Völkerrechtlers Dr. Mohamed El-Baradai aus Ägypten, der die Organisation seit 1997 leitet, arbeiten im geschwungenen „B-Tower“ der UNO-City am Wiener Donauufer 2244 Mitarbeiter aus mehr als 90 Ländern in der International Atomic Energy Agency (IAEA). Ende September wurde der 63-jährige nach langem Widerstand der USA für eine dritte Amtszeit zum Chef der IAEA gewählt. Washington verübelt dem Leiter der Inspektionsgruppe, die den Irak in den 1990er Jahren nach illegalen Atomwaffenaktivitäten inspizierte, dass er den Vorwand für den geplanten Irakkrieg verweigerte. Gemeinsam mit seinem Kollegen Hans Blix von der UNO-Kontrollkommission UNMOVIC bestand El-Baradai darauf, dass keine verbotenen Aktivitäten nachgewiesen werden konnten und verlangte mehr Zeit für weitere Kontrollen. Einem weiteren Vorwurf der Bush-Regierung zufolge tritt der auf Dialog und Verhandlungen setzende Behördenchef auch in der Auseinandersetzung um das Atomprogramm Irans zu nachgiebig auf.

Die Internationale Atomenergiebehörde wurde 1957 als unabhängige Organisation innerhalb der Vereinten Nationen gegründet. Nahezu ein halbes Jahrhundert diente sie ihren 138 Mitgliedstaaten eher im Hintergrund. Doch mit der wachsenden Gefahr einer weiteren Verbreitung von Atomwaffen rückt sie in letzter Zeit immer stärker ins Rampenlicht der Weltpolitik. Ursprünglich vor allem zur Unterstützung der weltweiten Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie geschaffen, kontrolliert sie seit 35 Jahren auch die Einhaltung des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages durch jährlich etwa 1500 Inspektionen in den 187 Vertragsstaaten. El-Baradei setzt sich engagiert für die nukleare Abrüstung ein, denn er hält die Gefahr eines Kernwaffenkrieges für „noch nie so groß wie heute.“ Darum entwickelt er konkrete Vorschläge, um der Gefahr einer Weiterverbreitung von Nuklearwaffen zu begegnen. Die im Atomwaffensperrvertrag vorgesehene Regelung für die friedliche Nutzung der Kernenergie erweist sich nämlich als Achillesferse des Nichtverbreitungsregimes. Zwar ist die Herstellung von Atomwaffen verboten, erlaubt ist aber das Betreiben von Atomkraftwerken, einschließlich der Urananreicherung, solange sie unter IAEA-Kontrollen erfolgt. Diese Möglichkeit können potentielle Kernwaffenaspiranten ausnutzen und sich durch ein legales Programm mit Atomtechnologie und Spaltmaterial versorgen, um dann den Nichtverbreitungsvertrag zu kündigen und nukleare Sprengsätze zu bauen. Darum schlägt El-Baradai eine Multilateralisierung zumindest der sensitiven Elemente nuklearer Brennstoffkreisläufe vor. Das bedeutet, die Produktion neuen Spaltmaterials, aber auch die Kapazitäten zur Urananreicherung und Wiederaufbereitung von in Atomkraftwerken verbrannten Plutoniumbrennstäben sowie die Lagerung nuklearer Abfälle in international verwalteten Zentren zu managen. Ein weltweites Moratorium könnte die Zeit bis zu einer multilateralen Vereinbarung überbrücken. Doch weder die im vergangenen Frühjahr stattgefundene Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag noch der jüngste UNO-Gipfel konnten eine Einigung darüber erzielen. Eine weitere Bedrohung der internationalen Sicherheit sieht die IAEA in möglichen Terroranschläge mit Kernwaffen oder radioaktivem Material. Bereits seit Jahren verfolgt die Organisation ein umfangreiches Programm zur Verstärkung der nuklearen Sicherheit. Erst im vergangenen Juli beschloss eine IAEA-Konferenz vorbeugende Sicherheitsmaßnahmen gegen Sabotage an Atomanlagen und Diebstahl von atomaren Stoffen als Nachbesserungen zur Konvention zum physischen Schutz von Nuklearmaterial.

Gegenwärtig stecken nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung in einer tiefen Krise. Da ist die Verleihung des Friedenspreises eine deutliche Mahnung zur Vernunft. „In einer Zeit, in der die Bedrohung durch Atomwaffen wieder zunimmt, möchte das Norwegische Nobelkomitee unterstreichen, dass dieser Bedrohung mit der breitestmöglichen internationalen Zusammenarbeit begegnet werden muss“, heißt es in der Begründung. „Dieser Grundsatz findet heute seinen klarsten Ausdruck in der Arbeit der IAEA und ihres Generaldirektors. In der Umsetzung des Atomwaffensperrvertrags ist es die IAEA, die kontrolliert, dass die Nuklearenergie nicht für militärische Zwecke missbraucht wird, und der Generaldirektor ragt heraus als unerschrockener Vorkämpfer für neue Maßnahmen zur Stärkung dieser Umsetzung.“

* Dieser Beitrag erscheint am 8. Oktober 2005 im "Neuen Deutschland"


WORTLAUT DER WÜRDIGUNG

Das Nobelpreis-Komitee hat die Entscheidung zur Verleihung des Friedensnobelpreises 2005 an die IAEA und ihren Generaldirektor Mohammed El-Baradei mit deren Einsatz gegen die Verbreitung von Atomwaffen begründet. Die Erklärung im Wortlaut.

Das Norwegische Nobelkomitee hat beschlossen, dass der Friedensnobelpreis in zwei gleichen Teilen an die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und ihren Generaldirektor Mohammed El-Baradei vergeben wird - für ihre Bemühungen zu verhindern, dass die Nuklearenergie für militärische Zwecke genutzt wird, und zu gewährleisten, dass die Nuklearenergie für friedliche Zwecke so sicher wie möglich eingesetzt wird.

In einer Zeit, in der die Bedrohung durch Atomwaffen wieder zunimmt, möchte das Norwegische Nobelkomitee unterstreichen, dass dieser Bedrohung mit der breitestmöglichen internationalen Zusammenarbeit begegnet werden muss. Dieser Grundsatz findet heute seinen klarsten Ausdruck in der Arbeit der IAEA und ihres Generaldirektors. In der Umsetzung des Atomwaffensperrvertrags ist es die IAEA, die kontrolliert, dass die Nuklearenergie nicht für militärische Zwecke missbraucht wird, und der Generaldirektor ragt heraus als unerschrockener Vorkämpfer für neue Maßnahmen zur Stärkung dieser Umsetzung.

In einer Zeit, in der die Abrüstungsbemühungen in einer Sackgasse zu stecken scheinen und es eine Gefahr gibt, dass Atomwaffen sowohl an Staaten als auch an terroristische Gruppen verbreitet werden, und in einer Zeit, in der die nukleare Macht wieder eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen scheint, ist die Arbeit der IAEA von unschätzbarer Bedeutung.

Alfred Nobel hat in seinem Testament geschrieben, dass der Friedenspreis neben anderen Kriterien an denjenigen verliehen werden soll, der am meisten für die 'Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere' getan hat. Diesem Kriterium folgend hat sich das Norwegische Nobelkomitee in den vergangenen Jahrzehnten auf den Kampf konzentriert, die Bedeutung von Atomwaffen in der internationalen Politik zu verringern, mit dem Fernziel ihrer völligen Abschaffung. Die Tatsache, dass die Welt in dieser Hinsicht wenig erreicht hat, macht die aktive Opposition gegen Atomwaffen heute umso wichtiger.

Oslo, 7. Oktober 2005




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