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Ein Nobelpreis für Evo

Boliviens Präsident verfolgt ein traumhaftes Programm

Von Fidel Castro *

Wenn Obama der Nobelpreis zuerkannt wurde, weil er die Wahlen in einer rassistischen Gesellschaft gewonnen hat, obwohl er Afroamerikaner ist, dann verdient Evo (Morales) den Preis ebenso. Auch er hat die Wahlen seines Landes Bolivien gewonnen, obwohl er Indígena ist, und außerdem erfüllt er seine Versprechen.

In beiden Ländern hat zum ersten Mal ein Angehöriger ihrer Ethnie die Präsidentschaft errungen. Mehr als einmal habe ich gewarnt, daß Obama ein intelligenter und in einem System gebildeter Mann ist, an das er glaubt. Er hat nicht vor, kann und will nicht das politische und Wirtschaftssystem seines Landes verändern.

Die Meinungen über die Preisverleihung sind geteilt. Viele gehen von ethischen Standpunkten aus oder verweisen auf offensichtliche Widersprüche der überraschenden Entscheidung. Sie hätten es vorgezogen, daß dieser Preis als Ergebnis einer erfüllten Aufgabe verliehen worden wäre. In unserer Presse und im Onlinemagazin Cubadebate haben sich ehrliche und revolutionäre Genossen kritisch geäußert. Einer von ihnen erinnerte: »In derselben Woche, in der Obama den Friedensnobelpreis erhielt, hat der US-Senat den höchsten Militäretat der Geschichte genehmigt, 626 Milliarden Dollar.«

Aber niemand hat den Namen Evo genannt. Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens bekleidet ein leibhaftiger Aymara das Präsidentenamt dieses Lands, das vom Befreier Simón Bolívar nach der Schlacht von Ayacucho geschaffen wurde, als der letzte spanische Vizekönig vor General Antonio José de Sucre die Waffen streckte.

Evo wurde am 26.Oktober 1959 nicht weit entfernt von La Higuera geboren und war noch keine acht Jahre alt, als dort am 9. Oktober 1967 der verwundete und entwaffnete Che umgebracht wurde. Evo hat Schreiben und Lesen in spanischer Sprache gelernt. Er hat die kleine öffentliche Schule besucht, die fünf Kilometer von der Hütte entfernt war, in der er mit seinen Geschwistern und Eltern wohnte. Wo während seiner gefährlichen Kindheit ein Lehrer war, dort war Evo. Von seinem Volk erwarb er drei ethnische Prinzipien: nicht lügen, nicht stehlen, nicht schwach sein.

Es wäre zu lang, seine reichhaltige Geschichte auf einigen Seiten zusammenzufassen. Ich sage nur soviel: Evo ist fähig gewesen, die schrecklichen, verleumderischen Kampagnen des Imperialismus, dessen Staatsstreiche und die Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu besiegen und die Souveränität Boliviens und das Recht seines tausendjährigen Volkes auf die Respektierung seiner Sitten und Gebräuche zu verteidigen. »Koka ist nicht Kokain«, hat er dem größten Marihuana-Produzenten und Drogenkonsumenten der Welt ins Gesicht gesagt, dessen Markt das organisierte Verbrechen unterstützt und jährlich Abertausende Menschenleben in Mexiko fordert.

Bolivien, Venezuela und Ecuador gehen nicht in die tödliche Falle des Drogenhandels, denn sie sind revolutionäre Länder, die wie Kuba zur Staatengemeinschaft ALBA gehören. Sie wissen, was sie tun können und müssen, um ihren Völkern zu Gesundheit, Ausbildung und Wohlstand zu verhelfen. Sie benötigen keine ausländischen Truppen, um den Drogenhandel zu bekämpfen.

Bolivien bringt unter der Führung seines Aymara-Präsidenten ein traumhaftes Programm auf den Weg. In weniger als drei Jahren wurde der Analphabetismus überwunden: 824101 Bolivianer haben Lesen und Schreiben gelernt, davon 24699 in der Aymara- und 13599 in der Quechua-Sprache. Bolivien war nach Kuba und Venezuela das dritte Land der Bolivarischen Allianz, das sich für frei vom Analphabetismus erklären konnte.

Bolivien bietet Millionen Menschen kostenlose ärztliche Versorgung, die sie vorher niemals bekommen haben. Es ist eines der sieben Länder der Welt, die in den letzten fünf Jahren die Kindersterblichkeit am stärksten gesenkt haben, und hat die Möglichkeit, die Millenniums-Ziele noch vor 2015 zu erreichen. 454161 Personen wurden an den Augen operiert, darunter 75974 Brasilianer, Argentinier, Peruaner und Paraguayer.

In Bolivien ist ein ehrgeiziges Sozialprogramm in Gang gesetzt worden: Alle Kinder an öffentlichen Schulen bekommen von der ersten bis zur achten Klasse eine jährliche Zuwendung, um das Schulmaterial zu kaufen. Das betrifft fast zwei Millionen Schüler. Über 700000 Menschen, die älter als 60 Jahre sind, erhalten einen Gutschein in Höhe von rund 342 Dollar im Jahr. Alle Schwangeren sowie Kinder unter zwei Jahren bekommen eine Unterstützung im Wert von rund 257 Dollar.

Bolivien, eines der drei ärmsten Länder dieser Hemisphäre, hat die wichtigsten Energie- und Mineralreserven des Landes unter staatliche Kontrolle gestellt und dabei die Interessen von jedem einzelnen der Betroffenen respektiert und entschädigt. Man geht vorsichtig zu Werke, um zu vermeiden, einen Schritt zurückzugehen. Die Devisenreserven sind gestiegen. Evo verfügt über dreimal mehr Rücklagen als zu Beginn seiner Regierungszeit. Bolivien gehört zu den Ländern, die die internationale Kooperation am besten nutzen und die Umwelt bewußt schützen.

Am 6. Dezember wird es Wahlen geben. Die Unterstützung des Volkes für seinen Präsidenten wird mit Sicherheit wachsen. Nichts hat sein wachsendes Ansehen und seine Popularität aufhalten können.

Warum wird nicht Evo der Friedensnobelpreis nicht verliehen? Ich kenne seinen großen Nachteil: Er ist nicht Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die vollständige Fassung dieser »Reflexion des Compañero Fidel« erschien im Onlinemagazin cubadebate.cu

Übersetzung aus dem Spanischen: Botschaft der Republik Kuba

* Aus: junge Welt, 20.Oktober 2009



Neues Register

Fünf Millionen dürfen wählen **

Boliviens Präsident Evo Morales hat am Sonntag (18. Okt.) den demokratischen Geist der Bevölkerung in dem südamerikanischen Land hervorgehoben, die sich in den vergangenen zweieinhalb Monaten massenhaft an der Einführung eines neuen, biometrischen Wählerregisters beteiligt hat. Das Register erreichte mit 4 997 172 verzeichneten Wählerinnen und Wählern einen Rekordwert, hob Morales hervor.

Die Einrichtung des neuen Registers war von der Opposition mit dem Vorwurf erzwungen worden, das bisherige Verzeichnis biete nicht genügend Sicherheit gegen Manipulationsversuche. Eigentliches Ziel dieses Manövers war aber offensichtlich, die Neuwahlen und eine damit verbundene erneute Bestätigung Morales’ bei Wahlen zu verhindern. »Manche haben gesagt, daß nur 3,5 Millionen Bolivianer wahlberechtigt seien, aber vor zwei Tagen haben wir dann gehört, daß wir aufgerundet fünf Millionen Bolivianer im Verzeichnis haben. Ich beglückwünsche alle zu ihrer Beteiligung und zu ihrer demokratischen Gesinnung«, freute sich der Präsident. Nun komme es darauf an, daß die Menschen Boliviens massenhaft an den Wahlen vom 6. Dezember teilnehmen, um mit ihrer Stimme die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes zu bestimmen. »Wenn es in den politischen Klassen Differenzen gibt, werden diese einem Referendum unterworfen, damit sie vom Volk mit seiner Stimme entschieden werden. Das ist das wichtigste, das bedeutet, dem Bewußtsein des bolivianischen Volkes unterworfen zu regieren«.

Bei den am 6. Dezember stattfindenden Neuwahlen, die durch die Verabschiedung der neuen bolivianischen Verfassung im Januar notwendig geworden sind, stehen der Präsident und Vizepräsident sowie die Abgeordneten der Plurinationalen Gesetzgebenden Versammlung, des bolivianischen Parlaments, zur Abstimmung.
(PL/jW)

** Aus: junge Welt, 20. Oktober 2009




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